Gabe von Insulin zählt nicht zum Aufgabenfeld einer Pflegehelferin
Die Altenpflegehelferin war in der Demenzstation eines Altenheims tätig. Sie war zuständig für die Körperpflege der Bewohnerinnen und Bewohner, das An- und Auskleiden sowie die Unterstützung bei Toilettengängen und Mahlzeiten.
Das Verabreichen von Medikamenten und Insulin zählte nicht zu ihrem Aufgabenbereich, sondern war examinierten Pflegefachkräften vorbehalten – davon wusste die später angeklagte Altenpflegehelferin.
Auf der Demenzstation lebten zwei Frauen im Alter von 80 und 85 Jahren. Beide waren schwer demenzkrank und benötigten umfassende Aufsicht. Die 85-jährige Frau litt zudem an Diabetes Typ 2. Die Altenpflegehelferin war zunehmend überfordert vom hohen Pflegebedarf der beiden Frauen.
Überforderung durch Pflegebedarf zweier Bewohnerinnen
In der Kantine des Altenheims fand wenige Tage vor dem Tattag oder am Tattag selbst – vor Gericht konnte das nicht genau festgestellt werden – ein Gespräch mehrere Pflegekräfte statt, an dem auch die Altenpflegehelferin teilnahm.
In dem Gespräch ging es unter anderem um die Frage, bei welcher Menge Insulin ein Mensch sterben würde. Eine Pflegefachkraft antwortete, dass „mindestens 20 Einheiten“ erforderlich seien, damit ein Mensch daran stirbt.
Am Tattag war die Altenpflegehelferin von 7:30 bis 13:30 Uhr auf der Station eingeteilt. Während der Schicht fühlte sie sich erneut stark überfordert von den zwei pflegeaufwendigen Frauen.
Sie fasste deshalb den Entschluss, den beiden eine hohe Dosis Insulin zu verabreichen, so dass sie in der Folge in einem Krankenhaus untergebracht werden müssen. Sie erhoffte sich davon eine Entlastung ihrer Arbeit.
Tödliche Dosis Insulin verabreicht
Der 85-jährigen zuckerkranken Frau verabreichte sie schließlich 50 Einheiten Insulin und der 80-Jährigen 40 Einheiten. Sie setzte beide Frauen auf eine Couch im Flur der Station. Um 13:30 Uhr beendete die Pflegehelferin ihre Schicht und verließ das Gebäude.
Zu dem Zeitpunkt zeigte das Insulin noch keine Wirkung.
Die Pflegehelferin handelte in dem Wissen, dass die jeweilige Dosis die beiden Frauen lebensgefährlich unterzuckern würde.
Sie wusste allerdings auch, dass das anwesende Pflegefachpersonal jeweils einen Notarzt für die Frauen rufen würde, wenn sich ihr Zustand drastisch verschlechtern sollte.
Sie vertraute deshalb darauf, dass sie nicht sterben würden.
Bewohnerinnen überlebten
Nach einiger Zeit wurden beide Frauen infolge der Insulingabe bewusstlos. Die herbeigerufenen Notärzte verabreichten den Frauen Glukose, das allerdings nur kurzzeitige Besserung bewirkte.
Wegen der lebensbedrohlichen Situation wurden die Bewohnerinnen in ein Krankenhaus verlegt und dort intensivmedizinisch versorgt – beide überlebten.
Das Landgericht Würzburg hat die Altenpflegehelferin wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Das Gericht erkannte hierbei keinen Tötungsvorsatz.
Zwar habe die Frau in vollem Bewusstsein die letale Menge Insulin von 20 Einheiten deutlich überschritten und somit mit „extrem hoher Gefährlichkeit“ gehandelt, trotzdem habe sie gewusst, dass die Frauen unter pflegerischer Überwachung standen und sich Notärzte um beide Frauen kümmern würden.
Keine Rechtsfehler bei Urteil
Die Staatsanwaltschaft beanstandete dieses Urteil und forderte eine Überprüfung auf Rechtsfehler. Diese konnten allerdings nicht festgestellt werden. In der Gesamtwürdigung aller Umstände hat das Landgericht einen Tötungsvorsatz folgerichtig verneint. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Die Angeklagte gab an, davon auszugehen, dass den beiden Frauen noch vor dem Nachmittagskaffe der Zuckerspiegel gemessen wird. Angesichts einer festgestellten Intelligenzminderung der Frau kann das Gericht dieser Aussage Glauben schenken und muss nicht davon ausgehen, dass es sich lediglich um eine Schutzbehauptung handelt.
Ein Vorsatz ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass die Frau pünktlich um 13:30 Uhr Feierabend machte und das Gebäude verließ. Das Gericht konnte feststellen, dass die Geschädigten eng betreut und pflegerisch überwacht wurden.
Die Frau sei also während der Tat nachvollziehbarerweise davon ausgegangen, dass eine Gesundheitsverschlechterung auch in ihrer Abwesenheit rechtzeitig bemerkt werden würde.
Quelle: BGH vom 7.9.2022 – 6 StR 52/22