Einleitung
Den Hintergrund der Abrechnungsunsicherheiten bilden die Rahmenempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 132a Absatz 1 SGB V, die ihrer Funktion nach den Inhalt des Sachleistungsanspruchs der Versicherten gegen die Krankenkassen auf häusliche Krankenpflege begründen und Kriterien zur Bestimmung der Leistungsqualität erheben.
Neben allgemeinen Regelungen für die häusliche Krankenpflege enthalten die Rahmenempfehlungen in diesem Sinne nunmehr auch differenzierte Anforderungen an die Versorgung von Patienten mit chronischen und schwer heilenden Wunden. Einer der Haupt-Knackpunkte ist hierbei die Frage nach dem vorzuhaltenden Qualifikationsprofil der pflegerischen Leistungserbringer.
Diesbezüglich wird die Berechtigung zur Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden nach der Leistungsziffer 31a der HKP-Richtlinie unter anderem an das Vorliegen bestimmter Zusatzqualifikationen des in die Behandlung eingebundenen Personals geknüpft.
Im Kern wird durch § 6 der Rahmenempfehlungen den Fachleitungen der Nachweis einer zertifizierten Zusatzqualifikation mit einem Unterrichtsumfang von 168 Stunden und den, die chronischen und schwer heilenden Wunden versorgenden Pflegefachkräften die Vorlage einer wundspezifischen Zusatzqualifikation im Umfang von 84 Unterrichtseinheiten abverlangt.
Qualität der Homecare-Dienstleistung
Befürchtet wird, dass die Absolvierung der vorgenannten wundspezifischen Ausbildungen für die häusliche Krankenpflege auch auf die Dimensionen des beruflichen Handelns in anderen kooperierenden Bereichen der Leistungserbringung in Medizin und Pflege übertragen werden könnten. Eine gewisse Sachnähe ist beispielsweise in dem Aufgabengebiet der Versorgung von Patienten mit medizinischen Hilfsmitteln und Verbandmitteln durch Homecare-Unternehmen zu Hause und in Pflege- oder Altenheimen zu verzeichnen. Allerdings fußt der Anspruch der Versicherten in diesem Leistungsumfeld auf den §§ 31 und 33 SGB V, die von der vertragsärztlichen Verordnung ausgeprägt werden.
Die Leistung eines Homecare-Unternehmens beschränkt sich in dem Versorgungsdreieck zwischen Krankenkasse, Vertragsarzt und ambulantem, bzw. stationären Pflegedienstleister auf die, mit dem verordneten Produkt untrennbar verbundenen Dienstleistungen, wie zum Beispieldie Zurverfügungstellung, Einweisung und Beratung. Insoweit ist von dieser Seite aus sicherzustellen, dass die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V festgelegten Anforderungen an die Qualität der Hilfsmittel, bzw. an die Eigenschaften der Verbandmittel im Sinne der aktualisierten Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) den dort jeweils geforderten Standards entsprechen.
Der Rückgriff auf die Qualifikationsprofile der Rahmenempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes schlägt daher in Ermangelung eines vergleichbaren Aufgabenspektrums zwischen der Homecare-Versorgung und den HKP-Leistungen fehl.
Nichtärztliches Personal in der Arztpraxis
Dies deckt sich im Ergebnis auch für die Bezugnahme des formellen Ausbildungserfordernisses des nichtärztlichen Personals in der niedergelassenen Vertragsarztpraxis, dessen Angehörige Leistungen der Wundversorgung und den Verbandwechsel auf Anordnung für den Arzt übernehmen. Entscheidende Aussagen über die fachlichen Qualifikationsvoraussetzungen treffen hier die Partner der Bundesmantelverträge, die gemäß § 28 Absatz 1 SGB V für die ambulante Versorgung beispielhaft festlegen, welche ärztlichen Tätigkeiten von Arzthelferinnen, MTAs, Medizinischen Fachangestellten, etc. übernommen werden dürfen und welche Anforderungen an die Erbringung zu stellen sind.
