Eine Woche nach dem spektakulären spätabendlichen Notruf einer Pflegerin in einem Berliner Seniorenheim, der überregional für Aufmerksamkeit sorgte, hat der Vorfall nun personelle Konsequenzen: Der Träger der Einrichtung in Berlin-Lichtenberg, die Domicil-Gruppe, hat die Heimleitung ausgetauscht.
Zudem wurde auch eine andere Pflegedienstleistung eingesetzt.
Man bedaure den Vorfall rund um die Heimleitung zutiefst, schreibt die Gesellschaft in ihrer Stellungnahme. Die Ursache sei ein technisches Problem gewesen: Aufgrund eines EDV-Problems sei die Buchung einer Zeitarbeitskraft mit entsprechender Qualifikation, die im Fall fehlender eigener Kräfte einspringt, nicht wie üblich per E‑Mail verschickt worden.
Heimleitung ausgetauscht
„Dieser Fehler hätte bemerkt werden müssen, ebenso wie das Ausbleiben einer Rückbestätigung durch die Leiharbeitnehmer-Vermittlung. Zusätzlich waren an diesem Abend beide Vorgesetzten nicht erreichbar, entweder weil das Diensttelefon nicht mitgeführt wurde oder weil der Akku des Telefons zu dieser späten Stunde entladen war und sich das Telefon abgeschaltet hatte.“
Eine Gefährdung der 142 Bewohnerinnen und Bewohner habe aber nicht bestanden, da stets eine Pflegefachkraft vor Ort und im Dienst war, die von drei Pflegehilfskräften unterstützt worden sei, betont Domicil weiter.
Die zuständige Heimaufsicht hat inzwischen angekündigt, den Vorfall nochmals zu prüfen.
Bestürzte Reaktionen auf Notruf
Der Notruf hatte über Berlin hinaus für Reaktionen gesorgt. Christian Zander, Mitglied der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, sieht die schlechten Bedingungen in der Pflege, die zu Kündigungen und Arbeitszeit-Verringerungen führten, als Mitursache für den Vorfall.
„Rein theoretisch gibt es genügend Pflegekräfte in Berlin. Aber die Arbeitsbelastung ist so groß, dass sie oftmals nur in Teilzeit arbeiten. Viele sind aus dem Pflegeberuf ausgeschieden, haben sich einen anderen Job gesucht“, sagte er der Bild-Zeitung.
Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), sah die Schere zwischen der steigenden Zahl von Pflegebedürftigen und der sinkenden Ausbildungszahlen in der Pflege als logische Ursache.
Verbindliche Personalstandards gefordert
„Es ist unerträglich, dass so etwas vorkommt“, erklärte Gisela Neunhöffer, stellvertretende Landesfachbereichsleiterin der Gewerkschaft Verdi für Pflege in Berlin und Brandenburg. „Gut daran ist nur, dass durch den Vorfall in Lichtenberg der Personalmangel in den Pflegeheimen in den Fokus des politischen Interesses rückt.
Dieser Fall muss Anlass sein, die grundsätzlichen Probleme in den Blick zu nehmen und politisch zu handeln.“ Es gelte nun, verbindliche Personalstandards auf Berliner Landesebene festzulegen. „Wenn jetzt nicht politisch gehandelt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis das nächste Mal Notarzt und Feuerwehr ausrücken müssen, weil in einem Pflegeheim das Personal fehlt“, so Neunhöffer weiter.
Bereits 2015 hatte es in Berlin schon einmal einen vergleichbaren Fall in einem Pflegeheim gegeben: Weil in der Einrichtung in Berlin-Rudow, im Süden der Hauptstadt gelegen, an einem Sonntagmorgen im November keine ausreichend qualifizierte Pflegefachkraft zur Verfügung stand, die einem von Diabetes betroffenen Bewohner sein Insulin verabreichen durfte, wählte eine Pflegerin die 112.
Ein Mitarbeiter eines anderen Wohnbereichs des Hauses hatte es zuvor abgelehnt, für die Medikamentengabe einzuspringen. Auf einen daraufhin erfolgten Notruf der Angehörigen des Bewohners bei der Polizei hatte diese der Pflegerin wiederum geraten, die Rettungskräfte zu verständigen.
Auch die Pflegepionierin und emeritierte Professorin der Universität Witten/Herdecke, Prof. Dr. Angelika Zegelin, hatte im Oktober vergangenen Jahres als Patientin in einem Krankenhaus einen Notruf abgesetzt. Sie hatte sich in der Nacht einen Fuß abgeklemmt, auf ihr Zimmer-Rufsignal sei auch nach langem Warten keine Reaktion erfolgt. Insgesamt berichtete sie von einem sehr schlechten Niveau der Pflege bei ihrem Krankenhaus-Aufenthalt, den sie infolge ihres Sturzes und der Einsetzung eines neuen Hüftgelenks absolviert hatte.
„Tja, all dies was ich 50 Jahre in der Pflege gelehrt und auf den Weg gebracht habe, findet nicht mehr statt“, zog sie ein deprimierendes Fazit ihres Klinik-Aufenthalts.
Nachtschicht-Ablösung stand nicht zur Verfügung
Die Ereignisse von vor einer Woche hatten über Berlin hinaus für Aufsehen gesorgt: Am Abend des 15. April hatte die Pflegerin verzweifelt auf ihre Ablösung für die Nachtschicht gewartet. Für den nächtlichen Dienst sei keine examinierte Fachkraft in der Einrichtung vorhanden gewesen, die befugt war, den Bewohnern des Pflegeheimes ihre Medikamente zu verabreichen.
Nachdem sie vergeblich versucht hatte, den Bereitschaftsdienst und die Heimleitung telefonisch zu verständigen, setzte sie gegen 22.30 Uhr einen Notruf ab, woraufhin Polizei und Rettungskräfte ins Haus kamen.
Letztendlich war der Einsatz jedoch glimpflich verlaufen: Nachdem die Einsatzkräfte das zuständige Bezirksamt und den Katastrophenschutzbeauftragte verständigt hatten, sei es nach einiger Zeit gelungen, die Heimleitung schlussendlich noch zu erreichen.
Dies Heimleitung hatte das Problem der fehlenden Schichtbesetzung lösen können, indem sie eine entsprechend ausgebildete Person für den Nachtdienst herbeiholte.