Wirtschaft
Entkop­pe­lung ist das Stich­wort Bild: Mohamed Hassan / Pixabay

Die Kommer­zia­li­sie­rung des Gesund­heits­we­sens ist eine Verän­de­rung, die sich lange angebahnt hat und in den letzten ca. 20 Jahren an Fahrt aufge­nom­men hat. Beson­ders seit der Einfüh­rung der „DRG“ (Diagno­sis Related Groups) werden Kranken­häu­ser zuneh­mend wie privat­wirt­schaft­li­che Unter­neh­men behan­delt. Was zunächst weit weg und irrele­vant wirkt, betrifft uns alle in unserem Alltag.

Wirtschaft: zuneh­mende Kommer­zia­li­sie­rung des Gesund­heits­we­sens

Die ständige Unter­be­set­zung von Schich­ten, die immer schlech­ter zu gewähr­leis­tende Versor­gung der Patien­tIn­nen oder das immer häufi­gere Anfal­len von Überstun­den sind nur einige Symptome dieser Entwick­lung und eindeu­tig auf die zuneh­mende Kommer­zia­li­sie­rung des Gesund­heits­we­sens zurück­zu­füh­ren.

Die Einfüh­rung der oben genann­ten DRG waren ein beson­de­rer Meilen­stein des sich vollzie­hen­den Wandels. Als 2004 die Fallpau­scha­len einge­führt wurden, hat sich der Pflege­not­stand drama­ti­siert und auch für ÄrztIn­nen haben sich die Arbeits­be­din­gun­gen verschlech­tert. Das Ärzte­blatt veröf­fent­lichte zur Einfüh­rung dieses Abrech­nungs­sy­tems einen anschau­li­chen Artikel. Vor der Einfüh­rung der DRG erhiel­ten die Klini­ken Geld nach Tages­sät­zen von den Kranken­kas­sen.

So konnte grund­sätz­lich jede/r nach dem indivi­du­el­len Bedarf behan­delt werden. Seit 2004 werden die Gelder jedoch nach der Diagnose der Patien­tin oder des Patien­ten berech­net.

Beispiel einer Abrech­nung

Ein einfa­ches Beispiel soll helfen, die Abrech­nung zu verdeut­li­chen: Eine Patien­tin kommt mit einer gebro­che­nen Hüfte ins Kranken­haus. Sie erhält eine zemen­tierte Hüftpro­these. Die durch­schnitt­li­che Verweil­dauer mit dieser Diagnose beträgt 8,7 Tage. Die Vergü­tung hierfür beträgt 6749,49 Euro (vgl. DRG Kodier­leit­fa­den 2020). Wird die Patien­tin schnel­ler gesund, wäre bei gleichem Umsatz früher wieder ein Bett frei und kann neu belegt werden. Dauert die Behand­lung aber länger, erhöht sich der Satz nicht, die Patien­tin muss aber dennoch behan­delt werden. Es besteht also ein Inter­esse seitens der Klini­ken, Patien­tIn­nen frühzei­tig zu entlas­sen.

Mit der Einfüh­rung von Pauscha­len pro Diagnose schwand zuneh­mend auch die Zeit für zwischen­mensch­li­chen Kontakt, der über das nötigste hinaus­geht. Durch kürzere Liege­dauer und größe­ren adminis­tra­ti­ven Aufwand gehe laut Ärzte­blatt die Zeit für nicht-funktio­nale Gesprä­che zwischen Perso­nal und Patien­tin­nen verlo­ren. Die Zuwen­dung und die Mensch­lich­keit, die den Pflege­be­ruf für viele wesent­lich ausge­macht haben, gehen also zuneh­mend verlo­ren.

Wenig Gewinn mit chronisch Kranken

Ein weite­res grund­le­gen­des Problem der DRG besteht in der Versor­gung von Patien­tIn­nen, die aus dem Diagno­seras­ter fallen und dadurch wenig Gewinn bringen. Beson­ders betrof­fen seien hier chronisch Kranke, deren die Leiden sich nicht eindeu­tig einer Diagnose zuord­nen lässt.

