Rechtsdepesche: Was genau machen Sie und Ihre Mitarbeiter in der Post-Vac-Ambulanz, worum geht es da genau?
Prof. Dr. Bernhard Schieffer: Mit Post-Vac beschäftigen sich im Moment nicht so viele, mit Long Covid schon. Post-Vac ist so ein Thema, was wir nehmen, weil es für uns das Beispiel ist, wie Long Covid entsteht. Denn das Anti-Gen ist ja das gleiche, was verimpft wird und welches in Ihren Körper kommt, wenn das Virus Sie befällt. Insofern haben wir das mal eine ganze Zeit lang getrennt, um die Patienten parallel zu beobachten. Und festgestellt, dass die klinische Symptomatik identisch ist.
„Post-Vac ist Long Covid nach Impfung“
Dann haben wir entsprechende Grundlagenforschung in unseren verschiedenen Arbeitsgruppen gestartet, die in dem kleinen Fenster, in das wir reingeguckt haben auch gezeigt haben, dass Post-Vac letztlich Long Covid nach Impfung ist.
Im Verhältnis, muss man auch dazu sagen, hat sich gezeigt, dass die Mehrheit unserer Patienten tatsächlich Long Covid-Patienten nach Infektion sind.
Rechtsdepesche: Was für Menschen kommen zu Ihnen, welche Vorerkrankungen sind besonders häufig?
Schieffer: Die Menschen, die zu uns kommen, das sind so Menschen wie Sie und ich, die durch die Erkrankung aus dem Leben gerissen wurden und uns um Hilfe ersuchen. Unsere Umfragen haben ergeben, dass es sich in der Mehrzahl um jüngere Frauen handelt mit autoimmunologischen, allergischen oder infektiologischen Vorerkrankungen.
Rechtsdepesche: Können Sie da Beispiele nennen bitte, welche Erkrankungen sind das?
Schieffer: Psoriasis, Rheumaerkrankungen – da gibt es Patienten, die chronische Infektionen haben, die nicht gut abgeheilt sind oder bisher nicht diagnostiziert waren. Darmerkrankungen oder chronische Infektionen, die nicht gut abgeheilt sind. Ganz unterschiedliche Erkrankungen, die sich aber immer um das Thema „bestehende Vorerkrankungen“ aus dem entzündlichen Formenkreis drehen.
Rechtsdepesche: Inwieweit können Sie jetzt schon sagen, dass das Antigen, das sogenannte Spike-Protein die Entzündungen fördert?
Schieffer: Das können wir in dieser Form nicht sagen, weil wir natürlich keinen „Punkt Null“ haben, das heisst bei vielen Patienten fehlen uns entsprechende Analysen von der Impfung oder Infektion. Wir sehen ja nur eine Entzündungsreaktion, die nicht abheilt oder nicht bewältigt wird durch den Körper.
Rechtsdepesche: Gibt es denn – wenn Sie sagen, dass die Symptome ja gleich sind, ob man durch die Krankheit gegangen oder geimpft ist – in irgendeiner Form einen zeitlichen Unterschied in der Häufung, beispielsweise vor oder nach Beginn der Impfkampagne?
„Schmuddelecken-Diskussion“ abstellen
Schieffer: Nein. Es ist jetzt erst in den letzten 12 Monaten deutlich hochgekommen. Erst in den letzten eineinhalb Jahren haben wir eine gewisse Präsenz dieses Themas, vorher mögen die Symptome dagewesen sein, aber sind vielleicht nie adressiert worden.
Da kommen Leute, die werden geimpft und drei Wochen später geht es ihnen schlecht. Man denkt an nichts Böses und wird erstmal vom Hausarzt abgetan. Dann dauert es erstmal eine gewisse Zeit, auch mit entsprechender medialer Wirkung, dass eine Erkrankung auch als eine Erkrankung anerkannt wird. Das dauert!
Bei HIV hat das zwei bis drei Jahre gedauert, bis man diese ganze „Schmuddelecken-Diskussion“ abgestellt hat und gesagt hat: Wir haben es hier mit einer neuen Virusinfektion zu tun, die wir lernen müssen zu diagnostizieren und zu behandeln.
Rechtsdepesche: Ihre Arbeit trägt meiner Einschätzung nach zur Versachlichung der Debatte bei. Ist es das, was Sie sich auch persönlich gewünscht haben?
