
Patientin stirbt an Multiorganversagen
Eine Frau wurde mit langanhaltenden Unterleibsblutungen in Verbindung mit bereits bekannten Myomen (Muskelknoten) im Uterus in ein Krankenhaus eingeliefert.
Aufgrund des Befunds sollte eine ambulante Hysteroskopie mit fraktionierter Abrasio durchgeführt werden. Hierbei handelt es sich um ein minimal-invasives Verfahren, bei dem die Gebärmutter mit einer Kamera untersucht (Hysteroskopie) und die Schleimhaut aus Gebärmutterhals und ‑höhle getrennt ausgeschabt (fraktionierte Abrasio) wird, um Blutungsstörungen oder Gewebeveränderungen zu diagnostizieren und zu behandeln. Als Spülmittel nutzten sie etwa 2,5 Liter destilliertes Wasser, um eine Korrosion des Behandlungsgerätes zu vermeiden.
Während der Operation kam es zum Herzstillstand der Patientin, die daraufhin eine knappe halbe Stunde wiederbelebt wurde. Nach dem sie wieder stabil war, wurde sie weiter beatmet und auf die Intensivstation verlegt.
Etwa eine halbe Stunde später wurde sie erneut operiert, da bei ihr eine Blutung im Bauchraum vermutet wurde. Hierbei wurden etwa 1,5 Liter nicht geronnenes Blut abgesaugt und eine Blutung an der Leber festgestellt. Ein Riss an der Leber wurde daraufhin geschlossen und die Blutung gestoppt.
Im Anschluss wurde die Patientin weiter auf der Intensivstation behandelt, wo plötzlich ein Hirnödem auftrat. Sie verstarb schließlich an Multiorganversagen, ohne wieder bei Bewusstsein gewesen zu sein.
Die Klinik und die beteiligten Ärztinnen (Oberärztin und Assistenzärztin) zahlten dem Mann und der Tochter der Frau wegen des Vorfalls 30.000 Euro. Die Hinterbliebenen ließen sich damit jedoch nicht beschwichtigten, sondern zogen vor Gericht. Den behandelnden Ärztinnen haben sie mehrere Behandlungsfehler vorgeworfen und forderten zusätzlich 20.000 Euro Schmerzensgeld.
Und tatsächlich: Auch das Landgericht Köln hat grobe Behandlungsfehler erkannt und die Klinik, die Oberärztin und die Assistenzärztin als Gesamtschuldner zu einer Schmerzensgeldzahlung verurteilt. Gegen das Urteil gingen die Beklagten in Berufung. Doch das OLG Köln bestätigte lediglich das Urteil der Vorinstanz.
Was genau haben sich die Ärztinnen also zu Schulden kommen lassen?
Was führte zum Tod der Patientin?
Vor Gericht konnte festgestellt werden, dass die Ärztinnen während der ersten Operation grob fehlerhaft das destillierte Wasser als Spüllösung eingesetzt hatten.
Ein Sachverständiger konnte überzeugend darlegen, dass es zum Basiswissen aller Ärzte zähle, dass Wasser nicht in die Blutbahn gelangen dürfe. Er wies darauf hin, dass Wasser im Blutkreislauf einen lebensgefährlichen Zerfall von roten Blutkörperchen zur Konsequenz hätte. Jeder Medizinstudent lerne das schon früh. Für den Sachverständigen war der Einsatz von destilliertem Wasser also unverständlich.
Da die Gefahren vor der Nutzung von destilliertem Wasser bei solch einem Eingriff den behandelnden Ärztinnen bekannt gewesen sein sollten, habe das Landgericht richtigerweise einen groben Behandlungsfehler angenommen.
Bei Zweifeln besteht Remonstrationspflicht
An der Haftung der Ober- und Assistenzärztin ändere auch der Umstand nichts, dass die beiden nur nach Anweisung handelten.
So hieß es wohl innerhalb der Klinik, dass bei der Verwendung des speziellen Behandlungsgerätes, das während der Operation zum Einsatz kam, immer destilliertes Wasser und keine salzhaltige Lösung verwendet werden sollte, um eine Korrosion des Geräts zu vermeiden.
Dass es eine unmittelbare Anweisung der ärztlichen Leitung zur Nutzung von destilliertem Wasser in der konkreten Situation gegeben habe, konnten die Ärztinnen vor Gericht nicht beweisen.
Zwar können sich die Ärztinnen im Sinne einer vertikalen Arbeitsteilung grundsätzlich auf Anordnungen verlassen, sollten ihnen allerdings nicht immer blind folgen. Das bedeutet, wenn die Ärztinnen erhebliche Zweifel an der Anordnung gehabt haben, hätten sie Einspruch erheben müssen.
Da die beiden Ärztinnen also grundsätzlich um die tödliche Wirkung von destilliertem Wasser Bescheid wissen sollten, hätten sie die Anweisung hinterfragen und im Sinne ihrer Remonstrationspflicht* Einspruch erheben müssen.
*Die Remonstrationspflicht
Die Remonstrationspflicht gilt unter anderem für Ärzte und verpflichtet diese dazu rechtswidrige oder unangemessene Befehle oder Anweisungen eines Vorgesetzten zu hinterfragen. Wenn Ärzte Zweifel an der Korrektheit einer Weisung haben, müssen sie diese gegenüber den Vorgesetzten äußern. Bestätigt der Vorgesetzte die Anweisung dennoch, muss der Mitarbeiter sie grundsätzlich ausführen, es sei denn, sie verstößt gegen höherrangiges Recht oder stellt eine Straftat dar.
