Vertreter von Spitzenverbänden im Gesundheitswesen haben die Gelegenheit genutzt und übten im Rahmen einer Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag Anfang Mai deutliche Kritik an den Plänen für eine neue Pflegereform. Mehrere Gesundheitsexperten hatten zudem im Vorfeld bereits schriftlich Stellung bezogen und noch weiteren Reformbedarf angemahnt.
Konkret ging es in der Anhörung um den Entwurf eines „Gesetzes zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege“ (Pflegeunterstützungs- und ‑entlastungsgesetz, PUEG) aus der Feder des Bundesgesundheitsministeriums. Der Entwurf ist identisch mit dem mit dem gleichlautenden Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (Drucksache 20/6544).
Pflegereform soll Stabilität und Entlastung bringen
Mit der geplanten Pflegereform sollen nach den Plänen der Verfasser die Einnahmen der sozialen Pflegeversicherung stabilisiert werden. Der Gesetzentwurf sieht hierzu eine Anhebung des Pflegebeitrags um 0,35 Punkte auf 3,4 Prozent vor.
Weiterhin soll der Pflegebeitragssatz nach der Zahl der Kinder weiter ausdifferenziert werden: Während der Gesetzentwurf eine Anhebung des Kinderlosenzuschlags auf 0,6 vorsieht, sollen Familien ab zwei Kindern von einem Abschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten für jedes Kind bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres profitieren können. Damit kommt der Gesetzgeber einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach, die aus dessen Entscheidung vom 7. April 2022 resultiert.
Als Stichtag für die beiden vorgenannten Regelung der 1. Juli 2023 vorgesehen.
Des Weiteren sieht der Gesetzentwurf zum Jahresbeginn 2024 eine Anhebung des Pflegegeldes und der ambulanten Sachleistungen um jeweils fünf Prozent sowie eine gestaffelte Steigerung der Zuschläge der Pflegekassen an die Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen vor.
Gesundheitsexperten: „notwendige Reformen nicht angepackt“
Nach Ansicht des Sozialverbandes Deutschland bleibt der vorgelegte Gesetzentwurf weit hinter den tatsächlichen Notwendigkeiten zurück. Trotz der angespannten Situation in der Langzeitpflege beschränke sich der Entwurf nur auf kurzfristig wirkende Vorschläge. Grundlegende Lösungen zur langfristigen Stabilisierung der pflegerischen Versorgung würden vertagt, so der Verband.
Dass notwendige Reformen nicht angepackt werden würden, kritisierte auch der Deutsche Pflegerat. Damit drohe der Zusammenbruch der Versorgungsstrukturen, da die Akteure ihren Auftrag nicht sicherstellen könnten. Die Anhebung der Beiträge und die geringen Anpassungen der Leistungen seien keine langfristigen Lösungen, um den Herausforderungen in der pflegerischen Versorgung entgegenzutreten.
Ähnlich argumentierte die Interessenvertretung „wir pflegen!“. Diese beklagte, dass etliche wichtige Vorhaben nicht berücksichtigt worden seien, so etwa die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen über Steuern. Die pflegerische Infrastruktur weise gravierende Lücken auf. In der Folge würden gesetzliche Leistungsansprüche nicht in Anspruch genommen werden. Weiterhin forderte der Interessenverband die Verankerung eines Rechtsanspruchs auf Tagespflege.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft mahnte eine große Systemreform an: Schon heute müssten Familien große Abstriche in der Versorgung hinnehmen, weil die Kosten einer am Bedarf orientierten Versorgung explodierten. Aus Sicht der Gesellschaft sei deshalb eine sofortige Dynamisierung der Leistungen nötig.
Carola Reimann kritiserte, mit dem Entwurf würden keine Initiativen ergriffen, mit denen Potenziale zum Erhalt und zur Förderung der Selbstständigkeit und Fähigkeiten der Pflegebedürftigen gestärkt werden könnten, um Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern. Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes betonte in der Anhörung: „Die Langzeitpflege ist eine der größten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die wir haben.“
Eine Video der Sitzung können Sie hier sehen.
Pflegereform „verdient den Namen nicht“
Scharfe Kritik kam auch aus Richtung der Arbeiterwohlfahrt (AWO). „Diese ‚Reform‘ verdient den Namen nicht. Wir warnen seit Monaten davor, dass sie die Probleme der Pflege in Deutschland nicht einmal im Ansatz zu lösen vermag. Das Beharren auf unzureichenden Konzepten zeigt, was dieser Regierung Pflege wert ist: Mit diesem Gesetz lässt die Koalition pflegebedürftige Menschen und deren An- und Zugehörige genauso im Regen stehen wie die beruflich Pflegenden“, erklärte AWO-Präsidentin Kathrin Sonnenholzner.
Aus Sicht der Caritas besteht der vorgelegte Gesetzentwurf nur aus isolierte Einzelmaßnahmen. Zwar seien einige davon durchaus begrüßenswert, so der Verband. Insgesamt stellen diese jedoch keine ganzheitliche Systemverbesserung dar, die von einer Pflegereform zu erwarten wären, erkläre die Caritas auf seiner Webseite. Und: „Die Versorgungssicherheit wird durch diese Reform nicht verbessert.“
Abstimmung wird in Kürze erwartet
Die breite Enttäuschung über die bisherigen Reformpläne scheint für neue Bewegung bei den politisch Verantwortlichen zu sorgen. Nach Berichten des Bayerischen Rundfunks sollen die Koalitionspartner intensiv hinter verschlossenen Türen über Nachbesserungen bei der Pflegereform verhandeln.
Bleibt es beim der derzeitigen Zeitplan, wird der Bundestag schon am Freitag, dem 26. Mai 2023, über die gleichlautenden Entwürfe von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie der Bundesregierung zum „Pflegeunterstützungs- und ‑entlastungsgesetz“ beraten. Hierfür sind rund 80 Minuten angesetzt.
Quelle: Deutscher Bundestag, Bundesgesundheitsministerium