Ein sehr buntes Programm erwartete die rund 100 Gäste beim gemeinsamen Satellitensymposium „Risiken erkennen – Risiken minimieren“ im Rahmen der 12. Pflegefortbildung des Westens (JHC) am Nachmittag des 23. Mai: Dort ging es um die sehr unterschiedlichen Themen Qualitätsmanagement in der Pflege, juristische Fallstricke der Delegation ärztlicher Aufgaben an Pflegekräfte sowie neue Alternativen zur Zigarette. Drei komplett verschiedene Dinge also; jeder Themenbereich aber war auf seine Weise interessant.
Mit Argusaugen auf die Heimaufsichts- und MDK-Prüfberichte in den Einrichtungen des Korian-Konzerns schaut Diplom-Pflegewirt Sascha Saßen. Für das französische Unternehmen, das 743 Pflege- und Seniorenheime mit 49.000 Mitarbeitern und 250.000 Bewohnern in Frankreich, Deutschland und Italien unterhält, hat er ein engmaschiges Qualitätsmanagement-System aufgebaut. In seinem Vortrag „Sind pflegebezogene Risiken beherrschbar?“ erzählte er aus seinem Alltag und erläuterte das Konzept.
Die Kunst des Qualitätsmanagements
Sein Credo: Ein Qualitätsmanagement muss pro-aktiv sein, also Fehler und Gefahrenquellen von sich aus erkennen, statt nur auf Beanstandungen zu reagieren. Dabei unterscheidet er zwischen Antizipation, also dem Voraussehen von Problemen, und dem Containment, der Eindämmung bereits eingetretener Problemfälle. „Wir hatten eine Abteilung, die intern MDK-Prüfungen simuliert hat“, erinnert er sich. „Aber wenn die was bei einem Bewohner fanden, wurde das brav behoben. Niemand kam aber auf die Idee, dass das Problem auch bei anderen Patienten relevant sein könnte.“ In sein hausinternes Klassifizierungs-System fließen die Prüfberichte von Heimaufsicht und MDK, aber auch des internen Risiko-Audits, des Qualitäts-Audits und des „High Reliable Managements“ (HRO) ein und ergeben eine Gesamtnote, von der guten Kategorie A bis zur schlechtesten Kategorie D.
Beim „High Reliable Management“ komme es darauf an, Risiken aus Einrichtungs- und aus Mitarbeiter-Perspektive zu betrachten – denn nicht jeder Mitarbeiter sei gleichsam qualifiziert, Stärken, Schwächen und Prioritätensetzung unterscheide sich von Mensch zu Mensch. „Glauben Sie, dass jemand Pilot geworden ist, um Passagiere sicher von A nach B zu transportieren? Nein: sie sind Piloten geworden, weil sie fliegen wollen!“ brachte er ein Beispiel aus der Luftfahrt. Frei übertragen auf die Pflege: Auch der beste Pflegepraktiker könne etwa bei der leidigen Dokumentation schludern. „Und manchmal muss man auch neue Wege gehen – wie ein Torwart, der mit nach vorne geht und ein Kopfballtor erzielt, oder der erste Mensch, der auf die Idee kam, ein Feuer mit einem Gegenfeuer zu bekämpfen.“
Die Delegation in der Pflege – ein vermintes Terrain
Was passieren kann, wenn in einem Pflegeheim ein Hausmeister nebenbei auch Insulinspritzen setzt, musste eine Einrichtung aus Baden-Württemberg vor einigen Jahren erfahren. Obwohl er von der Heimleitung geschult worden war, Patienten-Einwilligungen für das Spritzensetzen an sich sämtlich vorlagen, niemand zu Schaden kam und es auch niemals Grund zu inhaltlichen Beanstandungen kam, wurden das Heim und der Hausmeister letztlich vom Landgericht zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. „Eine Patienteneinwilligung gilt eben nur für fachlich kompetente Behandlung“, erläuterte der Kölner Rechtsanwalt Hubert Klein. „Sie setzt implizit voraus, dass der Eingriff durch eine materiell und formell qualifizierte Kraft erfolgt.“ Und die Grunddenke unter Juristen sei nun mal: „Ärzte dürfen alles, die Pfleger dürfen nur assistieren.“
In seinem Vortrag „Gefahr erkannt – Gefahr gebannt“ machte der Spezialist für Betreuungsrecht auf die rechtlichen Fallstricke bei der Delegation von medizinischen Täten auf Pfleger aufmerksam. „Ein nicht fachgerechter Einsatz von Pflegekräften für ärztliche Aufgaben ist die pflegerische Todsünde überhaupt! Sie führt nämlich zur Beweislastumkehr“, so Klein. Allgemein gelte die Regel, dass die Pflegekraft umso schwierigere Aufgaben übernehmen kann, umso besser sie qualifiziert ist. „Aber in der Mitte verbleibt immer eine Grauzone“, merkte Klein an. Ein Beispiel ist die Medikamentengabe – nicht nur über die Verabreichungs-Technik an sich, sondern auch auf das konkrete Medikament mitsamt möglicher Nebenwirkungen, Gefahren und Notfallmaßnahmen gelte es zu schulen.