Schieffer: Ja, allerdings habe ich ja eben diese „Schmuddelecken-Diskussion“ erwähnt. Es wäre wirklich gut, wenn wir von Anfang an das Ganze mit einem Register, mit wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Impfwirkungen verfolgt hätten. Weil wir dann viel eher diese emotionale Welle, die immer wieder über uns hereinbricht, hätten auffangen können. Und sagen können: Das und das ist das Problem, so sieht es aus, wir suchen nach Lösungen.
Unterm Strich führt ja an einer Impfung grundsätzlich nichts vorbei. Man muss sich die Risikopatienten aber genauer anschauen. Es war immer unser Ziel als Mediziner, die Bevölkerung zu schützen, indem wir sie impfen. Wir haben aktuell über 190 Millionen Dosen verimpft in Deutschland, soviel wie noch nie.
Dass bei dieser Menge eine noch so geringe Nebenwirkung in dramatischer Höhe auftaucht, war fast vorhersehbar. Da sind wir dann schnell bei 40.000–50.000 Menschen im Land, die betroffen sind. Auf der anderen Seite muss man sehen: Dass diese Menschen sich dann nicht verstanden fühlen, das muss man aber auch unbedingt respektieren.
Studie zu Post-Vac in Arbeit
Rechtsdepesche: Sie arbeiten an einer Studie dazu. Wann wird diese abgeschlossen sein und kristallisiert sich schon ein Ergebnis heraus?
Schieffer: Wir analysieren im Moment mit unseren Bioinformatikern riesige Datenmengen. Wir haben jetzt ungefähr 600 Patienten gesehen, also in den letzten 12 Monaten komplett aufgearbeitet. Daduch dass ein Großteil unserer Patienten aber immer wieder Infektionen hatte, ist es extrem schwierig, zu sagen, was ist Henne und was ist Ei. Das macht uns das wissenschaftliche Leben im Augenblick wirklich schwer.
Rechtsdepesche: In welche Richtung schlägt diese Studie denn aus?
Schieffer: Eine der wichtigsten Aussagen ist, dass das Post-Vac-Syndrom – wie es im Augenblick beschrieben wird – tatsächlich ein Long Covid nach Impfung ist. Das ist eine der wichtigsten Aussagen, die wir tätigen. Wir gucken in verschiedenste Zell-Kompatimente hinein, die bei Coronainfektionen eine Rolle spielen.
„Natürlich haben Impfungen Nebenwirkungen“
Rechtsdepesche: War es von Herstellern und Politik vielleicht zu Beginn der Kampagne etwas verfrüht zu sagen, diese neuartige Impfung werde gar keine Nebenwirkungen haben, wie auch von Minister Lauterbach versichert. Was ist aus Ihrer Sicht überhaupt von einer solchen Aussage zu halten? Gibt es überhaupt Impfungen ganz ohne Nebenwirkungen?
Schieffer: Eine Impfung ganz ohne Nebenwirkungen ist mir nicht bekannt, aber ich bin kein Immunologe. Ich bin verantwortlich für das was nach der Impfung kommt. Wir sehen die Patienten und natürlich haben Impfungen Nebenwirkungen. Darüber klären wir unsere Patienten ja auch auf.
Rechtsdepesche: Welche Therapieansätze empfehlen Sie? Oder was könnte denn das Leid Ihrer Patienten lindern? Auf welche Straße bringen Sie sie?
Schieffer: Was man untersuchen muss, ist der global zugrunde liegende Mechanismus der individuellen Nebenwirkung – den schauen wir uns an. Den Mechanismus der Entzündungs-Vermittlung und der Entzündungs-Modulation. Das ist wichtig für uns. Wir versuchen mit therapeutischen Ansätzen dem Prozeß Herr zu werden.
Dazu zählt allerdings auch eine detektivische Analyse sämtlicher Einflussmöglichkeiten. Das fängt bei der Hausstaubmilben-Allergie an, geht über Nahrungsmittelunverträglichkeiten bis hin zu irgendwelchen Parasiten-Infektionen. Und da ist jeder Patient anders. Jeder lebt in einer anderen Umgebung.
