Pflegeausbildung unter Anleitung
Die Pflege­aus­bil­dung sollte unter Anlei­tung und ohne unnötige Mehrar­beit erfol­gen. Doch die Reali­tät sieht vieler­orts anders aus und verlei­tet nicht selten zu einem vorzei­ti­gen Ausbil­dungs­ende (Symbol­bild). Bild: Monkey Business Images/Dreamstime.com

Liegt es an der genera­lis­ti­schen Pflege­aus­bil­dung?

Zahlen aus Nordrhein-Westfa­len zeigen, dass im Jahr 2023 über 41,6 Prozent der Azubis ihre Pflege­aus­bil­dung abgebro­chen oder einen neuen Vertrag bei einem anderen Ausbil­dungs­be­trieb begon­nen haben.

Die Schuld für die „hohe“ Abbre­cher­quote wird stellen­weise auf die seit 2020 geltende Genera­li­sie­rung der Pflege­aus­bil­dung gescho­ben. Bernhard Rappen­hö­ner, Vorstands­vor­sit­zen­der des Bundes­ver­bands priva­ter Anbie­ter sozia­ler Dienste (bpa) in Nordrhein-Westfa­len, behaup­tete Ende 2023, dass „die drama­ti­sche Abbre­cher­quote“ ein Ergeb­nis der genera­lis­ti­schen Pflege­aus­bil­dung sei.

In einem Gutach­ten des Minis­te­ri­ums für Arbeit, Gesund­heit und Sozia­les des Landes NRW konnte ein solcher Zusam­men­hang aller­dings nicht festge­stellt werden: „Abbruch­quo­ten in der Pflege­aus­bil­dung sind nicht monokau­sal auf die Umstel­lung der Pflege­aus­bil­dung auf eine Genera­lis­tik zurück­zu­füh­ren, sondern haben ihre Ursachen in anderen Einfluss­be­rei­chen“.

Zudem konnten auch im zeitli­chen Verlauf und im Vergleich mit anderen Berufs­bran­chen keine vermehr­ten Ausbil­dungs­ab­brü­che in der genera­lis­ti­schen Pflege­aus­bil­dung festge­stellt werden.

Als zentrale Fakto­ren für einen erfolg­rei­chen Ausbil­dungs­ab­schluss werden im Gutach­ten vor allem gute Arbeits­be­din­gun­gen in der Praxis und in der Praxis­an­lei­tung genannt. Aber auch die allge­mei­nen Ausbil­dungs­be­din­gun­gen, die Zufrie­den­heit und der Ausbil­dungs­er­folg seien entschei­dend.

Überfor­de­rung für Pflege-Azubis

Doch gerade in diesen Berei­chen hapert es aktuell in der Pflege­aus­bil­dung. Die Nachrich­ten unserer Leserin­nen und Leser sind somit keine Einzel­fälle.

Zwar steigen die Zahlen derer, die sich für den Beginn einer Pflege­aus­bil­dung entschei­den (2023 waren es vier Prozent mehr als im Vorjahr), aller­dings ist die Zufrie­den­heit mit der Ausbil­dung relativ gering.

Der Ausbil­dungs­re­port Pflege­be­rufe der Gewerk­schaft ver.di ergab, dass gerade mal 42,7 Prozent der befrag­ten Auszu­bil­den­den mit ihrer Ausbil­dung zufrie­den sind.

Auch Überstun­den sind laut Ausbil­dungs­re­port keine Selten­heit: Ein Drittel der Pflege-Azubis leisten mehr als die vertrag­lich verein­bar­ten Arbeits­stun­den. Als Gründe gaben die Azubis haupt­säch­lich vorherr­schen­den Perso­nal­man­gel und zu hohe Arbeits­be­las­tung an. Sie müssten zu viel Arbeit in zu wenig Zeit machen.

