Pflegekurse im Trend: Wenn man als Partnerin oder Partner, oder aber als erwachsenes Kind, seine Angehörigen pflegt, lauern zahlreiche psychologische Hürden auf einen – und auch ein sprichwörtliches „dickes Fell“ ist manchmal vonnöten. Davon weiß die Pflegeexpertin Ursula Schweitzer aus ihrer langjährigen Erfahrung zu berichten. „Ich mach‘ alles für Dich, und als Dankeschön bekomme ich alles ab – das ist die typische Gefühlswelt eines pflegenden Angehörigen“, erzählt sie. Denn die Emotionen und Sorgen des oder der zu Pflegenden bräuchten eben manchmal ein Ventil – und meist müssten ausgerechnet diejenigen daran glauben, die ihnen tatkräftig im Alltag zur Seite stehen. Denn sie sind ja nun mal da.
Zumal auch die Betreuten wüssten, dass sie sich mehr herausnehmen können als etwa bei einer externen Pflegekraft. Der professionelle Abstand aus einer Pflegeeinrichtung fehle einfach, sowohl bei den zu Betreuenden als auch bei den betreuenden Angehörigen. „Es kommt deshalb sehr darauf an, die Emotionen beim zu pflegenden Angehörigen nicht zu persönlich zu nehmen. Das ist die schwerste Übung überhaupt.“ Und wenn gar nichts mehr geht, müsse man sich selbst einen Freiraum schaffen. „Manchmal hilft es schon, mal um den Block zu gehen – oder dem Angehörigen selbst eine Ansage zu machen.“
Vielfältige Motive zur Kursteilnahme
Am St.-Elisabeth-Krankenhaus in Hohenlind, einem Quartier im Kölner Stadtteil Lindenthal, lernen alle Interessierten in eigenen Kursen, worauf es bei der häuslichen Pflege ankommt. „Was tun, wenn Hilfe zu Hause notwendig wird?“ lautet der Titel des dreitägigen Seminars für pflegende Angehörige. Kursleiterin Schweitzer ist seit 45 Jahren gelernte Krankenschwester und seit rund 30 Jahren Fachpflegerin unter anderem für Intensivpflege und Anästhesie. Seit 14 Jahren arbeitet sie außerdem als Trainerin für Kinaesthetics, der Bewegungslehre.
Mit ihrer Kollegin Angelika Sonnenberg, die den zweiten Pflege-Seminartag übernimmt, gibt sie seit langer Zeit die kostenlosen Kurse im Dachgeschoss auf der fünften Etage des Klinikums, mit traumhaftem Blick über den grünen Kölner Westen – bis zu den am Horizont erkennbaren, derzeit im ukrainischen Blau-Gelb leuchtenden Flutlichtsäulen des Rhein-Energie-Stadions, der Heimspielstätte des 1. FC Köln.
Die Gruppe der Teilnehmenden ist diesmal bunt gemischt, ihre Motive vielfältig: Ein Paar im Rentenalter ist mit seiner 47-jährigen Tochter beim Kurs dabei; die Mutter hatte durch einen Fahrradunfall im vergangenen Jahr, bei dem sie sich eine Schulterverletzung zuzog und in der Folge keinen Pflegedienst gefunden hatte, selbst die Erfahrung gemacht, vorübergehend auf häusliche Pflege angewiesen zu sein. Eine Frau im mittleren Alter hat zahlreiche Krankheitsfälle im Freundes- und Bekanntenkreis miterlebt und will deshalb für einen ähnlichen Fall vorsorgen.
Und eine ältere Kursteilnehmerin leidet, wie ihr Mann, unter chronischen Krankheiten; sie habe sich entschlossen, das Heft des Handels selbst in die Hand zu nehmen, anstatt „wie das Kaninchen auf die Schlange zu schauen“ und passiv abzuwarten, was noch alles passiere, wie sie sagt. Sechster im Bunde ist der Autor, dessen Schwiegermutter selbst auf Pflege angewiesen ist und der bei gemeinsamen Ausflügen oder Reisen bei ihrer Versorgung mithilft. Ein Achillessehnen-Riss im vergangenen Jahr hatte ihm außerdem ebenfalls vor Augen geführt, wie es sich anfühlt, ein (zeitweiliger) Pflegefall und auf die Mithilfe von Angehörigen angewiesen zu sein.
Rund 2,3 Millionen Menschen in Deutschland werden durch Angehörige gepflegt
Insgesamt ist der Bedarf für Pflegekenntnisse bei Angehörigen in Deutschland riesengroß: Laut einer Auswertung des Statistischen Bundesamtes wurden vier von fünf der insgesamt 4,1 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland – also knapp 3,3 Millionen Menschen – im aktuellsten vorliegenden Berichtsjahr 2019 zu Hause versorgt, nur etwas mehr als 800.000 Menschen lebten stationär in einem Pflegeheim.