„Neue Strukturen schaffen für Behandlung“
Wichtig ist, dass wir einerseits in Deutschland Strukturen schaffen, die uns langfristig die Versorgung dieser Patienten ermöglicht. Und nicht alle wieder sagen: Es gibt doch die Hausärzte oder Fachätzte. Natürlich muss hier eine enge Sektor-verzahnende Versorgung stattfinden. Wir brauchen Schwerpunkt-Zentren, die entsprechend gefördert werden, damit so etwas ablaufen kann. Bisher hält man sich da sehr bedeckt.
Das heisst: Das Credo muss sein, nicht nur mit den üblichen Fördermassnahmen und jahrelangen Antragsstellungen zu wissenschaftlicher Arbeit zu kommen, sondern das als Schwerpunkt für die Long Covid-Erkrankung Strukturen geschaffen werden, die uns helfen, die Erkrankung zu verstehen und dann auch therapeutisch zu beherrschen.
Das wichtigste ist die Wissenschaftlichkeit. Es gibt da eine Parallele: Als ich jung war, haben wir jeden Artikel verschlungen, der über HIV kam. Da tauchte plötzlich eine anonyme Erkrankung bei Homosexuellen in New York auf und die starben reihenweise. Das war Anfang der 1980er Jahre, ich habe gerade angefangen zu studieren.
Und am Ende meiner Karriere kommt so eine Erkrankung nochmal. Die wichtigste Frage, die hier ein Mediziner beantworten muss ist: Warum geht es dem Patienten schlecht, warum ist das so?
„Jeder fünfte bekommt Long Covid“
Und dann schauen Sie genau hin und finden plötzlich ganz spannende, neue Befunde. Für den Mediziner spannend, für den Patienten natürlich schwierig zu verstehen, weil er war ja vorher gesund. Und dann versuchen wir durch Ausschluss tatsächlich eine Diagnose herzustellen.
Heutzutage haben wir den ICD-Code (Diagnoseschlüssel, die Red.), wir wissen, dass diese Patienten nicht nur unter den Deckmantel der neuropsychiatrischen Erkrankung fallen, sondern dass sie tatsächlich somatisch erkrankt sind.
Alleine das hilft den Patienten schon. Aber jetzt muss sozusagen die zweite Stufe der Rakete gezündet werden, indem man Strukturen schafft, die diese Patienten weiter versogen. Sie dürfen nicht vergessen: Mit jeder Infektion von Corona produzieren wir zu 20 Prozent einen Long Covid-Fall. Jeder fünfte bekommt Long Covid.
Und mit jeder doppelten Infektion, die sich die Menchen einfangen, sind Sie ganz schnell wieder bei einer Welle. Das Virus mutiert ja in einer Geschwindigkeit, dass wir erwarten können, dass uns die nächste Welle im Frühsommer erwischt.
Rechtsdepesche: Erwarten Sie denn eine Variante, die unter Umständen wieder gefährlicher werden könnte? Was meines Wissens nach in der Geschichte der Virologie einmalig wäre.
„Ein Virus will seinen Wirt nicht zerstören“
Schieffer: Nicht bei den Varianten, die bei uns existieren. Aber es kann natürlich sein, dass irgendwo in Asien wieder eine neue Welle entsteht, aber nicht in der nächsten Zeit.
Wenn man sich mal den Zeitverlauf anschaut: SARS-COV 1 war im Jahr 2002, dann hat es fast 20 Jahre gedauert bis SARS-COV 2 kam. Auch wenn man weiter vermuten mag, dass das vielleicht eine „Laborente“ ist. So ist doch klar: Das Virus ist mutiert. Oder es hat die Tendenz zur Mutation. Grundsätzlich ist es doch so: Ein Virus hat ja nicht das Ziel, seinen Wirt zu zerstören. Es will sich ja mit dem Wirt und seiner genetischen molekularen Zellmaschinerie vermehren. Das ist ja die Biologie dahinter. So funktioniert ja Leben.
Das Ebola- und auch das Marburg-Virus sind natürlich Extreme, die ihren Wirt zerstören. Die will man nicht in der freien Natur sich mutieren lassen. Prinzipiell würden diese Viren aber auch irgendwann mal weniger mutagen werden.
Rechtsdepesche: Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person: Prof. Dr. Bernhard Schieffer ist Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin am Universitätsklinikum in Marburg. Er gehört zu den international führenden Forschern zu den Ursachen und Folgen von Long-COVID-Symptomatiken nach Coronainfektionen sowie zum Post-Vac-Syndrom, einer Long-COVID-Symptomatik nach einer COVID-Impfung.