Fall für die Haftpflichtversicherung
Feuer­wehr bei einem Brand­ein­satz. Bild: 591360/Pixabay.com

Sachver­halt

Die Versi­che­rungs­neh­me­rin war als freibe­ruf­li­che Anästhe­sis­tin in einer Praxis für plasti­sche Chirur­gie tätig. In der Praxis befand sich in einem Technik­raum eine zentrale Sauer­stoff­ver­sor­gungs­an­lage mit zwei Druck­sauer­stoff­fla­schen zu je 50 Litern. Die Flaschen waren mit neuen Druck­min­de­rern ausge­stat­tet, welche perma­nent auf einen Druck von 5 bar einge­stellt waren. Hierzu hatte die Versi­che­rungs­neh­me­rin zuvor eine Einwei­sung durch das Fachun­ter­neh­men erhal­ten, welches die Anlage instal­liert hatte. Eine Bedie­nungs­an­lei­tung wurde ihr nicht ausge­hän­digt.

Am Schaden­tag sollte früh morgens eine OP vorbe­rei­tet werden. Der betrof­fene Patient befand sich zu diesem Zeitpunkt auf der Praxis­toi­lette. Die Versi­che­rungs­neh­me­rin öffnete in gewohn­ter Weise das Flaschen­ven­til einer Sauer­stoff­fla­sche. Unver­mit­telt trat am Ventil ein starkes Zischen auf, gefolgt von einem Knall, Flammen schos­sen heraus. Die Versi­che­rungs­neh­me­rin verließ aufgrund der starken Feuer- und Rauch­ent­wick­lung den Raum und warnte die übrigen Anwesen­den. Eine Mitar­bei­te­rin rief die Feuer­wehr und infor­mierte die OP-Schwes­tern, um die Praxis zu räumen. Durch den starken Rauch überall wurden zwischen­zeit­lich die Rauch­mel­der ausge­löst und die Brand­schutz­tür zum Empfangs­be­reich schloss sich.

Die Mitar­bei­ter der Praxis sowie unsere Versi­che­rungs­neh­me­rin begaben sich ins Freie. Es war ihnen aufgrund der Gesamt­si­tua­tion zuvor nicht gelun­gen, den Patien­ten auf der Toilette zu verstän­di­gen. Dieser konnte sich etwas später selbst rußge­schwärzt und unter Schock stehend aus der Praxis nach draußen begeben. Er erlitt erheb­li­che Verlet­zun­gen unter anderem des Atemwegs im Bereich der Stimm­lip­pen mit voraus­sicht­li­cher Dauer­schä­di­gung. Allein die zwischen­zeit­lich einge­klagte Schmer­zens­for­de­rung beträgt 50.000 Euro. Der zustän­dige Kranken­ver­si­che­rungs­trä­ger verlangte Erstat­tung der aufge­wen­de­ten Heilbe­hand­lungs­kos­ten.

Neben den direk­ten Hitze­schä­den kam es in der Praxis zu einer großflä­chi­gen Beauf­schla­gung mit Rauch­kon­den­sat, da dieses über die bereits laufen­den Klima­an­la­gen des Opera­ti­ons­raums angeso­gen und verteilt wurde. Die Gebäu­de­brand- und Inhalts­ver­si­che­rung meldete einen Regress­an­spruch gegen die Versi­che­rungs­neh­me­rin von voraus­sicht­lich 1,3 Million Euro an.

In straf­recht­li­cher Hinsicht wurde gegen die Versi­che­rungs­neh­me­rin wegen fahrläs­si­ger Brand­stif­tung und fahrläs­si­ger Körper­ver­let­zung ermit­telt.

Straf­recht­li­cher Vorwurf und Haftung der Versi­che­rungs­neh­me­rin

Für alle Betei­lig­ten war zunächst von Inter­esse, zu welchem Ergeb­nis die Ermitt­lungs­be­hörde kommen würde in Bezug auf Ursache und Verant­wort­lich­keit. Ein die Versi­che­rungs­neh­me­rin belas­ten­des Ergeb­nis hätte mögli­cher­weise Auswir­kun­gen auf die zivil­recht­li­chen Ansprü­che.

Zwar befasst sich eine Haftpflicht­ver­si­che­rung grund­sätz­lich nur mit zivil­recht­li­chen Ansprü­chen, die gegen die Versi­che­rungs­neh­me­rin gerich­tet werden. Im vorlie­gen­den Fall war es aber sinnvoll, schon den Ausgang der straf­recht­li­chen Ermitt­lung nach Möglich­keit positiv zu beein­flus­sen, zumal dies aus Sicht der Versi­che­rungs­neh­me­rin als Anästhe­sis­tin auch von existen­zi­el­lem Inter­esse war. So wurden seitens des Versi­che­res die Kosten für die quali­fi­zierte Vertre­tung im Straf­ver­fah­ren übernom­men sowie in diesem Zusam­men­hang ein priva­tes fachan­äs­the­sio­lo­gi­sches Gutach­ten finan­ziert.