Von den 3,3 Millionen zu Hause lebenden Pflegebedürftigen übernehmen bei 2,33 Millionen von ihnen Angehörige (nahezu) vollständig die Pflege – nur bei den verbleibenden 0,98 Millionen Pflegebedürftige in Privathaushalten übernehmen ambulante Dienste die Pflege komplett oder vorwiegend. Doch nur ein Teil davon wird, entweder durch eine eigene Tätigkeit in der Pflege oder etwa Zivil- beziehungsweise Freiwilligendienst im Krankenhaus oder Seniorenheim, Vorkenntnisse haben. Vor allem an den Rest richten sich die Kurse, die nach §45 SGB XI eine Leistung der Pflegekassen sind.
Beim Pflegekurs, hier unterstützt durch die AOK Rheinland/Hamburg, erhalten die Angehörigen wertvolle Hilfestellungen und Techniken vermittelt: Wie schafft man es etwa, dem Betreuten beim Aufstehen aus einem Stuhl zu helfen? Die Antwort ist hier verblüffend einfach: Nicht etwa durch grobes Packen unter den Armen, sondern durch sanftes Ziehen an beiden Händen – natürlich mit zuvor gesicherter stabiler Position der Beine des Betreuten. Beim Hinsetzen ist es ratsam, die zu betreuende Person zuvor mit der rechten Hand die Lehne anfassen zu lassen, um einen gefühlten „Fall ins Leere“ zu vermeiden.
In Gruppenübungen lernen die Teilnehmenden, wie leicht die Technik anwendbar ist. Oder für die Hilfe beim Gehen, mit und ohne Rollator-Unterstützung – hier bietet sich eine Umklammerung der Hüfte mit der einen Hand, und dem Führen der Hand des Betreuten mit der anderen, an.
Wenn der Ton die Musik macht…
Und bei alledem macht auch wieder der Ton die Musik: Eine richtige Ansprache ist essenziell, die die Perspektive des zu Betreuenden einnimmt. „Ich unterstütze Dich beim Aufstehen – das erzielt eine ganz andere Wirkung als ‚ich hol Dich jetzt mal aus dem Stuhl‘“, erläutert Schweitzer. Während das eine aktivierend und partnerschaftlich wirke, sei das andere passiv und entwertend – und führe zu Frustration und Minderwertigkeitsgefühlen. Im weiteren Kursverlauf lernten die Teilnehmenden das richtige Positionieren im Bett und Dekubitus-Prophylaxe, die Thrombose-Prophylaxe, die Unterstützung bei Mahlzeiten und die Assistenz bei Toilettengängen kennen. Nach erfolgreich absolviertem Kurs erhalten alle eine Urkunde, die die Teilnahme am Seminar bestätigt. Und alle gehen aus dem Kurs in den Sommerabend hinaus – den Kopf gefüllt und erschöpft, aber auch erleichtert.
Bei der AOK Rheinland/Hamburg haben sich die Pflegekurse bestens bewährt. „Zum 1. Januar 2019 haben die AOK Rheinland/Hamburg und die AOK NordWest (Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe, d. Red.), jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich, den dortigen Krankenhäusern einen Vertrag zur Durchführung von Pflegekursen angeboten“, erläutert eine Sprecherin der gesetzlichen Kasse. Vorausgegangen sei ein mehrjähriges Projekt mit der Universität Bielefeld, um den Übergang von der stationären Pflege nach einem Klinik-Aufenthalt zur häuslichen Pflege zu verbessern.
Zum 1. Januar 2019 haben die AOK Rheinland/Hamburg und die AOK NordWest, jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich, den dortigen Krankenhäusern einen Vertrag zur Durchführung von Pflegekursen angeboten. „Dieses bis Ende 2018 durchgeführte Projekt war sehr erfolgreich“, so die Sprecherin. Daher habe man sich entschlossen, das Angebot in die Regelversorgung zu übernehmen.
Pflegekurse: 230 Kliniken im NRW-Rheinland und in Hamburg machen mit
Aktuell böten alleine insgesamt 230 Kliniken im NRW-Teil des Rheinlands sowie in Hamburg die Kurse an, ein quasi flächendeckendes Angebot. Auch die AOK Nord-Ost (Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern) biete ein vergleichbares Angebot. Die Website des AOK-Bundesverbands, mit Suchfunktion, bietet für Interessierte Recherchemöglichkeiten nach Pflegekursen in der Nähe.
1 Kommentar
Hallo Zusammen, ich finde das ist eine wunderbare Unterstützung.
Bitte ersetzten Sie in Ihrem Artikel das Wort „Lagern“ durch positionieren. Das Wort „Lagern“ wurde bereits vor Jahren durch positionieren ersetzt, da nur Material gelagert wird und keine Menschen.
Vielen Dank.
Ursula Borgiel
Integrationsbeauftragte
Krankenschwester und Fachbuchautorin