Bedient sich der Arzt also der Hilfeleistungen nichtärztlichen Personals sollte er die Qualität seiner Delegationen an dem Beispielkatalog des Anhangs zur Anlage 24 des BMV‑Ä ausrichten. Wenngleich eine Fortbildung zum Wundexperten/Wundmanager oder das Curriculum „Ambulante Versorgung älterer Menschen“ ausdrücklich erwünscht ist, reicht die Qualifikation der medizinischen Fachangestellten und des Personal mit vergleichbarer heilberuflicher Ausbildung nach der Nummer 10 der „Allgemeinen delegierbaren ärztlichen Tätigkeiten“ für die Übernahme der Folgeversorgungsmaßnahmen in der Wundversorgung und den Verbandwechsel aus.
Vereinbarung des GKV-Spitzenverbandes zur Delegation ärztlicher Tätigkeiten
Werden darüber hinaus allerdings von sogenannten „nicht-ärztlichen Praxisassistenten“ Versorgungsmaßnahmen in der Häuslichkeit der Patienten, in Alten- oder Pflegeheimen oder in anderen beschützenden Einrichtungen erbracht, muss die diesbezügliche Delegations-Vereinbarung der Anlage 8 BMV‑Ä beachtet werden. Entsprechend § 7 dieser Vereinbarung sind auf die Primärqualifikation aufbauende Zusatzqualifikationen zu den Themen „Berufsbild“, „medizinische Kompetenz“ und „Kommunikation/Dokumentation“, eine praktische Fortbildung in Form von Hausbesuchen und eine Fortbildung in „Notfallmanagement“ nachzuweisen, deren zeitlicher Umfang von der Dauer der Berufszugehörigkeit abhängt.
Spezialisierte Einrichtungen zur Wundhandlung
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) hat der Gesetzgeber das Versorgungsangebot der Wundbehandlung gestärkt, indem durch § 37 Absatz 7 SGB V eine Möglichkeit geschaffen worden ist, in spezialisierten Einrichtungen außerhalb der Häuslichkeit der Versicherten die Leistungen der Wundversorgung zu erbringen, wenn diese aufgrund der Komplexität der Wundversorgung oder den Gegebenheiten in der Häuslichkeit im gewohnten Umfeld der Patientin oder des Patienten voraussichtlich nicht möglich ist (zum Beispiel in sogenannten Wundzentren).
Obwohl hierdurch das Prinzip der „Häuslichkeit“ zugunsten des Leistungsortes der „spezialisierten Einrichtung“ geöffnet wird, hat der Gesetzgeber die Ausgestaltung der qualitätsgesicherten Versorgung in den Wundzentren ausdrücklich der Richtlinienkompetenz gemäß § 92 SGB V des Gemeinsamen Bundesausschuss zugewiesen, woraus sich der unmittelbare Rückschluss auf die Rahmenempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 132a SGB V ableiten lässt.
Mit dem Blick auf das zu fordernde Qualifikationsprofil des in einem Wundzentrum tätigen Pflegefachpersonals bedeutet dies, dass die durch § 6 der Rahmenempfehlungen geforderten zertifizierten Zusatzqualifikationen sowohl von der verantwortlichen Fachpflegekraft als auch von den Pflegefachkräften, die eigenverantwortlich die fachpflegerische Versorgung chronischer und schwer heilender Wunden übernehmen, nachgewiesen werden müssen.
Fristen zur Erlangung der Zusatzqualifikation
Rechtliche Normen gestalten die Rechtsordnung für die Zukunft und entfalten ihre Wirkung grundsätzlich mit dem Inkrafttreten. Die GKV-Rahmenempfehlungen nach § 132a zur Versorgung mit Häuslicher Krankenpflege legt diesen Termin nach § 9 Absatz 1 auf den 1. Januar 2022 fest. Neue Regularien betreffen jedoch regelmäßig auch bestehende Rechtsverhältnisse. Übergangsfristen dienen in diesem Sinne der Vermeidung unbilliger Härten.