Beson­ders die Praxis­an­lei­tung in der Pflege­aus­bil­dung macht vielen zu schaf­fen. Eine Umfrage des Deutschen Berufs­ver­bands für Pflege­be­rufe (DBfK) ergab, dass nur 27 Prozent der befrag­ten Auszu­bil­den­den regel­mä­ßig die vorge­schrie­bene Praxis­an­lei­tung erhal­ten. Hinzu­kommt, dass rund die Hälfte der Azubis schon Einsätze ohne Kontakt zu einer Praxis­lei­te­rin oder einem Praxis­lei­ter hatte.

Ein Zustand der einige recht­li­che Fragen aufwirft. Dürfen Auszu­bil­dende überhaupt allein verant­wort­lich für Patien­ten sein, wie viele Überstun­den dürfen Azubis machen und wie können sie ihre Rechte bei Missach­tung durch­set­zen?

Recht­li­che Vorga­ben für die prakti­sche Pflege­aus­bil­dung

Die recht­li­chen Rahmen­be­din­gun­gen für den Inhalt und die Durch­füh­rung der Pflege­aus­bil­dung werden im Wesent­li­chen durch das Pflege­be­ru­fe­ge­setz (PflBG) in Verbin­dung mit der dazuge­hö­ri­gen Ausbil­dungs- und Prüfungs­ver­ord­nung für die Pflege­be­rufe (PflAPrV) vorge­ge­ben.

§ 5 PflBG und § 3 PflAPrV formu­lie­ren hierbei generelle Ausbil­dungs­ziele. Dazu zählen fachli­che und perso­na­len Kompe­ten­zen zur Pflege von Menschen in allen Alters­stu­fen, die nicht nur theore­tisch, sondern auch praktisch erlernt werden sollen. In diesem Sinne weist die Pflege­aus­bil­dung also eine gewisse Duali­tät auf.

Nach § 1 PflAPrV umfasst der theore­ti­sche und prakti­sche Unter­richt einen Umfang von 2100 Stunden und die prakti­sche Ausbil­dung 2.500 Stunden. Inner­halb dieser 2.500 Stunden des prakti­schen Teils, müssen die Auszu­bil­den­den verschie­dene Einsätze (Orien­tie­rungs­ein­satz, Pflicht­ein­satz und Vertie­fungs­ein­sätze) absol­vie­ren, die gesetz­lich vorge­ge­ben sind.

Während diesen Einsät­zen müssen die Auszu­bil­den­den immer im engen Kontakt mit Pflege­fach­per­so­nen stehen. Das erfolgt in der Regel im Rahmen der bereits genann­ten Praxis­an­lei­tung (§ 4 PflAprV; § 6 PflBG Absatz 3). Die sieht vor, dass Auszu­bil­dende von einer Praxis­an­lei­te­rin oder einem ‑anlei­ter schritt­weise an den Beruf und die entspre­chen­den Tätig­kei­ten heran­ge­führt werden.

Die Praxis­an­lei­ter sind somit Ansprech­per­son für die Azubis und müssen die prakti­schen Inhalte vermit­teln. Gesetz­lich ist klar festge­schrie­ben, inwie­weit die Praxis­an­lei­ter ihre Schütz­linge an die Hand nehmen müssen. Für jeden Einsatz muss eine Praxis­an­lei­tung von mindes­tens zehn Prozent der zu leisten­den prakti­schen Ausbil­dungs­zeit erfol­gen.

Für den Orien­tie­rungs­ein­satz beispiels­weise bedeu­tet das folgen­des: Gemäß Anlage 7 PflAPrV ist für den Orien­tie­rungs­ein­satz eine Ausbil­dungs­zeit von 400 Stunden angesetzt. Zehn Prozent von 400 sind 40. Entspre­chend muss für den Orien­tie­rungs­ein­satz eine Praxis­an­lei­tung von 40 Stunden erfol­gen.

