Sachverhalt
Die Versicherungsnehmerin war als freiberufliche Anästhesistin in einer Praxis für plastische Chirurgie tätig. In der Praxis befand sich in einem Technikraum eine zentrale Sauerstoffversorgungsanlage mit zwei Drucksauerstoffflaschen zu je 50 Litern. Die Flaschen waren mit neuen Druckminderern ausgestattet, welche permanent auf einen Druck von 5 bar eingestellt waren. Hierzu hatte die Versicherungsnehmerin zuvor eine Einweisung durch das Fachunternehmen erhalten, welches die Anlage installiert hatte. Eine Bedienungsanleitung wurde ihr nicht ausgehändigt.
Am Schadentag sollte früh morgens eine OP vorbereitet werden. Der betroffene Patient befand sich zu diesem Zeitpunkt auf der Praxistoilette. Die Versicherungsnehmerin öffnete in gewohnter Weise das Flaschenventil einer Sauerstoffflasche. Unvermittelt trat am Ventil ein starkes Zischen auf, gefolgt von einem Knall, Flammen schossen heraus. Die Versicherungsnehmerin verließ aufgrund der starken Feuer- und Rauchentwicklung den Raum und warnte die übrigen Anwesenden. Eine Mitarbeiterin rief die Feuerwehr und informierte die OP-Schwestern, um die Praxis zu räumen. Durch den starken Rauch überall wurden zwischenzeitlich die Rauchmelder ausgelöst und die Brandschutztür zum Empfangsbereich schloss sich.
Die Mitarbeiter der Praxis sowie unsere Versicherungsnehmerin begaben sich ins Freie. Es war ihnen aufgrund der Gesamtsituation zuvor nicht gelungen, den Patienten auf der Toilette zu verständigen. Dieser konnte sich etwas später selbst rußgeschwärzt und unter Schock stehend aus der Praxis nach draußen begeben. Er erlitt erhebliche Verletzungen unter anderem des Atemwegs im Bereich der Stimmlippen mit voraussichtlicher Dauerschädigung. Allein die zwischenzeitlich eingeklagte Schmerzensforderung beträgt 50.000 Euro. Der zuständige Krankenversicherungsträger verlangte Erstattung der aufgewendeten Heilbehandlungskosten.
Neben den direkten Hitzeschäden kam es in der Praxis zu einer großflächigen Beaufschlagung mit Rauchkondensat, da dieses über die bereits laufenden Klimaanlagen des Operationsraums angesogen und verteilt wurde. Die Gebäudebrand- und Inhaltsversicherung meldete einen Regressanspruch gegen die Versicherungsnehmerin von voraussichtlich 1,3 Million Euro an.
In strafrechtlicher Hinsicht wurde gegen die Versicherungsnehmerin wegen fahrlässiger Brandstiftung und fahrlässiger Körperverletzung ermittelt.
Strafrechtlicher Vorwurf und Haftung der Versicherungsnehmerin
Für alle Beteiligten war zunächst von Interesse, zu welchem Ergebnis die Ermittlungsbehörde kommen würde in Bezug auf Ursache und Verantwortlichkeit. Ein die Versicherungsnehmerin belastendes Ergebnis hätte möglicherweise Auswirkungen auf die zivilrechtlichen Ansprüche.
Zwar befasst sich eine Haftpflichtversicherung grundsätzlich nur mit zivilrechtlichen Ansprüchen, die gegen die Versicherungsnehmerin gerichtet werden. Im vorliegenden Fall war es aber sinnvoll, schon den Ausgang der strafrechtlichen Ermittlung nach Möglichkeit positiv zu beeinflussen, zumal dies aus Sicht der Versicherungsnehmerin als Anästhesistin auch von existenziellem Interesse war. So wurden seitens des Versicheres die Kosten für die qualifizierte Vertretung im Strafverfahren übernommen sowie in diesem Zusammenhang ein privates fachanästhesiologisches Gutachten finanziert.