Die Abrech­nung verlangt nämlich nach einer Haupt­dia­gnose, nach der sich die Aufent­halts­dauer primär berech­net. Hinzu kommen Neben­dia­gnose, welche diese Dauer evtl. steigern, aber meistens nicht ausrei­chend ins Gewicht fallen. Durch die Einfüh­rung der Fallpau­scha­len hat das System Kranken­haus also einen großen Schritt Richtung Kommer­zia­li­sie­rung gemacht. Der Trend war jedoch auch zuvor schon zu beobach­ten und hat sich seit 2004 weiter deutlich drama­ti­siert.

Das Deutsche Ärzte­blatt veröf­fent­lichte dieses Jahr erneut einen wissen­schaft­li­chen Artikel, der den Trend bestä­tigt und auch die Folgen für die Versor­gung der Patien­tin­nen und Patien­ten und das Leid der Mitar­bei­ten­den in den Blick nahm. Patien­tIn­nen werden demnach zum Objekt und es würden nur noch abrechen­bare Leistun­gen erbracht. Das zwischen­mensch­li­che Gespräch oder konser­va­tive Behand­lun­gen, die mit viel Warte­zeit verbun­den sind, würden darun­ter leiden und teilweise überhaupt nicht mehr durch­ge­führt.

Konser­va­tive Behand­lung versus Opera­tion

Dieses Phäno­men steht dabei oft nicht nur ethischen oder mensch­li­chen, sondern auch wirtschaft­li­chen Prinzi­pien im Weg. Konser­va­tive Behand­lun­gen erbrin­gen oftmals größe­ren Erfolg bei gerin­ge­rem Kosten­auf­wand für die Kranken­kas­sen. Da diese Behand­lungs­form jedoch schlech­ter abzurech­nen ist, wird statt­des­sen häufig bspw. der opera­tive Eingriff gewählt.

Die wirtschaft­li­chen Zwänge führen mittler­weile sogar soweit, dass leiten­den ÄrztIn­nen angedroht werde, dass Stellen in ihrer Abtei­lung gestri­chen werden müssen, wenn ein bestimm­ter Betrag nicht erwirt­schaf­tet wird. Von über 1000 befrag­ten ÄrztIn­nen gaben über die Hälfte an, dass im Vorjahr in ihrem Haus Stellen abgebaut wurden.

Es liegt also auf der Hand, dass in so einem System bestimmte Behand­lun­gen auf Dauer überhaupt nicht mehr durch­ge­führt werden können, was eine Verschlech­te­rung der medizi­ni­schen Versor­gung für die gesamte Bevöl­ke­rung bedeu­tet. Gleich­zei­tig werden profes­sio­nell Pflegende und Ärzte im Spannungs­feld zwischen Berufs­ethos und wirtschaft­li­chem Arbei­ten psychisch zerrie­ben.

Kranken­häu­ser vom Wirtschafts­kreis­lauf entkop­peln

Auch die Heraus­nahme der Refinan­zie­rung von Pflege­kräf­ten aus den DRG’s haben daran nichts geändert, da das Grund­sys­tem nicht verän­dert wurde. Es ist daher dringend notwen­dig, dass Kranken­häu­ser vom Wirtschafts­kreis­lauf zu entkop­peln und eine angemes­sene Behand­lung durch ausrei­chend staat­li­che Subven­tio­nen sicher­ge­stellt wird.

Wenn wir die aktuelle Situa­tion akzep­tie­ren, wird für Pflegende die Freude am Beruf weiter schwin­den, die Versor­gung der Menschen gefähr­det und die Ärztin­nen und Ärzte über ihre Belas­tungs­gren­zen getrie­ben. Das gilt es für jeden von uns im ganz eigenen Inter­esse zu verhin­dern, denn niemand ist vor dem alt oder krank werden bewahrt und verdient eine respekt­volle, gute Behand­lung.

Von Niklas Kemper