Verant­wor­tungs­be­rei­che für Auszu­bil­dende

In dieser Zeit sollen die Auszu­bil­den­den von den Praxis­an­lei­tern auch dazu befähigt werden, die Aufga­ben eigen­stän­dig auszu­füh­ren. Trotz­dem unter­lie­gen die Azubis hierbei stets der Anlei­tung und Aufsicht von Pflege­fach­per­so­nen. Demnach ist durch­aus denkbar, dass Azubis einen Patien­ten eigen­stän­dig versor­gen, sofern die Aufgabe entspre­chend angelei­tet und überprüft wird.

Eine konkrete Aussage zur Überwa­chung von Azubis findet sich in § 1 Absatz 6 PflAPrV aller­dings nur in Bezug auf Nacht­schich­ten. Hier ist von einer unmit­tel­ba­ren Aufsicht die Rede.

Generell sollten Azubis nur Aufga­ben überneh­men, die ihrem Kennt­nis­stand entspre­chen und der Ausbil­dung dienen. Ein Beispiel aus der Recht­spre­chung (OVG Nordrhein-Westfa­len – 13 B 1123/22) verweist nachdrück­lich auf § 7 Absatz 5 Satz 1 PflBG und § 18 Absatz 2 PflBG, die beide dazu dienen, die Auszu­bil­den­den vor Überfor­de­rung zu schüt­zen.

Demnach dürfen den Azubis nur Aufga­ben übertra­gen werden, die dem Ausbil­dungs­zweck und dem Ausbil­dungs­stand entspre­chen. Die Aufga­ben müssen zudem den physi­schen und psychi­schen Kräften der Auszu­bil­den­den angemes­sen sein.

Hierzu gehört auch, dass es im Ausbil­dungs­be­trieb ein angemes­se­nes Verhält­nis zwischen Pflege­fach­kräf­ten und Auszu­bil­den­den gibt, da nur so während der prakti­schen Ausbil­dung eine fachkun­dige Anlei­tung sicher­ge­stellt werden kann. Damit soll verhin­dert werden, dass Azubis rechts­wid­rig als vollwer­tige Arbeits­kräfte einge­setzt werden.

Das heißt auch, wenn ein Azubi eine Aufgabe schon erlernt hat, ist der Ausbil­dungs­be­trieb dazu angehal­ten ihn weiter­hin bei der Tätig­keit anzulei­ten und ihm weitere Kompe­ten­zen zu vermit­teln, um stets einen Lernef­fekt sicher­zu­stel­len.

In Bezug auf minder­jäh­rige Auszu­bil­dende ist zudem der § 22 JArbSchG zu berück­sich­ti­gen. Dieser listet einige Tätig­kei­ten auf, die von Jugend­li­chen nicht übernom­men werden dürfen. So etwa die Arbeit mit Gefahr­stof­fen (zum Beispiel konzen­trierte Reini­gungs­mit­tel und Arznei­mit­tel) oder Arbei­ten, die für Jugend­li­che (mangels Erfah­rung) gewisse Unfall­ge­fah­ren bergen.

Das Verbot dieser Tätig­kei­ten gilt aller­dings nicht, wenn sie mit einem Ausbil­dungs­ziel in Verbin­dung stehen und die Aufsicht eines Fachkun­di­gen gewähr­leis­tet ist. Das heißt, auch hier ist die Überwa­chung durch die Ausbil­de­rin oder den Ausbil­der entschei­dend.

Überstun­den in der Pflege­aus­bil­dung

In der Pflege­aus­bil­dung gelten diesel­ben gesetz­li­chen Vorga­ben für Überstun­den, wie in anderen beruf­li­chen Ausbil­dun­gen auch. Als Überstun­den gelten Arbeits­zei­ten, die über die vertrag­lich festge­legte Dauer hinaus­ge­hen.

Die Arbeits­zei­ten in der Ausbil­dung werden durch das Jugend­ar­beits­schutz­ge­setz (JArbSchG) oder das Arbeits­zeit­ge­setz (ArbZG) geregelt. Welches Gesetz im jewei­li­gen Einzel­fall hinzu­zu­zie­hen ist, hängt davon ab, ob der betrof­fene Azubi volljäh­rig ist oder nicht.