Der behördlicherseits eingeschaltete Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass eine Fehlbedienung durch die Versicherungsnehmerin den Brand verursacht hatte. Es hätte bei geschlossenem Hauptventil der Sauerstoffdruckflasche der Druckminderer vollständig entlastet und damit drucklos sein müssen. Zuerst sollte nur das Hauptventil der Sauerstoffflasche langsam geöffnet werden, bevor das Regelventil des Druckminderers hätte betätigt werden dürfen, bis der gewünschte Auslassdruck erreicht gewesen wäre. Dies sei auch in der Bedienungsanleitung so vorgesehen.
Wir erinnern uns: Im vorliegenden Fall hatte die Versicherungsnehmerin den Druck permanent auf einen Arbeitsdruck von 5 bar eingestellt. Sie hatte also Sauerstoff über das Hauptventil eingelassen bei bereits bestehendem Druck. Es kam hierbei nach Öffnung des Hauptventils zu einem schlagartigen Druckanstieg und einer erheblichen Temperaturerhöhung, wodurch das Metall des Druckminderers im Sauerstoffstrom verbrannte. Diese Umstände sprechen tendenziell für eine Verantwortlichkeit der Versicherungsnehmerin.
Durch das von der Haftpflichtversicherung finanzierte Gutachten wurde jedoch auch festgestellt, dass eine Unterweisung in die Anlage durch ein Fachunternehmen erfolgte. An diese Unterweisung hatte sich die Versicherungsnehmerin stets gehalten. Anhaltspunkte, an dessen Expertise oder der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, gab es aus Sicht der Versicherungsnehmerin nicht. Ohne Kenntnis von deren Existenz brauchte die Versicherungsnehmerin auch nicht nach einer Bedienungsanleitung zu fragen. Ein Brandereignis war somit für die Versicherungsnehmerin nicht vorhersehbar.
Darüber hinaus stellte der Gutachter fest, dass bei einer anderen („richtigen“) Art des Flaschenöffnens der Brand nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre. Zur Brandauslösung können geringste Verunreinigungen im Sauerstoffzufluss genügen, was jedoch im Nachhinein nicht mehr überprüft werden konnte. Die fraglichen Teile standen hierfür nicht mehr zur Verfügung.
In Bezug auf den zurückgelassenen Patienten handelte die Versicherungsnehmerin ebenfalls nicht vorwerfbar, da sie über dessen Verbleib in der Praxistoilette nicht informiert war. Das Strafverfahren wurde somit für die Versicherungsnehmerin ohne Nachteile eingestellt, da die Tatbestandsvoraussetzungen nicht nachgewiesen werden konnten.
Zwar sind die Voraussetzungen einer zivilrechtlichen Haftung nicht gleich mit denen der Strafbarkeit. Die Anforderungen an Vorwerfbarkeit und Kausalität sind jedoch ähnlich. Daher ging die Haftpflichtversicherung auch nicht von einer haftungsrechtlichen Verantwortung der Versicherungsnehmerin aus und hat dies an die übrigen Beteiligten kommuniziert und entsprechend begründet.
Bisher verfolgt lediglich der verletzte Patient einen Anspruch weiter. Hierzu wurde Klage vor dem Landgericht eingereicht gegen die Praxis und deren Inhaber sowie auch gegen die Versicherungsnehmerin. Der Ausgang dieses Zivilverfahrens bleibt abzuwarten.
Fazit
Installation und Betrieb sicherheitsrelevanter Anlagen in Arztpraxen müssen nicht nur dem Stand der Technik entsprechen, um Gefahren zu vermeiden. Eine fachkundige Unterweisung und gewissenhafte Bedienung sind geeignet, Gefahren vorzubeugen, und hilfreich, um im Schadenfall Verantwortlichkeiten sachgerecht aufzuklären. Eine umfassende Haftpflichtversicherung ist hierbei eine sinnvolle und wichtige Unterstützung.
Quelle: RA Sascha Hebben/HDI Versicherung AG, Köln