Wenn Victoria durch das Fell von Timo streichelt, läuft es ihr eiskalt den Rücken herunter. Zugleich spürt sie die Wärme der Heimat, einer vertrauten Umgebung, die Liebe altbekannter Geborgenheit – im Ansatz. Timo ist der einzige, der es gemeinsam mit ihr aus der Kriegshölle in der Ukraine nach Deutschland geschafft hat. Ehemann, Schwester, Vater – sie alle sind zurückgeblieben aus unterschiedlichen Gründen.
Jetzt hat Victoria mit Timo eine dramatische Flucht hinter sich. Und fühlt erstmals seit langer Zeit – trotz der Sorge um ihre Lieben in der Ukraine – etwas Sicherheit. Hier in Thüringen, genauer: Ilfeld. Victoria hat eine neue Heimat gefunden und genau die Hilfe, um in Würde weiter zu existieren.
Ohne den Deutsch-Ukrainischen Pflegeverband (DUPV e.V.) wäre ihr Leben wohl anders verlaufen. Dank des Einsatzes von Martina Röder, der Vorsitzenden des Verbandes, kann Victoria jetzt in ihrem erlernten Beruf arbeiten – als Pflegefachkraft. Für sie bedeutet das: Ankommen auf höchstem Niveau.
Bei den Behördengängen ist Victoria tatkräftig von Röders Team unterstützt worden. Damit alles schnell seinen Gang nehmen kann. Für eine gelebte „Normalität“ – soweit das möglich ist.
Von Normalität ist ihre Familie in der Heimat ganz weit entfernt. Dort tobt der brutale Angriffskrieg – und Victorias Vater, Schwester und Ehemann sind eingebunden in den Kampf gegen Putins Truppen. Sie sind mittendrin.
In der Ukraine: fast die ganze Familie beim Militär
„Es ist für meine Familie und mich eine sehr schwierige Situation in der Ukraine“, erklärt Victoria. „Mein Mann ist in der Armee im Gebiet Lviv der Westukraine. Die Familie lebt zurzeit in großer Unsicherheit. Mein Vater ist Professor in der Militärakademie und meine Schwester ist Professorin in der Militärakademie in Lviv – beide stehen vor großen Herausforderungen. Die Aggression Russlands durch den Krieg erschwert das Leben in unserem Land in sehr großem Maße.“
Die Angst um ihre Lieben verdrängt sie mit Routine. Wie wichtig die sein kann wird deutlich, wenn Victoria erklärt: „Ich fühle mich in Deutschland und gerade durch den DUPV e.V. und die Neanderklinik außerordentlich unterstützt, auch im persönlichen Bereich.“
Sie genießt die Zusammenarbeit zwischen den deutschen und ukrainischen Kollegen. Das ist für sie von großer Bedeutung.
„Ich lerne die deutsche Sprache mit Hilfe der Unterstützung des Vereins. Auch die Integration ist toll, ich habe sogar eine eigene, möblierte Wohnung bekommen. Sämtliche Behördengänge von mir wurden durch die Neanderklinik und den DUPV e.V. unterstützt, teilweise wurde alles für mich organisiert.“
Politik soll mehr möglich machen
Die Politik will noch mehr möglich machen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will schnellere und unbürokratischere Verfahren, um qualifizierte Menschen aus der Ukraine schnell zu integrieren. Damit sie in ihren erlernten Berufen schnell Fuß fassen, einen Beitrag zur Gesellschaft leisten können, sich nützlich und gebraucht fühlen. Und ganz nebenbei können diese qualifizierten Menschen helfen, das eine oder andere Problem auf dem Arbeitsmarkt zu lösen. Wie z.B. das der fehlenden Pflegefachkräfte in Deutschland. Kurz: es soll mehr Fälle geben wie den von Victoria.
„Wir sind offen für alle Anfragen von Krankenschwestern, die auf dem deutschen Gesundheitsmarkt arbeiten möchten“, erklärt Martina Röder, Vorsitzende des Deutsch-Ukrainischen Pflegeverbandes. „Die Voraussetzungen sind natürlich das Anerkennungsverfahren sowie die Tatsache, dass die Menschen deutsch sprechen können müssen“, so Röder weiter. Ihre Forderung: die Politik müsse zeitnah Möglichkeiten schaffen, dass die Frauen dann auch Deutsch lernen könnten, um den Status B2 zu erreichen. Der ist Voraussetzung für eine Anstellung. An diesem Punkt wäre es aus Sicht der Flüchtenden und des Deutsch-Ukrainischen Pflegeverbandes wünschenswert, wenn die Bundesregierung hier finanzielle Unterstützung zusagen könnte.
Pflegeverband hat bereits Kriegsflüchtlingen geholfen
Röder und ihr Team haben seit der Annektierung der Krim durch Russland im Jahr 2014 bereits 14 ukrainische Krankenschwestern aufgenommen – und mit Wohnungen und Anstellungen versorgt. Ein Bilanz, die sich sehen lassen kann. „Deshalb fällt uns die Einarbeitung der Neuen natürlich leichter“, erklärt sie. Zunächst erhalten die Frauen den Status Pflegekraft – und nach der Anerkennung durch die Behörden dann den Status Pflegefachkraft. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine Ende Februar sind vier weitere Frauen integriert, vier weitere Anfragen gebe es. Röder und ihr Team kommen mit der Bearbeitung kaum nach, tun ihr Bestes.
Für Victoria haben sie aber erst einmal beste Bedingungen für einen Neustart geschaffen. Wunschlos glücklich ist Victoria natürlich noch nicht. Ihre größte Hoffung: „Frieden und Demokratie in der Ukraine“, sagt sie mit leiser Stimme.