Kündigung
Wann ist eine Kündi­gung rechtens? Bild: viarami / Pixabay

Kündi­gung – der Arbeit­ge­ber setzt einen einfach vor die Tür! Wer Missstände an seinem Arbeits­platz meldet oder öffent­lich macht, wird aus Sicht seines Arbeit­ge­bers ganz sicher nicht sympha­ti­scher. Ein Risko, dass der Wunsch nach einer Kündi­gung beim Arbeit­ge­ber reifen könnte, ist das immer – auch heutzu­tage. Aber es hat sich in der Recht­spre­chung etwas getan.

Zuletzt haben die Beschrei­bun­gen von Andrea Würtz große Aufmerk­sam­keit in Deutsch­land und auch inter­na­tio­nal erregt: Die gelernte Kinder­kran­ken­schwes­ter deckte den Skandal rund um das Senio­ren­heim am Schlier­see auf.

Sie sagt: „Mich stellt keiner mehr ein!“ Denn: Wer will schon eine „Nestbe­schmut­ze­rin“ in seinem Betrieb, so Würtz ein wenig verbit­tert im Gespräch mit der Rechts­de­pe­sche. Sie versteht sich als sogenannte „Whist­le­b­lo­we­rin“, die die Sache über ihr persön­li­ches Schick­sal gestellt hat.

Schutz vor Kündi­gung durch neues Gesetz

Zum Schutz von sogenann­ten „Whist­le­b­lo­wern“ wurde das Hinweis­ge­ber­schutz­ge­setz im Jahr 2023 in Kraft gesetzt. Das besagt im Kern folgen­des:

Das neue Hinweis­ge­ber­schutz­ge­setz gilt seit Juli 2023. Jetzt müssen Unter­neh­men Melde­ka­näle für Hinweise zu Straf­ta­ten, Ordnungs­wid­rig­kei­ten und Verstöße gegen das Gesetzt einrich­ten. Wer auf Unrecht am Arbeits­platz hinweist, den schützt das Gesetz vor einer Schlech­ter­be­hand­lung durch den Arbeit­ge­ber

Konse­quen­zen für Alten­pfle­ge­rin

Ein Fall, der schon etwas länger zurück­liegt, aber deutlich aufzeigt, welcher Ärger und welche Konse­quen­zen vor der Einfüh­rung des neuen Geset­zes gedroht haben:

Eine Berli­ner Alten­pfle­ge­rin, die in einem Alten­pfle­ge­heim tätig war, zeigte in den Jahren 2003 und 2004 mehrfach gegenüber ihrer Arbeit­ge­be­rin die Überlas­tung des Perso­nals an: Es sei nicht möglich die Pflegebedürftigen ausrei­chend zu versor­gen und für die Dokumen­ta­tion der Pflege­leis­tun­gen stünde zu wenig Zeit zur Verfügung.

Auch der MDK stellte seiner­zeit bei einem Kontroll­be­such wesent­li­che Pflege­män­gel, einen Perso­nal­man­gel, unzurei­chende Pflege­stan­dards und Dokumen­ta­ti­ons­män­gel fest. Anwalt­lich vertre­ten forderte die Alten­pfle­ge­rin ihre Arbeit­ge­be­rin zur Darle­gung der Maßnah­men zur Gewähr­leis­tung einer ordnungs­ge­mä­ßen Versor­gung der Pflegebedürftigen auf.

Die Geschäfts­lei­tung wies die Vorwürfe zurück, worauf­hin die Alten­pfle­ge­rin gegen die Verant­wort­li­chen bei ihrer Arbeit­ge­be­rin Straf­an­zeige wegen beson­ders schwe­ren Betru­ges erstat­tete.

Schwer­punkt des Vorwur­fes war, dass die verein­bar­ten und bezahl­ten Pflege­leis­tun­gen wissent­lich nicht erbracht und hierdurch die Pflegebedürftigen gefähr­det würden. Ferner habe die Arbeit­ge­be­rin syste­ma­tisch versucht, diese Probleme zu verschlei­ern, indem Pflege­kräfte auch nicht erbrachte Leistun­gen dokumen­tie­ren sollten.

Kündi­gung folgt

Die Staats­an­walt­schaft stellte die Ermitt­lun­gen im Januar 2005 ein. Kurze Zeit später wurde die Alten­pfle­ge­rin zunächst wegen wieder­hol­ter Erkran­kun­gen ordent­lich zum 31. März 2005 gekündigt.

Nachdem sie dann die Gescheh­nisse auf Flugblät­tern öffent­lich machte, erhielt sie eine frist­lose Kündigung, gegen die sie sich in der ersten Instanz erfolg­reich vor dem ArbG Berlin zur Wehr setzte.

Die Darstel­lun­gen auf dem Flugblatt seien durch das Recht auf Meinungs­frei­heit geschützt und stell­ten kein pflicht­wid­ri­ges Verhal­ten im Sinne ihres Arbeits­ver­trags dar (Az.: 39 Ca 4775/05).

