Die Pflegekammer und ihre Sinnhaftigkeit im Fokus: „Lassen Sie uns streiten und debattieren – das haben wir in der Pflege anscheinend nicht gelernt“, erklärt Sandra Postel gleich zu Beginn und skizziert das Hauptproblem der Szene aus ihrer Sicht. Denn die Pflege werde von der Politik nicht ernst genug genommen.
Warum – das wird sie im weiteren Verlauf ihres Vortrages erläutern. Auch, wie sie mit der Kammer dagegen halten will. Entschlossenheit strahlt Postel von der ersten Sekunde an aus. Eine Überzeugungstäterin mit Argumenten.
„Alles was wir in der Pflegekammer tun muss in die Veränderung der Prozesse einfliessen“, konstatiert sie – Raunen im Saal unter den Studentinnen und Studenten. Eine neue Debattenkultur müsse her. Die Wichtigkeit einer Kammer untermauert sie mit der These, dass „eine Pflegekammer darauf achten muss, dass Entscheidungen getroffen werden.
Sie sieht die Kammer als wesentlichen Faktor im Spiel der Kräfte des deutschen Gesundheitswesens. Denn die Pflege müsse sich behaupten neben den Gewerkschaften und Berufsverbänden.
Pflegekammer redet mit in der Politik
„Das deutsche Gesundheitssystem muss umgekrempelt werden“, sagt Postel – Zustimung im Saal, Köpfe nicken. „Die Pflege braucht den Stand, den sie verdient. Ich bin Realo: das wird nicht so kommen“, so Postel weiter. Aber: eine Kammer rede zumindest mit im Spiel der politischen Kräfte, wenn es um die Verteilung von Ressourcen geht.
Konkret wirke eine Pflegekammer in diesen Feldern mit:
- Erhaltung eines hochstehenden Berufsstandes
- Beraten von Staats- und Gemeinwesen
- Agieren als Selbstverwaltung
- Benennen von Sachverständigen
Sofort kommt Kritik aus den dicht besetzten Reihen: „Die Politik will ja gar nicht, dass die Pflege besser wird“, ereifert sich ein Student. Postel entgegnet: „Wann spüre ich, dass eine Kammer wirkt?“ Sie nennt ein Beispiel aus Rheinland-Pfalz. Dort entscheiden nun keine Betriebswirte mehr, wo welche Pflegekraft eingesetzt werden, sondern die Kammer.
Zum Beispiel beim OP-Management. Das überzeugt. Eine Studentin gesteht: „Es war mir gar nicht klar, dass eine Kammer auch dafür zuständig ist – es fehlt echt an Aufklärung!“
Das hat Sanra Postel als Hauptproblem ausgemacht. Die wenigsten wüssten um die Kernkompetenzen der Kammern und was sie tatsächlich bewirken könnten. „Wir machen deutlich, was eine Kammer alles kann. Das Bild der Pflege in Deutschland ist etwa vergleichbar mit dem Frauenbild in diesem Land in den 1960er Jahren“, sagt Postel. Überzeugungsarbeit mit markanten Thesen.
Reaktionen
Lisa-Marie Lauer (32), Fachkrankenschwester für Anästhesie, hat verstanden, was die Kammer tun kann für sie und ihren Stand: „Frau Postel ist sehr symphatisch und hat unsere Fragen gut beantwortet. Für mich ist klar: ich bleibe nicht nur Mitglied in einer Gewerkschaft, ich will auch ein aktives Kammermitglied sein. Es ist nicht so, dass wir nichts tun. Unser Beruf kann weiter gebracht werden.“
Marcel Knorr (31), Gesundheits- und Krankenpfleger für die Notfallpflege, ist begeistert von der Möglichkeit, Postel näher kennengelernt zu haben: „Das war eine konstruktive Diskussion. Besonders gut war, dass wir tief in die Materie eingestiegen sind, interessante Einblicke gewinnen konnten. Wir werden die Pflegekammer hier in NRW definitiv brauchen können!“
Zur Person: Sandra Postel ist gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Pflegepädagogin sowie Pflegewissenschaftlerin. Sie ist Vorsitzende des Errichtungsausschusses der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen. Die konstituierende Sitzung der Kammerversammlung ist für den 16. und 17. Dezember 2022 terminiert. Die Wahl des Vorstandes wird im Januar 2023 erfolgen.
2 Kommentare
Alle Achtung! So einfach ist die Überzeugungsarbeit für die Kammer?
