Die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens ist eine Veränderung, die sich lange angebahnt hat und in den letzten ca. 20 Jahren an Fahrt aufgenommen hat. Besonders seit der Einführung der „DRG“ (Diagnosis Related Groups) werden Krankenhäuser zunehmend wie privatwirtschaftliche Unternehmen behandelt. Was zunächst weit weg und irrelevant wirkt, betrifft uns alle in unserem Alltag.
Wirtschaft: zunehmende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens
Die ständige Unterbesetzung von Schichten, die immer schlechter zu gewährleistende Versorgung der PatientInnen oder das immer häufigere Anfallen von Überstunden sind nur einige Symptome dieser Entwicklung und eindeutig auf die zunehmende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens zurückzuführen.
Die Einführung der oben genannten DRG waren ein besonderer Meilenstein des sich vollziehenden Wandels. Als 2004 die Fallpauschalen eingeführt wurden, hat sich der Pflegenotstand dramatisiert und auch für ÄrztInnen haben sich die Arbeitsbedingungen verschlechtert. Das Ärzteblatt veröffentlichte zur Einführung dieses Abrechnungssytems einen anschaulichen Artikel. Vor der Einführung der DRG erhielten die Kliniken Geld nach Tagessätzen von den Krankenkassen.
So konnte grundsätzlich jede/r nach dem individuellen Bedarf behandelt werden. Seit 2004 werden die Gelder jedoch nach der Diagnose der Patientin oder des Patienten berechnet.
Beispiel einer Abrechnung
Ein einfaches Beispiel soll helfen, die Abrechnung zu verdeutlichen: Eine Patientin kommt mit einer gebrochenen Hüfte ins Krankenhaus. Sie erhält eine zementierte Hüftprothese. Die durchschnittliche Verweildauer mit dieser Diagnose beträgt 8,7 Tage. Die Vergütung hierfür beträgt 6749,49 Euro (vgl. DRG Kodierleitfaden 2020). Wird die Patientin schneller gesund, wäre bei gleichem Umsatz früher wieder ein Bett frei und kann neu belegt werden. Dauert die Behandlung aber länger, erhöht sich der Satz nicht, die Patientin muss aber dennoch behandelt werden. Es besteht also ein Interesse seitens der Kliniken, PatientInnen frühzeitig zu entlassen.
Mit der Einführung von Pauschalen pro Diagnose schwand zunehmend auch die Zeit für zwischenmenschlichen Kontakt, der über das nötigste hinausgeht. Durch kürzere Liegedauer und größeren administrativen Aufwand gehe laut Ärzteblatt die Zeit für nicht-funktionale Gespräche zwischen Personal und Patientinnen verloren. Die Zuwendung und die Menschlichkeit, die den Pflegeberuf für viele wesentlich ausgemacht haben, gehen also zunehmend verloren.
Wenig Gewinn mit chronisch Kranken
Ein weiteres grundlegendes Problem der DRG besteht in der Versorgung von PatientInnen, die aus dem Diagnoseraster fallen und dadurch wenig Gewinn bringen. Besonders betroffen seien hier chronisch Kranke, deren die Leiden sich nicht eindeutig einer Diagnose zuordnen lässt.
Die Abrechnung verlangt nämlich nach einer Hauptdiagnose, nach der sich die Aufenthaltsdauer primär berechnet. Hinzu kommen Nebendiagnose, welche diese Dauer evtl. steigern, aber meistens nicht ausreichend ins Gewicht fallen. Durch die Einführung der Fallpauschalen hat das System Krankenhaus also einen großen Schritt Richtung Kommerzialisierung gemacht. Der Trend war jedoch auch zuvor schon zu beobachten und hat sich seit 2004 weiter deutlich dramatisiert.
Das Deutsche Ärzteblatt veröffentlichte dieses Jahr erneut einen wissenschaftlichen Artikel, der den Trend bestätigt und auch die Folgen für die Versorgung der Patientinnen und Patienten und das Leid der Mitarbeitenden in den Blick nahm. PatientInnen werden demnach zum Objekt und es würden nur noch abrechenbare Leistungen erbracht. Das zwischenmenschliche Gespräch oder konservative Behandlungen, die mit viel Wartezeit verbunden sind, würden darunter leiden und teilweise überhaupt nicht mehr durchgeführt.
Konservative Behandlung versus Operation
Dieses Phänomen steht dabei oft nicht nur ethischen oder menschlichen, sondern auch wirtschaftlichen Prinzipien im Weg. Konservative Behandlungen erbringen oftmals größeren Erfolg bei geringerem Kostenaufwand für die Krankenkassen. Da diese Behandlungsform jedoch schlechter abzurechnen ist, wird stattdessen häufig bspw. der operative Eingriff gewählt.
Die wirtschaftlichen Zwänge führen mittlerweile sogar soweit, dass leitenden ÄrztInnen angedroht werde, dass Stellen in ihrer Abteilung gestrichen werden müssen, wenn ein bestimmter Betrag nicht erwirtschaftet wird. Von über 1000 befragten ÄrztInnen gaben über die Hälfte an, dass im Vorjahr in ihrem Haus Stellen abgebaut wurden.
Es liegt also auf der Hand, dass in so einem System bestimmte Behandlungen auf Dauer überhaupt nicht mehr durchgeführt werden können, was eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung für die gesamte Bevölkerung bedeutet. Gleichzeitig werden professionell Pflegende und Ärzte im Spannungsfeld zwischen Berufsethos und wirtschaftlichem Arbeiten psychisch zerrieben.
Krankenhäuser vom Wirtschaftskreislauf entkoppeln
Auch die Herausnahme der Refinanzierung von Pflegekräften aus den DRG’s haben daran nichts geändert, da das Grundsystem nicht verändert wurde. Es ist daher dringend notwendig, dass Krankenhäuser vom Wirtschaftskreislauf zu entkoppeln und eine angemessene Behandlung durch ausreichend staatliche Subventionen sichergestellt wird.
Wenn wir die aktuelle Situation akzeptieren, wird für Pflegende die Freude am Beruf weiter schwinden, die Versorgung der Menschen gefährdet und die Ärztinnen und Ärzte über ihre Belastungsgrenzen getrieben. Das gilt es für jeden von uns im ganz eigenen Interesse zu verhindern, denn niemand ist vor dem alt oder krank werden bewahrt und verdient eine respektvolle, gute Behandlung.
Von Niklas Kemper