Qualifikationsmix – die Lösung schlechthin? Der Pflegenotstand ist seit Jahren Realität. Die Branche befindet sich in einem Teufelskreis: Es gibt nicht genug Personal, dadurch wird der Druck auf jede einzelne Pflegekraft höher, dadurch verlassen viele Pflegende den Beruf oder reduzieren ihre Arbeitszeit, so gibt es noch weniger Personal … und die Spirale dreht sich weiter.
Gleichzeitig müssten viele Kliniken dringend modernisiert werden, was sich ebenfalls negativ auf die Arbeitsbedingungen auswirkt.
Ein Ansatz, die pflegerische Versorgung durch effizientere Zusammenstellung von Pflegeteams zu verbessern, ist der Qualifikations- oder Skillmix. Hierbei werden Patienten von Pflegenden mit unterschiedlichen Qualifikationen – ob Pflegehilfskraft, Pflegefachkraft, Bachelor- oder Masterabschluss – gemeinsam betreut.
So kann eine adäquate Versorgung von pflegebedürftigen Menschen bei immer komplexeren Pflegesituationen geleistet werden.
Akademisierung weg vom Krankenbett?
Schon seit langem fordern Berufsverbände eine stärkere Akademisierung der Pflege. Durch diese lässt sich nachweislich eine Senkung der Mortalität erreichen.
Aber auch die Attraktivität des Pflegeberufes würde gestärkt: Mit steigender Verantwortung sind auch andere Karriereschritte möglich – und nicht zuletzt eine höhere Bezahlung. Gleichzeitig befürchten Kritiker, dass eine stärkere Akademisierung die Probleme im Pflegealltag nicht löst. Da der Pflegebedarf stetig ansteigt, so die Argumentation, sollte der Zugang zum Beruf auf gar keinen Fall exklusiver werden.
Dieser Konflikt lässt sich durch Kompetenz-Teams mit unterschiedlichen Qualifikationen auflösen. Im Team werden Aufgaben entsprechend der Qualifikation verteilt, wodurch jede Pflegekraft entsprechend der eigenen Ausbildung eingesetzt werden kann.
Wie das Konzept in der Praxis funktioniert, hat das Deutsche Institut für angewandte Pflege im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung untersucht. Im Förderprogramm „360 Grad Pflege“ wurden unterschiedliche Projekteinrichtungen bei der Entwicklung und Umsetzung des Qualifikationsmixes begleitet.
Qualifikationsmix: Ohne Wertschätzung geht es nicht
Eine zentrale Erkenntnis des Projektes war dabei die große Rolle, die klassische Management-Techniken beim Erfolg des neuen Personalkonzeptes spielen. Denn ohne Wertschätzung geht es nicht. Oft sind gerade Pflegehilfskräfte misstrauisch gegenüber Kollegen mit akademischer Ausbildung.
Die Robert-Bosch-Stiftung betont deshalb, dass der Erfolg des Qualifikationsmixes vom gleichberechtigten Umgang der Teammitglieder abhängt: „Jede Qualifikation im Team hat ihre Berechtigung und wird von allen anerkannt! Ein bewusster und konstruktiver Umgang mit Unterschieden ist notwendig. Neue Hierarchien sollten jedoch möglichst vermieden werden.
Ein erfolgreicher Qualifikationsmix führt dazu, dass für jede Qualifikationsstufe – von den Assistenzberufen bis zur akademisierten Pflege – ein attraktives Aufgabenfeld in der direkten Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf geschaffen wird.“
Der Qualifikationsmix muss es also schaffen, alle Mitglieder des Pflegeteams zu integrieren. Im Idealfall gehen sie offen aufeinander zu, geben Wissen weiter und lernen so voneinander.
Das funktioniert aber nur, wenn die Führungsetage das Konzept aktiv unterstützt. Das bedeutet eine entsprechende Ausrichtung der Personalentwicklung und eine flexible Organisationskultur, die mit Vorbehalten in den Berufsgruppen offen umgeht. Am Wichtigsten ist aber die Mitsprache der Pflegenden selbst: Neben ärztlicher und kaufmännischer Führung sollte auch die Pflege auf allen Hierarchiestufen der Einrichtung vertreten sein.
Qualifikationsmix: Der Praxistest auf der Intensivstation
Nadine Hobuß, Intensivpflegerin an der Charité Berlin, berichtete im Rahmen des 45. Deutschen Krankenhaustages von ihren Erfahrungen mit Teams aus unterschiedlich qualifizierten Pflegekräften. Um die intensivmedizinische Versorgung während der zweiten Welle der Coronapandemie zu gewährleisten, wurden nicht nur Fachkräfte aus anderen Bereichen – OP, Anästhesie oder Ambulanz – eingesetzt.
Auch Servicekräfte, Studierende oder externe Freiwillige unterstützten die Intensivpflege. Dabei wurde unterschieden zwischen Level 1 (Menschen ohne Pflegefachkenntnisse), Level 2 (Fachkräfte ohne Intensiv-Erfahrung) und Level 3 (Fachkräfte mit Intensiv-Erfahrung). Das angestrebte Versorgungsverhältnis von vier Patienten zu drei Pflegekräften – jeweils einer aus jedem Level – lies sich nicht ganz erreichen, da die drei Qualifikationslevel zu unterschiedlich vertreten waren.
Hobuß sieht das Experiment als Erfolg an. Zwar gab es einige Herausforderungen: Die Zeit für Einarbeitung fehlte oft, was besonders bei Teammitgliedern auf Level 1 oder 2 zu Überforderung führte. Fachkräfte auf Level 3 waren sich oft nicht im Klaren darüber, welche Aufgaben sie abgeben konnten. So waren deutlich mehr Absprachen notwendig.
Rollenverlust als Gefahr?
Viele Beteiligte erlebten ein Gefühl des Rollenverlustes: Auch Fachkräfte fühlten sich im fremden Bereich nicht so sicher wie gewohnt. Nicht zuletzt waren die neuen Kollegen anfangs eine unbekannte Größe, der Teamgeist musste sich erst finden.
Als vorteilhaft beschreibt Hobuß die starke Hilfbereitschaft und Toleranz in den Teams. Verstärkt durch die Lockdown-Situation waren viele Teammitglieder bereit, länger auf Station zu bleiben – so ergaben sich spontane Nachbesprechungen und dadurch ein besserer Informationsaustausch.
Auch die Relevanz der eigenen Tätigkeit zur Bewältigung der Pandemie half bei der Teambildung. Eine besondere Art der Fortbildung war dabei das sogenannte Skillzimmer.
In kleinen Lerngruppen fanden in verschiedenen Zimmern 90—minütige Praxisworkshops statt, zum Beispiel zur Beatmung oder verschiedenen Geräten. Insgesamt hat sich, so Hobuß, der Qualifikationsmix in der dynamischen Krisensituation gut bewährt.