Was, bitte schön, hat der Errichtungsausschuss in den letzten zwei Jahren gemacht?
In Zahlen:
1. Trotz Aufhebung des Datenschutz sind nicht mal 50% der ca. 230.000 Pflegekräfte vollständig registriert. Was ist da schief gelaufen?
2. Von den ca. 100.000 wahlberechtigten Pflegekräften, haben nur 20% das Wahlrecht wahrgenommen. Da hat die so „sympatische“ Frau Postel und Ihr Gefolge eher wenig überzeugen können, vor allem wenn man bedenkt das…
3. 40% der abgegebenen Stimmen an die beiden kammerkritischen Listen gegangen sind.
Es ist geradezu eine Farce, sich hinzustellen und zu behaupten, dass die Kammer eine „Starke Stimme“ der Pflege sei. Fakt ist, 90% aller Pflegekräfte haben sich gegen eine Kammer entschieden – egal wie.
Und auch in diesem Beitrag, wird wieder nicht klar dargestellt, was eine Kammer wirklich kann, sondern nur, was die Kammer glaubt zu können. Sie hat kein Stimmrecht in den wichtigsten Gremien, sie hat nur beratende Funktionen, sie spielt auf vermeintlicher Augenhöhe mit der Politik, aber nur auf dem Spielfeld, das genau diese Politik für die Kammer freigegeben hat. Schöne Worte reichen nicht, denn die vermeintliche Verbesserungen in RLP sind auch nach 6 Jahren Kammer nicht zu erkennen.
Sich jetzt aber hinzustellen, sich als Wahlsieger zu feiern und so zu tun, als ob alles prima ist, zeigt wie weit Frau Postel und ihr Gefolge weg, von der Realität sind.
Frau Postel, herzlichen Glückwunsch zur Wahl in die Kammerversammlung und zu der Einladung von Professor Großkopf !
Als Mitglied des Errichtungsausschusses, der die Kammerwahl organisiert hat und der die Wahlleitung ins Amt berufen hat, ist es ja auch nicht verwunderlich, dass sie es doch geschafft haben.
Für mich persönlich grenzt es an unlauteren Wettbewerb, wenn Personen wie sie oder Hr. Dichter vom DBfK in der Kammerwahl gegen Mitglieder von der Basis antreten, die nicht die Beziehungen, Mittel und Möglichkeiten haben, wie sie. Diese mutigen Kollegen/innen arbeiten täglich, teilweise unter unvorstellbaren Bedingungen, am Patienten-bzw. Bewohnerbett.
Diese Bedingungen sind entstanden, obwohl seit Jahrzehnten der LPR, der MDK, der DBfK und viele andere Verbände und Organisationen austüfteln, wie die Pflege besser und atraktiver werden kann. Genauso wenig haben uns da die vielen Hochschulen, die von Jahr zu Jahr mehr Pflege Studiengänge anbieten genützt.
Die Pflege ist am Boden! Sie sagen, die Pflege hat keine Stimme. Sie muss von der Kammer vor der Politik und der Gesellschaft vertreten werden.
Ist es nicht eher so, dass man der großen Menge der Pflegekräfte, nämlich denen von der Basis gar kein Stimmrecht zugestehen möchte?
Ein Hinweis darauf ist doch schon die o.g. Chancen-Ungleichheit bei der Wahl der Kamerversammlung.
Im Errichtungsausschusssaßen doch auch fast nur Personen aus dem Management, wie sie selbst auch. Wirtschaftliche Interessen stehen da doch logischerweise über den Zielsetzungen, die die Pflege, da wo es wirklich brennt, weiterbringen.
Sie nannten RLP als positives Beispiel. Erklären sie mir bitte mal in wie fern die Millionen Umsätze der Testzenzren, die von zwei oder drei Kammervorstandsmitgliedern dort aus dem Boden gestampft wurden, der Pflegesituation in RLP Besserung verschafft haben.
Wir Pflegekräfte wollen selbst mitreden. Dazu brauchen wir eine Urabstimmung darüber, ob wir uns von einer Pflegekammer vertreten lassen wollen, die uns die Politik mit Zwang und Trickserei vor die Nase gesetzt hat. Wenn sie nicht, wie einige ihrer Kollegen/innen, einer „vox populi ‑vox rindvieh“ Ideologie anhängig sind, würde ich sie bitten, sich auch für eine Urabstimmung einzusetzen.