Bei Auszu­bil­den­den, die unter 18 Jahre alt sind, ist die Dauer der Arbeits­zeit in § 8 JArbSchG geregelt. Demnach dürfen Jugend­li­che nicht mehr als acht Stunden täglich und nicht mehr als 40 Stunden wöchent­lich arbei­ten.

In beson­de­ren Notfäl­len kann aller­dings von dieser Vorgabe abgewi­chen werden, sofern keine erwach­se­nen Beschäf­tig­ten zur Verfü­gung stehen (§ 21 JArbSchG). Der Arbeit­ge­ber kann also auch von minder­jäh­ri­gen Auszu­bil­den­den Überstun­den verlan­gen, wenn die betrieb­li­che Situa­tion es erfor­dert. Die in diesen Notfäl­len erfolg­ten Überstun­den des Azubis müssen aller­dings inner­halb der nächs­ten drei Wochen ausge­gli­chen werden.

Auch bei volljäh­ri­gen Auszu­bil­den­den ist eine werktäg­li­che Arbeits­zeit von acht Stunden vorge­se­hen (§ 3 ArbZG). Diese kann auf bis zu zehn Stunden verlän­gert werden, aber nur dann, wenn inner­halb von sechs Kalen­der­mo­na­ten eine durch­schnitt­li­che Arbeits­zeit von acht Stunden am Tag einge­hal­ten wurde.

Generell können Überstun­den entwe­der vergü­tet oder durch Freizeit ausge­gli­chen werden. Das ist in der Regel im Ausbil­dungs­ver­trag festge­schrie­ben. Gibt es im Vertrag keine spezi­elle Regelung, gilt § 19 PflBG: „Eine über die verein­barte regel­mä­ßige tägli­che oder wöchent­li­che Ausbil­dungs­zeit hinaus­ge­hende Beschäf­ti­gung ist nur ausnahms­weise zuläs­sig und beson­ders zu vergü­ten oder in Freizeit auszu­glei­chen.“

Wie können Auszu­bil­dende ihre Rechte durch­set­zen?

Auch wenn es gesetz­lich möglich ist, als Azubi Überstun­den zu machen, sind Betrof­fene grund­sätz­lich nicht dazu verpflich­tet. Eine Ausbil­dung dient in erster Linie dazu, beruf­li­che Kompe­ten­zen zu vermit­teln. Dafür reichen norma­ler­weise die vertrag­lich vorge­se­hen Arbeits­stun­den aus.

Auszu­bil­dende sind also keine vollwer­ti­gen Arbeits­kräfte und sollten von den Arbeit­ge­bern auch nicht als solche einge­setzt werden. Fordert der Arbeit­ge­ber Überstun­den von einem Azubi, die vertrag­lich oder gesetz­lich nicht vorge­se­hen sind, können diese ohne arbeits­recht­li­che Beden­ken zurück­ge­wie­sen werden.

Sollten einem Auszu­bil­den­den zudem Aufga­ben übertra­gen werden, denen er sich nicht gewach­sen fühlt, kann er auch diese zurück­wei­sen und zunächst um eine entspre­chende Anlei­tung bitten. Im Rahmen der Remons­tra­ti­ons­pflicht ist er sogar ausdrück­lich dazu angehal­ten. Denn auch Azubis können für Schäden, die sie verur­sacht haben, haften.

Wenn sich Auszu­bil­dende allein gelas­sen oder überfor­dert fühlen, dann sollten sie sich zunächst an ihre Praxis­an­lei­ter wenden und diese um Hilfe beten. Gegebe­nen­falls kann auch der Betriebs­rat einge­schal­tet werden.

Sollten Gesprä­che nichts bringen, können sich Azubis auch schrift­lich an den Träger der Ausbil­dungs­ein­rich­tung zu wenden. Hier ist es ratsam konkrete Beispiele anzufüh­ren, in denen die Ausbil­dungs­an­lei­tung nicht im gewünsch­ten Maß erfolgt ist.