Neue Alternativen zum blauen Dunst
Deutschlands Pflegeheime und Kliniken sind Raucher-Hochburgen: Laut einer repräsentativen Umfrage rauchen 78 % der Altenpflege-Auszubildenden, 49 % der Krankenpflegeschüler und 31 % der fertig ausgebildeten Kranken- und Altenpflegekräfte – das liegt deutlich über dem Bundesschnitt von 28 %, gerade auch eingedenk des größtenteils weiblichen Personals, während in der Durchschnitts-Bevölkerung Frauen etwas weniger häufig zur Zigarette greifen als Männer. Ein kompletter Rauchverzicht kommt für nur wenige in Frage – doch wie sieht es mit weniger schädlichen Alternativen aus?
Das Schädliche am Rauchen ist nicht das Nikotin, sondern die Tausenden an Chemikalien, die im Rauch enthalten sind. Das Nikotin macht zwar abhängig und ist der Grund, warum der Raucher Zigaretten will, doch die Chemikalien sind das eigentliche Problem. Ein Mittel zur Risikominimierung sind Tabakerhitzer sowie E‑Zigaretten, bei denen nikotinhaltige Flüssigkeit erhitzt und verdampft wird, und die ohne Feuer und die damit verbundenen toxischen Substanzen auskommen.
Wer glaubt, einen eingefleischten Raucher für einen totalen Nikotinverzicht gewinnen zu können, liegt sicher falsch. Jenen kann zum Umstieg auf elektronische Alternativen geraten werden. Auch wenn der totale Rauchstopp der Goldstandard bleibt. Denn es ist – frei formuliert – der öffentlichen Gesundheit mehr geholfen, wenn nach dem Prinzip der „Harm Reduction“ eine große Zahl von bisherigen Rauchern durch die Wahl von E‑Zigaretten oder Tabakerhitzern ihr Risiko stark reduziert, als wenn nur wenige es schaffen komplett aufhören – und der Rest einfach weiterraucht wie bisher.
Eine Reihe von internationalen Studien und Behördenmeinungen stützt diese Ansicht: So stufte die britische Gesundheitsbehörde E‑Zigaretten als „zwar nicht risikofrei, doch weit weniger schädlich als Zigaretten“ ein, mit einer Risikominderung von „mindestens 95 Prozent“. Die US-Behörde FDA rechnet die Zahl von vermiedenen vorzeitigen Todesfällen auf eine Bandbreite von 1,6 bis 6,6 Millionen hoch, wenn US-weit sämtliche Raucher ab sofort auf die Alternativen umstiegen.
Die deutsche BZgA dagegen tue sich nach wie vor schwer – sie rät von den neuen Alternativen ab und propagiert weiter den totalen Nikotinverzicht als einzig in Frage kommendes Mittel. Vermutlich weil sie nicht nur auf Erwachsene, die bereits rauchen, abzielt, sondern auf jugendliche Nichtraucher, die bloß nicht anfangen sollen. Dabei sagte selbst eine Vertreterin des Deutschen Krebsforschungszentrums, dass „die kategorische Absage ans Prinzip der Harm Reduction für die Zukunft keine haltbare Option“ sei.