Zweifel hatten sich nach eigener Aussage bei der Oberärztin – unabhängig von ihrem Wissen über die Gefahren von destilliertem Wasser – bereits zu Beginn der Operation ergeben, als sie festgestellte, dass schon eine andere Spüllösung vorbereitet wurde, mit der sie nicht gerechnet hatte. Ihre Unsicherheiten bei der Verwendung der richtigen Spüllösung hätten sie dazu veranlassen müssen, die Operation gar nicht erst zu beginnen.
So hatte die Oberärztin zwar ihre Bedenken in Bezug auf die Nutzung des destillierten Wassers gegenüber den Anwesenden angesprochen. Sie hat an ihren Bedenken aber nicht festgehalten und sie schon gar nicht gegenüber ihren Vorgesetzten geäußert – ihre Remonstrationspflicht hat sie also nicht erfüllt.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Oberärztin das allererste Mal mit besagtem Behandlungsgerät arbeitete und sich vorher nicht ausreichend über dessen Eigenheiten vertraut gemacht hatte.
Auch Assistenzärztin muss haften
Ferner hat das Gericht festgestellt, dass auch die Assistenzärztin eine Schuld in dem Fall trifft. Wie sie vor Gericht aussagte, hatte die Oberärztin ihr gegenüber gesagt, dass ein anderer Oberarzt die Verwendung des Behandlungsgeräts mit Wasser als unbedenklich angesehen habe.
Dennoch mutete das Gericht der Assistenzärztin zu, zumindest Fragen in Bezug auf die verwendete Spüllösung aufzuwerfen. So hätte sie gegenüber der anwesenden Oberärztin remonstrieren müssen, vor allem da sie selbst auch keine unmittelbare Anordnung erhalten hatte und wusste, dass die Oberärztin noch nie zuvor mit dem Behandlungsgerät gearbeitet hatte. Auf einen Wissensvorsprung der Oberärztin konnte sie sich also nicht verlassen.
Leitsatz
Verstößt ein von einem vorgesetzten Arzt angeordnetes Vorgehen, welches in der konkreten Behandlungssituation von der bisherigen Praxis des Krankenhauses abweicht, gegen medizinisches Basiswissen und begründet es erkennbar erhöhtes Risiken, aber keine Vorteile für den Patienten, so treffen sowohl einen Oberarzt als auch einen Assistenzarzt eine Remonstrationspflicht, bei deren Verletzung sie persönlich haften.
Nach Einschätzung des Sachverständigen wäre der Tod der Patientin ohne die Verwendung von destilliertem Wasser und dessen Eindringen in den Blutkreislauf mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent vermieden worden.
Das OLG erachtete eine Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 4.000 Euro für angemessen. Die Klinik und die Oberärztin müssen den vollen Betrag von 4.000 Euro als Gesamtschuldner zahlen. Das bedeutet, dass jeder von ihnen für den gesamten Betrag haftet, aber die Kläger die Summe nur einmal erhalten. Falls einer zahlt, ist der andere von dieser Zahlung befreit. Die Assistenzärztin haftet nur für 2.000 Euro. Insgesamt erhalten die Angehörigen der verstorbenen Frau also nur die 4.000 Euro Schmerzensgeld.
FAQ
1. Was ist die Remonstrationspflicht für Ärzte?
Die Remonstrationspflicht verpflichtet Ärzte, fragwürdige oder potenziell gefährliche Anweisungen von Vorgesetzten kritisch zu hinterfragen. Wenn eine ärztliche Anordnung gegen medizinisches Basiswissen oder Patientenwohl verstößt, muss der Arzt Bedenken äußern und gegebenenfalls Widerspruch einlegen. Diese Pflicht dient dazu, Behandlungsfehler zu vermeiden und die Patientensicherheit zu gewährleisten.
2. Wann müssen Ärzte aufgrund der Remonstrationspflicht eine Anweisung hinterfragen?
Ärzte müssen eine Anweisung hinterfragen, wenn sie erkennbar gegen medizinische Standards verstößt oder für den Patienten ein erhöhtes Risiko ohne klaren Nutzen darstellt. Insbesondere bei lebensgefährlichen Folgen – wie in einem Fall, in dem destilliertes Wasser in die Blutbahn gelangte – besteht eine Pflicht zum Einspruch. Erfolgt kein Widerspruch, kann dies als Behandlungsfehler gewertet werden, der zu einer persönlichen Haftung führt.
3. Welche Konsequenzen drohen Ärzten bei einer Verletzung der Remonstrationspflicht?
Wird die Remonstrationspflicht verletzt, kann dies zu einer persönlichen Haftung des Arztes führen, insbesondere bei groben Behandlungsfehlern. Gerichte können Schmerzensgeld zusprechen, wenn nachweislich ein Patientenschaden durch unterlassenen Widerspruch entstanden ist. Zudem kann eine Missachtung der Remonstrationspflicht berufsrechtliche und disziplinarische Folgen haben.
Quelle: OLG Köln – 5 U 69/24