Der behörd­li­cher­seits einge­schal­tete Gutach­ter kam zu dem Ergeb­nis, dass eine Fehlbe­die­nung durch die Versi­che­rungs­neh­me­rin den Brand verur­sacht hatte. Es hätte bei geschlos­se­nem Haupt­ven­til der Sauer­stoff­druck­fla­sche der Druck­min­de­rer vollstän­dig entlas­tet und damit druck­los sein müssen. Zuerst sollte nur das Haupt­ven­til der Sauer­stoff­fla­sche langsam geöff­net werden, bevor das Regel­ven­til des Druck­min­de­rers hätte betätigt werden dürfen, bis der gewünschte Auslass­druck erreicht gewesen wäre. Dies sei auch in der Bedie­nungs­an­lei­tung so vorge­se­hen.

Wir erinnern uns: Im vorlie­gen­den Fall hatte die Versi­che­rungs­neh­me­rin den Druck perma­nent auf einen Arbeits­druck von 5 bar einge­stellt. Sie hatte also Sauer­stoff über das Haupt­ven­til einge­las­sen bei bereits bestehen­dem Druck. Es kam hierbei nach Öffnung des Haupt­ven­tils zu einem schlag­ar­ti­gen Druck­an­stieg und einer erheb­li­chen Tempe­ra­tur­er­hö­hung, wodurch das Metall des Druck­min­de­rers im Sauer­stoff­strom verbrannte. Diese Umstände sprechen tenden­zi­ell für eine Verant­wort­lich­keit der Versi­che­rungs­neh­me­rin.

Durch das von der Haftpflicht­ver­si­che­rung finan­zierte Gutach­ten wurde jedoch auch festge­stellt, dass eine Unter­wei­sung in die Anlage durch ein Fachun­ter­neh­men erfolgte. An diese Unter­wei­sung hatte sich die Versi­che­rungs­neh­me­rin stets gehal­ten. Anhalts­punkte, an dessen Exper­tise oder der Richtig­keit der Angaben zu zweifeln, gab es aus Sicht der Versi­che­rungs­neh­me­rin nicht. Ohne Kennt­nis von deren Existenz brauchte die Versi­che­rungs­neh­me­rin auch nicht nach einer Bedie­nungs­an­lei­tung zu fragen. Ein Brand­er­eig­nis war somit für die Versi­che­rungs­neh­me­rin nicht vorher­seh­bar.

Darüber hinaus stellte der Gutach­ter fest, dass bei einer anderen („richti­gen“) Art des Flaschen­öff­nens der Brand nicht mit an Sicher­heit grenzen­der Wahrschein­lich­keit verhin­dert worden wäre. Zur Brand­aus­lö­sung können geringste Verun­rei­ni­gun­gen im Sauer­stoff­zu­fluss genügen, was jedoch im Nachhin­ein nicht mehr überprüft werden konnte. Die fragli­chen Teile standen hierfür nicht mehr zur Verfü­gung.

In Bezug auf den zurück­ge­las­se­nen Patien­ten handelte die Versi­che­rungs­neh­me­rin ebenfalls nicht vorwerf­bar, da sie über dessen Verbleib in der Praxis­toi­lette nicht infor­miert war. Das Straf­ver­fah­ren wurde somit für die Versi­che­rungs­neh­me­rin ohne Nachteile einge­stellt, da die Tatbe­stands­vor­aus­set­zun­gen nicht nachge­wie­sen werden konnten.

Zwar sind die Voraus­set­zun­gen einer zivil­recht­li­chen Haftung nicht gleich mit denen der Straf­bar­keit. Die Anfor­de­run­gen an Vorwerf­bar­keit und Kausa­li­tät sind jedoch ähnlich. Daher ging die Haftpflicht­ver­si­che­rung auch nicht von einer haftungs­recht­li­chen Verant­wor­tung der Versi­che­rungs­neh­me­rin aus und hat dies an die übrigen Betei­lig­ten kommu­ni­ziert und entspre­chend begrün­det.

Bisher verfolgt ledig­lich der verletzte Patient einen Anspruch weiter. Hierzu wurde Klage vor dem Landge­richt einge­reicht gegen die Praxis und deren Inhaber sowie auch gegen die Versi­che­rungs­neh­me­rin. Der Ausgang dieses Zivil­ver­fah­rens bleibt abzuwar­ten.

Fazit

Instal­la­tion und Betrieb sicher­heits­re­le­van­ter Anlagen in Arztpra­xen müssen nicht nur dem Stand der Technik entspre­chen, um Gefah­ren zu vermei­den. Eine fachkun­dige Unter­wei­sung und gewis­sen­hafte Bedie­nung sind geeig­net, Gefah­ren vorzu­beu­gen, und hilfreich, um im Schaden­fall Verant­wort­lich­kei­ten sachge­recht aufzu­klä­ren. Eine umfas­sende Haftpflicht­ver­si­che­rung ist hierbei eine sinnvolle und wichtige Unter­stüt­zung.

Quelle: RA Sascha Hebben/HDI Versi­che­rung AG, Köln