Personalsorgen nehmen nahezu in der gesamten Branche zu: Der Deutsche Caritasverband rechnet angesichts der Einführung einer Impfpflicht im Gesundheitsbereich mit vermehrten Kündigungen in Pflegeheimen. Besonders Einrichtungen in Bundesländern mit einer geringen Impfquote werde den Angaben zufolge betroffen sein.
„Gerade aus den Regionen, in denen die Impfquoten generell niedrig sind (z.B. Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, auch Teile Bayerns und Baden-Württembergs), hören wir, dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die eher ihre Stelle in der Altenpflege oder Behindertenhilfe aufgeben werden, als sich impfen zu lassen“, sagte die Präsidentin des Wohlfahrtsverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Sie suchen und finden neue Arbeitsplätze etwa im Einzelhandel und kommen damit dem Gesundheitsamt zuvor.“
Stichtag 15. März
Stichtag ist der 15. März: Dann müssen Gesundheits- und Pflegekräfte eine Impfung gegen das Coronavirus, einen Genesenennachweis oder ein ärztliches Attest, dass sie nicht geimpft werden können, vorweisen. Wenn sich die Mitarbeitenden weigern, muss das zuständige Gesundheitsamt ein Betretungsverbot aussprechen. Zum Caritasverband gehören mehr als 25.000 Einrichtungen. Hauptsächlich im Gesundheitsbereich etwa der Altenhilfe und Behindertenversorgung.
Präsidentin Welskop-Deffaa ist besorgt über die Abgänge der Pflegekräfte. Die Personalsorgen treiben sie um: „Jeder Beschäftigte, den wir verlieren – sei es, weil er abwandert, sei es, weil er erkrankt – reißt eine schmerzliche Lücke in eine seit Jahren enge Personaldecke“, warnte sie. „Es wird dann immer schwerer, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten – für alte und behinderte Menschen, die in unseren Einrichtungen auf verlässliche Unterstützung angewiesen sind.“
Der Caritasverband erwarte daher, dass die Politik alles tue, um bei den Instrumenten wirksam nachzusteuern.
DKG stellt Umsetzung der Impfpflicht infrage
Unterdessen stellt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht und sogar die Umsetzung der berufsbezogenen Impfpflicht infrage.
„Wenn die Politik nach Abwägung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Pandemie vorbei ist und es deshalb keine Impflicht mehr braucht, dann gibt es eine neue Lage“, erklärt der Vorstandsvorsitzende, Gerald Gaß, dem „Handelsblatt“. „Dann gäbe es aus meiner Sicht auch keinen Grund, an der allgemeinen und vor allem der einrichtungsbezogenen Impfpflicht festzuhalten, die ja bereits beschlossen ist.“
Personalsorgen: Versorgung von Pflegebedürftigen in Gefahr
Der Verband der privaten Pflegeanbieter (BPA) warnt wegen der Impfpflicht in der Branche vor Einschränkungen bei der Versorgung von Pflegebedürftigen durch Kündigungen von Mitarbeitern. Die Personalsorgen werden zunehmend größer. „Wir bekommen zunehmend Rückmeldungen aus den Mitgliedsbetrieben, dass Beschäftigte mit Blick auf die kommende einrichtungsbezogene Impfpflicht beabsichtigen zu kündigen“, sagte Verbandspräsident Bernd Meurer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Betroffen seien insbesondere Pflegeunternehmen in Regionen mit hohen Inzidenzen und geringen Impfquoten. „In vielen besonders stark betroffenen Bundesländern können wir nicht dafür garantieren, dass die Versorgung überall aufrechterhalten werden kann. Wenn Pflegekräfte in größerer Zahl ausfallen, ist die Versorgung der Pflegebedürftigen unmittelbar gefährdet“, sagte Meurer.
Pflegekräfte fühlen sich allein gelassen
Schon jetzt berichte eine sehr große Zahl von Pflegeeinrichtungen über Personalengpässe durch Infektionen oder Quarantäne, so der Verbandspräsident. „Wenn es bei der im Dezember 2021 im Bundestag beschlossenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht bleibt und es nicht gleichzeitig zu einer allgemeinen Impfpflicht kommt, fühlen sich Pflegekräfte zu Recht alleingelassen“, mahnte Meurer. Sein Verband repräsentiert rund die Hälfte des gesamten Pflegemarktes.
Wie sehr die Coronapandemie den Personalmangel in der Pflege verschärft hat, legen Daten des Jobportals Stepstone nahe. Dort war die Zahl der Stellenanzeigen für Pflegeberufe im Dezember 2021 um 85 Prozent höher als vor Beginn der Pandemie im Januar 2020. Zum Vergleich: Die Jobausschreibungen insgesamt haben auf dem Portal im selben Zeitraum um 40 Prozent zugelegt.
Ernsthafte Versorgungsengpässe
Es bleibt zu hoffen, dass die Politik daraus den Schluss zieht, dass Versäumnisse zu ernsthaften Versorgungsengpässen führen können.
Denn die Coronapandemie verschärft den Mangel an Pflegepersonal in Deutschland. Die große Sorge ist, dass Politik und Behörden die ab 15. März geltende Impfpflicht im Gesundheitswesen zudem nicht einheitlich umsetzen. Das sagt zum Beispiel Roland Engehausen, der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. So würde der Wettbewerb der Krankenhäuser um das händeringend gesuchte Personal noch weiter angeheizt werden.
Denn sollte es bei der Impfpflicht ausschließlich im Gesundheitswesen bleiben, wäre das für Impfunwillige ein natürlicher Anreiz zum Branchenwechsel – Personalsorgen der Branche hin oder her. Überall auf der Welt beflügelt die schier endlose Pandemie die Bereitschaft unzufriedener Arbeitnehmer, sich neue Herausforderungen zu suchen. Nicht nur in der Pflege.