In der Berufung befand das LAG Berlin hinge­gen die Kündigung für recht­mä­ßig, hob das erstin­stanz­li­che Urteil auf und befand die Kündigung für wirksam (Az.: 7 Sa 1884/05). Durch die Straf­an­zeige habe die Alten­pfle­ge­rin im Sinne von § 626 Absatz 1 BGB ihre Loyali­täts­pflich­ten grob verletzt. Die der Straf­an­zeige zugrunde liegen­den Tatsa­chen hätten nicht erhär­tet werden können und es habe vor der Anzei­gen­stel­lung keine inner­be­trieb­li­che Klärung statt­ge­fun­den.

Die Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde vor dem Bundes­ar­beits­ge­richt blieb gleich­falls ohne Erfolg (Az.: 4 AZN 487/06).

Die Verfas­sungs­be­schwerde, mit der die Alten­pfle­ge­rin ihre Grund­rechts­ver­let­zun­gen durch die arbeits­ge­richt­li­chen Urteile rügt, wurde vom Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt nicht zur Entschei­dung angenom­men (Az.: 1 BvR 1905/07). Schließ­lich legte die Beschwerdeführerin eine Beschwerde beim Europäi­schen Gerichts­hof für Menschen­rechte (EGMR) ein und rügte eine Verlet­zung ihres Rechts auf Meinungs­frei­heit aus Artikel 10 EMRK.

Entschei­dung des EGMR

Die frist­lose Kündigung hat das Recht der Beschwerdeführerin auf Meinungs­frei­heit aus Artikel 10 EMRK unter dem Gesichts­punkt des sogenann­ten „whist­le­b­lo­wings“ verletzt.

Die deutschen Gerichte hätten zwischen dem legiti­men Inter­esse des Arbeit­ge­bers an der Wahrung seines Rufs und dem Recht der Beschwerdeführerin auf freie Meinungs­äu­ße­rung nicht hinrei­chend abgewägt und keinen angemes­se­nen Ausgleich geschaf­fen. Es besteht ein öffent­li­ches Inter­esse an den von der Alten­pfle­ge­rin offen­ge­leg­ten mutmaß­li­chen Pflege­män­geln.

Dies insbe­son­dere deshalb, weil die betrof­fe­nen Menschen mit Pflegebedürftigkeit mögli­cher­weise nicht selbst auf die Missstände aufmerk­sam machen konnten.

Nach Auffas­sung des EGMR musste die Alten­pfle­ge­rin bei der vorlie­gen­den Sachver­halts­kon­stel­la­tion auch keine weitere, der Straf­an­zeige vorher­ge­hende inner­be­trieb­li­che Klärung versu­chen. Zwar habe sie ihrer Arbeit­ge­be­rin zum ersten Mal in der Straf­an­zeige beson­ders schwe­ren Betrug vorge­wor­fen. Die vorher­ge­hen­den Hinweise auf den zugrunde liegen­den Sachver­halt hatten dem genügt.

Fazit

Was, wenn die Angst vor einer Kündi­gung dominiert? Fest steht: An der Aufde­ckung von Missstän­den im Pflege­be­reich besteht ein beson­de­res öffent­li­ches Inter­esse. Außer­dem ist die Ableh­nung der Tatsa­chen für das Vorlie­gen einer „leicht­fer­ti­gen” Falsch­an­zeige nicht von den Hinweis­ge­bern vorzu­tra­gen.

Dies alles ist nach der EGMR-Entschei­dung von der Staats­an­walt­schaft zu ermit­teln. Anhalts­punkte für wissent­lich oder leicht­fer­tig falsche Angaben sind nicht zu erken­nen. Für die Richtig­keit der geäußer­ten Beden­ken spricht auch, dass sich diese mit der Kritik des MDK decken. Die straf­recht­li­chen Ermitt­lun­gen gegen ihren Arbeit­ge­ber seien zwar einge­stellt worden.

Es kann jedoch von einer Straf­an­zeige erstat­ten­den Person nicht verlangt werden, dass das Ergeb­nis der Ermitt­lun­gen voraus­ge­se­hen wird. Die Alten­pfle­ge­rin durfte die Straf­an­zeige für erfor­der­lich halten.

Auch vermochte der Hinweis, dass die Straf­an­zeige vor dem Hinter­grund der MDK-Kontrol­len unnötig seien, nicht zu überzeugen. Frühere MDK-Beanstan­dun­gen über die Bedin­gun­gen in dem Alten­pfle­ge­heim hätten ihr gezeigt, dass diese keine Verbes­se­run­gen bewirk­ten. Das öffent­li­che Inter­esse an Infor­ma­tio­nen über Mängel in der Alten­pflege in einer demokra­ti­schen Gesell­schaft überwiegt letzt­lich das Inter­esse des betrof­fe­nen Unter­neh­mens am Schutz seines Rufes und seiner Geschäfts­in­ter­es­sen.

Der Alten­pfle­ge­rin wurde eine Entschä­di­gung von 10.000 Euro und 5.000 Euro für die entstan­de­nen Kosten zugespro­chen (Artikel 41 EMRK).