Psychische Erkrankungen unter Beschäftigten in Deutschland sind weiter extrem auf dem Vormarsch. Und vor allem Frauen sind von seelischen Beschwerden betroffen. Das legt nun eine weitere aktuelle Auswertung nahe: Laut des nun veröffentlichten „Psychreports 2020“ der gesetzlichen Krankenversicherung DAK-Gesundheit stieg im Jahr 2020 die Anzahl der Fehltage aufgrund psychischer Beschwerden pro 100 Versicherten im Vergleich zu 2010 von 170 auf 265 – ein Anstieg um satte 56 Prozent. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Fehltage über sämtliche Erkrankungsgruppen nur um 11 Prozent zu.
Besonders langwierige Krankheitsbilder – Steigendes Alter begünstigt psychische Erkrankungen
Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist sehr ausgeprägt: Pro 100 bei der DAK-Gesundheit versicherten Frauen ergaben sich 337,9 Fehltage, bei den Männern „nur“ 202,0. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern, werden psychische Erkrankungen mit steigendem Alter der Versicherten deutlich häufiger. Bei den Frauen kamen unter 100 Berufseinsteigerinnen zwischen 15 und 19 Jahren 138,5 Fehltage zusammen, bei den Über-60-Jährigen waren es hingegen 664,4, fast fünfmal so viele. Ein ähnliches Muster gibt es in den entsprechenden Altersgruppen bei den Männern (76,2 versus 414,6).
Ebenfalls – auch hier sind Frauen wie Männer betroffen – ging 2020 im Vergleich zum Vorjahr der Trend hin zu zwar etwas weniger verzeichneten Fällen von Arbeitsunfähigkeit, die aber dennoch insgesamt mehr Fehltage verursachten. Während es 2020, verglichen mit 2019, acht Prozent weniger Arbeitsunfähigkeiten bis zu einer Dauer von sechs Wochen gab, stieg die Zahl der noch länger krankgeschriebenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um sechs Prozent.
Und: Die durchschnittliche Krankschreibungsdauer pro Fall lag mit 38,8 Tagen so hoch wie noch nie seit Beginn der Auswertungen. Im Vorjahr 2019 lag der Wert noch bei 35,4 Tagen, im ersten untersuchten Jahr 1997 waren es 30,4. Psychische Erkrankungen sind also besonders langwierig.
Haupt-Krankschreibungsgründe: Anpassungsstörungen und Depressionen
Laut Einschätzung der Versicherung habe gerade das Aufkommen der Coronapandemie im Jahr 2020 – mit verbreiteter Ungewissheit und Ängsten, „Social Distancing“, Kontaktarmut und verbreiteten Homeoffice-Regelungen – zum Vormarsch der psychischen Erkrankungen beigetragen. „Unsere aktuelle Analyse zeigt, wie gerade Menschen mit psychischen Problemen unter den Pandemie-Einschränkungen und ‑Belastungen leiden“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit.
„Besorgniserregend ist, dass die Betroffenen während der Krise über immer längere Zeiträume krankgeschrieben sind, vor allem die Frauen. Ziel muss sein, den Trend zu stoppen und den Betroffenen mit passenden Angeboten und Versorgungskonzepten zu helfen. Das ist gerade in Krisenzeiten wie der Coronapandemie sehr wichtig.“
Vor allem zwei Fallgruppen machen bei psychischen Erkrankungen den wesentlichen Teil der Fälle aus. So entfielen mit 49,9 Prozent knapp die Hälfte der Fehltage auf „neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“, wozu Ängste und Anpassungsstörungen zählen. Gefolgt mit 41,7 Prozent von den „affektiven Störungen“, in erster Linie Depressionen. Andere Formen seelischer Erkrankungen, wie Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (wozu auch Drogen zählen), Wahnvorstellungen und Schizophrenie spielen eine weit untergeordnete Rolle.
Saarland deutlich an der Spitze – Süd-Bundesländer vergleichsweise wenig betroffen
Im Vergleich der Branchen sticht das Gesundheitswesen mit 377,3 Fehltagen pro 100 Versicherten aufgrund psychischer Leiden deutlich heraus, gefolgt von der öffentlichen Verwaltung mit 328,3. Zum Vergleich: Im Baugewerbe sind es lediglich 150,5 Fehltage aufgrund dieser Diagnosegruppen.
Bei den Zahlen macht sich zugleich, höchstwahrscheinlich, die unterschiedliche Präferenz der Geschlechter bei der Berufswahl bemerkbar – während das Gesundheitswesen größtenteils weiblich geprägt ist, ist es im Baugewerbe umgekehrt. Interessant sind zudem die mancherorts starken regionalen Unterschiede: Das Saarland liegt mit 339,4 Fehltagen im Bundesländer-Vergleich „einsam“ an der Spitze, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit 306,6 und 305,8. In Baden-Württemberg und Bayern sind es hingegen nur 201,4 beziehungsweise 228,9 Tage.
Insgesamt scheinen die nördlichen und die neuen Bundesländer etwas stärker betroffen zu sein, wenngleich es kein ganz klares regionales Muster gibt.
Für die Studie hat das Berliner IGES-Institut die Daten von mehr als 2,4 Millionen bei der DAK-Gesundheit versicherten Beschäftiten anonymisiert ausgewertet. Insgesamt sind bei der DAK, als drittgrößte gesetzliche Krankenkasse Deutschland, 5,6 Millionen Menschen – einschließlich den mitversicherten Familienmitgliedern – unter Vertrag.
Die Präsentation zum Psychreport 2020, mit sämtlichen detaillierten Ergebnissen, ist auf der Website der DAK abrufbar.