Verbrühung
Weil der Tempere­tur­reg­ler für das Badewan­nen­was­ser nicht begrenzt war, verbrüht sich eine Bewoh­ne­rin schwer. Bild: Bennett Rampelt

Verbrü­hungs­un­fall: Keine Pflege­fach­kraft in der Nähe

Die damals 44-jährige Frau leidet am Prader-Willi-Syndrom und ist deshalb geistig behin­dert. Sie lebte in einem Wohnheim für Menschen mit geisti­ger Behin­de­rung und wird entspre­chend betreut.

Möchte sie ein Bad nehmen, muss sie vorher um Erlaub­nis bei einer Betreue­rin fragen. So auch an dem Tag, an dem sich das Unglück ereig­nete.

Die Frau wollte ein Bad nehmen, fragte vorher um Erlaub­nis und ließ sich Wasser in ihre mobile Sitzwanne ein, die in der Dusche stand. Das Proze­dere war ihr nicht neu, schon oft ging sie eigen­stän­dig baden.

Als sie in die Wanne stieg war das Wasser aber, anders als bei den letzten Malen, extrem heiß.

Wie die Frau später vor Gericht geltend machte, müsste das Badewas­ser annähernd 100 °C heiß gewesen sein. Sofort erlitt sie schwerste Verbrü­hun­gen an den Füßen und den Unter­schen­keln.

Sie war nicht in der Lage sich aus der Wanne zu erheben und konnte nur lautstark schreien. Sofort eilte ihr ein anderer Heimbe­woh­ner zur Hilfe. Er ließ das Wasser ab und holte eine Pflege­fach­kraft herbei.

Nach Opera­tio­nen im Rollstuhl

Die Verbrü­hun­gen waren so stark, dass mehrere Hauttrans­plan­ta­tio­nen nötig waren. Bei einer dieser Opera­tio­nen kam es zu Kompli­ka­tio­nen, wegen derer sie sich mit einem multi­re­sis­ten­ten Erreger infizierte.

Die Kompli­ka­tio­nen führten letzt­lich dazu, dass sie heute im Rollstuhl sitzt und nicht mehr gehen kann. Vor Gericht klagte sie deshalb gegen das Wohnheim und verlangte Schmer­zens­geld von mindes­tens 50.000 Euro und eine monat­li­che Rente von 300 Euro.

Ihrer Meinung nach sei das Heim schuld an ihren Verlet­zun­gen. Die Pflege­fach­kräfte hätten sie während des Bads beauf­sich­ti­gen und vor allem die Tempe­ra­tur des Wassers überprü­fen müssen.

Der Regler an der Badewanne hatte keine Begren­zung für die Tempe­ra­tur des Heißwas­sers. Selbst eine konstante Wasser­tem­pe­ra­tur von 60 °C sei zu hoch.

Zu heißes Badeswasser
Das Badewas­ser war nach den Feststel­lun­gen des Gerichts viel zu heiß. Bild: Foto 105069106 © Kamol­kot Phuewk­haow – Dreamstime.com

Badewas­ser war viel zu heiß

Damit Keime verläss­lich abgetö­tet werden, reicht es das Wasser ein mal am Tag auf 60 °C zu erhit­zen. Außer­dem sehen entspre­chende DIN-Normen für bestimmte Einrich­tun­gen Höchst­tem­pe­ra­tu­ren für das Badewas­ser vor. So auch in Kranken­häu­sern, Schulen und Senio­ren­hei­men. Hier darf das Wasser maximal 43 °C warm sein.

Das Landge­richt (Az.: 6 O 2099/13) und später das Oberlan­des­ge­richt (Az.: 2 U 106/17) haben die Klage zunächst abgewie­sen. Nach der Auffas­sung der beiden Gerichte ergebe sich aus den DIN EN 806–2 keine Pflicht für das Wohnheim die Badewanne mit einer Tempe­ra­tur­be­gren­zung auszu­stat­ten.

Die Norm sei erst Jahrzehnte nach Bau des Wohnheim­ge­bäu­des einge­führt worden. Außer­dem habe die Betrof­fene stets alleine gebadet und wurde vorher einer Hilfs­be­darfs­gruppe zugeord­net. Demnach hatte sie einen relativ hohen Grad an Selbst­stän­dig­keit.

Bundes­ge­richts­hof gibt der Kläge­rin recht

Das Berufungs­ur­teil (Az.: III ZR 113/18) vor dem Bundes­ge­richts­hof (BGH) wurde schließ­lich zuguns­ten der Kläge­rin ausge­legt. Demnach hat der Heimbe­trei­ber die Pflicht die Bewoh­ner vor Gefah­ren zu schüt­zen, die sie nicht beherr­schen können.

Wie diese Pflicht sich in der Praxis äußert, ist immer im Einzel­fall zu klären. Hier müssen einer­seits Menschen­würde sowie Freiheits­rechte eines Menschen geach­tet und anderer­seits die körper­li­che Unver­sehrt­heit gesichert werden.

Der BGH entschied, dass in dieser Abwägung auch techni­sche Regelun­gen wie die DIN-Normen zu berück­sich­ti­gen sind. Sie hätten zwar keine norma­tive Geltung, geben aber den aktuel­len Stand techni­scher Regelun­gen wieder.

Die Bewoh­ne­rin hätte sich also durch­aus darauf verlas­sen können, dass der Heimbe­trei­ber sie entspre­chend der Norm vor Gefah­ren schützt. Vor allem dann, wenn sie aufgrund ihrer geisti­gen Behin­de­rung nicht in der Lage ist diese selbst­stän­dig zu erken­nen.

Um seine Obhut­s­pflicht zu gewähr­leis­ten, muss der Heimbe­trei­ber also die DIN-Normen umset­zen oder der Gefahr auf anderer Weise begeg­nen.

FAQ

Welche Pflich­ten haben Pflege­heime gegen­über geistig behin­der­ten Bewoh­nern?

Gegen­über geistig behin­der­ten Bewoh­nern haben Pflege­heime eine beson­dere Obhut­s­pflicht, solche Bewoh­ner vor Gefah­ren zu schüt­zen. Dazu kann auch die Überprü­fung der Tempe­ra­tur des Badewas­sers gehören.

Wie heiß darf Badewas­ser im Pflege­heim sein?

Im Pflege­heim darf das Badewas­ser gemäß den entspre­chen­den DIN-Normen eine Höchst­tem­pe­ra­tur von 43 °C nicht überschrei­ten. Diese Normen sollen sicher­stel­len, dass das Wasser sicher für die Bewoh­ner ist und das Risiko von Verbrü­hun­gen minimiert wird.

Warum muss das Pflege­heim Schmer­zens­geld zahlen?

Im vorlie­gen­den Fall hätte das Heim sicher­stel­len müssen, dass die Wasser­tem­pe­ra­tur begrenzt ist. Die Kläge­rin konnte aufgrund ihrer geisti­gen Behin­de­rung die Gefahr nicht einschät­zen, weshalb das Heim eine beson­dere Verant­wor­tung für ihre Sicher­heit hatte und diese aber nicht wahrge­nom­men hat.

Quelle: BGH vom 22. August 2019 – III ZR 113/18