Mit dem Blick auf das Erfordernis des Vorliegens der spezifischen Zusatzqualifikation des Fachpflegepersonals, das die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden durchführt, sieht die GKV-Rahmenempfehlung daher die gestiegenen Qualifikationsanforderungen bei bestehenden Pflegediensten derzeit ausnahmsweise noch als erfüllt an, wenn alle Pflegekräfte, die in der Wundversorgung eigenverantwortlich tätig sind, über eine fachspezifische Zusatzqualifikation in Höhe von 56 Unterrichtseinheiten verfügen.
Ergänzend wird darüber hinaus jedoch auch verlangt, dass mindestens 50 Prozent der die Versorgung eigenverantwortlich durchführenden Fachkräfte die notwendige Zusatzqualifikation innerhalb von 2 Jahren erzielen. Innerhalb weiterer 2 Jahre müssen nach dem Willen der Normgeber alle an der Wundversorgung beteiligten Pflegefachkräfte über die spezifische Zusatzqualifikation zur Versorgung chronischer und schwer heilender Wunden verfügen (vgl. § 6 Absatz 16).
Mit dem Ablauf des Jahres 2025 müssen daher alle in der auf die Wundversorgung spezialisiert-tätigen Pflegefachkräfte über das formelle Qualifikationsprofil der GKV-Rahmenempfehlung verfügen.
Verpflichtung zur Fortbildung
Überdies sind die Träger von spezialisierten Leistungserbringern zur Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden verpflichtet, die fachliche Kompetenz ihrer Mitarbeiterinnen und Mittarbeiter durch durch fachspezifische Fortbildungen zu gewährleisten.
Diese dienen der Aktualisierung des fachspezifischen Wissens (zum Beispiel erfolgreiches Wundmanagement durch phasengerechte Wundversorgung, Grundlagen Haut und Wundheilung, Wundheilungsphasen, phasengerechte Wundbehandlung, Wundheilungsstörungen und Stagnation) oder der Rezertifizierung. Der Umfang der Fortbildungen beträgt 10 Zeitstunden je Kalenderjahr und je Mitarbeiterin und Mitarbeiter und wird auf die allgemeine Fortbildungsverpflichtung angerechnet (vgl. § 6 Absatz 10).
Juristische Konsequenzen
Sowohl die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-Richtlinie) als auch die Rahmenempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 132a Absatz 1 SGB V sind sozialversicherungsrechtliche Instrumentarien zur Steuerung der Rahmenbedingungen der Leistungserbringerverhältnisse in der Wundversorgung. Beide Regelwerke sollen die Grundlagen für die vertraglich geregelte Vergütung zwischen den Krankenkassen und den spezialisierten Leistungserbringern bieten.
Die dem Vergütungsanspruch gegenüberstehende Festschreibung der gebotenen Qualitätsparameter, wie zum Beispiel die Anforderungen an die Eignung von spezialisierten Leistungserbringern, ist jedoch prinzipiell auch geeignet, die Definition des allgemein anerkannten fachlichen Standards gemäß § 630a Absatz 2 BGB mitzugestalten.
Dieser Standard prägt die Schwelle des Verschuldensmaßstabs der Fahrlässigkeit im Sinne von § 276 Absatz 2 BGB aus und bildet damit den entscheidenden Anknüpfungspunkt für die Einstandspflicht der Behandlungsseite in einem medizinischen Haftungsprozess. Das Unterschreiten der gebotenen sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben, etwa durch den Einsatz nicht hinreichend qualifiziertem Personal kann daher aus diesem Blickwinkel mit einer doppelten Konsequenz verbunden sein.
Zum einen ist hierdurch der Regress der Leistungsvergütung durch die Krankenkassen zu befürchten und zum anderen kann im Schadensfall ein ungünstiger Ausgang des Haftungsprozesses zu befürchten sein. Nicht zuletzt kann die Vorlage einer Abrechnung, welche durch nicht hinreichend qualifiziertes Personal erbracht wurde, auch strafrechtliche Relevanz als Abrechnungsbetrug gemäß § 263 StGB entfalten. Die Bedeutsamkeit der GKV-Rahmenempfehlungen sollte daher, insbesondere mit dem Blick auf das vorzuhaltende Ausbildungsprofil, nicht unterschätzt werden.