Perinatalzentren
Neuge­bo­re­nes nach einer Kaiser­schnitt­ent­bin­dung in der 33 SSW. Bild: Mario Ondris/Dreamstime

Ein Beschluss des Gemein­sa­men Bundes­aus­schuss (G‑BA) sieht vor, dass ab Frühge­bo­rene ab dem kommen­den Jahr nur noch in Einrich­tung mit einer Fallzahl von mindes­tens 25 versorgt werden sollen. Zuvor lag diese sogenannte Mindest­menge bei 14, 2023 übergangs­weise bei 20 Fälle pro Jahr und Stand­ort.

Die Mindest­men­gen­re­ge­lun­gen sind ein Ausfluss des § 136b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V. Hiernach soll für ausge­wählte planbare Leistun­gen im Kranken­haus, bei denen die Quali­tät des Behand­lungs­er­geb­nis­ses von der Menge der erbrach­ten Leistun­gen abhän­gig ist, die Höhe der jewei­li­gen jährli­chen Mindest­menge je Ärztin und Arzt und/oder Stand­ort eines Kranken­hau­ses festge­legt werden.

Der Beschluss des Gemein­sa­men Bundes­aus­schus­ses zur Erhöhung der Mindest­menge auf 25 Fälle stammt vom 17. Dezem­ber 2020 und stützt sich auf wissen­schaft­li­che Studien: Diese sollen belegen, dass die höchst anspruchs­volle medizi­ni­schen Versor­gung von Frühge­bo­re­nen (bzw. Reifge­bo­re­nen mit einem Aufnah­me­ge­wicht von unter 1.250 g) mit steigen­der Erfah­rung der Behand­ler auch bessere Ergeb­nisse erzielt.

Dennoch steht das oberste Beschluss­gre­mium der Selbst­ver­wal­tung für diese Regelung stark in der Kritik, weshalb sich der Gemein­same Bundes­aus­schuss sich zwischen­zeit­lich genötigt sah, sich diesbe­züg­lich zu erklä­ren.

Petition für den Erhalt von Perina­tal­zen­tren einge­reicht

Renate Krajew­ski, Vorsit­zende der Mitar­bei­ter­ver­tre­tung am Dietrich-Bonhoef­fer-Klini­kum (DBK) in Neubran­den­burg (Mecklen­burg-Vorpom­mern), spricht sich hinge­gen zur Rückkehr zu der ursprüng­li­chen Fallzahl von 14 Kindern pro Jahr aus.

Ihre Ansicht nach wird die Hochset­zung der Fallzah­len des Gemein­same Bundes­aus­schus­ses die weitere Schlie­ßung von Level 1‑Perinatalzentren zur Folge haben. Hierdurch „würde flächen­de­ckende Klinik­in­fra­struk­tur weiter abgebaut und die Wege für Betrof­fene in vielen Fällen unnötig und im schlimms­ten Fall sogar lebens­ge­fähr­lich verlän­gert“, so Krajew­ski.

So würde auch die Frühchen-Station in Neubran­den­burg ihren Status als Level-1-Perina­tal­zen­trum einbü­ßen, da die Zahl der dort frühge­bo­re­nen Kinder nur bei 16 bis 20 in den vergan­ge­nen Jahren lag.

Durch den Verlust der Station würden die struk­tu­rel­len Bedin­gun­gen in den Regio­nen noch weiter verschlech­tert und ein Absin­ken der Demogra­fie weiter forciert werden, heißt es der von Krajew­ski beim Deutschen Bundes­tag einge­reichte Petition. Hierin fordert sie, die vom Gemein­sa­men Bundes­aus­schuss beschlos­sene Erhöhung der Mindest­fall­zahl zu strei­chen und durch „angemes­se­nere Maßnah­men zur Quali­täts­si­che­rung“ zu erset­zen.

Die Petition konnte in der Mitzeich­nungs­frist neben 56.682 Online-Unter­stüt­zun­gen auch 54.193 „analoge“ Unter­schrif­ten verbu­chen. Damit konnten doppelt so viele Mitzeich­ner für diese Petition gewon­nen werden, wie sie für ein Quorum notwen­dig sind.

Planba­rer Eingriff oder Notfall?

In der am 27. März 2023 öffent­lich abgehal­te­nen Sitzung des Petiti­ons­aus­schus­ses im Deutschen Bundes­tag (Video der Sitzung hier verfüg­bar) wurde der Unter­schied in den verschie­de­nen Positio­nen noch einmal deutlich.

Insbe­son­dere gingen die Meinun­gen der De­bat­tie­renden stark dahin­ge­hend ausein­an­der, ob es sich bei Versor­gung von Frühge­bo­re­nen tatsäch­lich um eine planbare statio­näre Leistung oder vielmehr um eine Notfall­be­hand­lung handele.

So vertra­ten die Peten­tin sowie der sie der zur Unter­stüt­zung beglei­tende Chef der Neubran­den­bur­ger Kinder­kli­nik, Dr. Sven Armbrust, die Ansicht, dass es sich bei zwei Drittel der in Perina­tal­zen­tren behan­del­ten Frühge­bur­ten um medizi­ni­sche Notfälle handele – und somit gar nicht planbar seien.

Das sahen Karin Maag, unpar­tei­isches Mitglied im Gemein­sa­men Bundes­aus­schuss, sowie der parla­men­ta­ri­sche Staats­se­kre­tär im Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­rium, Prof. Dr. Edgar Franke (SPD), ganz anders: Ihne zur Folge seien rund 90 Prozent der Frühge­bur­ten planbar.

Hand Perinatalzentren
Hand eines Frühge­bo­re­nen Bild: Jkha/Dreamstime

Kritik auch aus den Ländern

Inzwi­schen haben mehrere Bundes­län­der ebenfalls ihre Beden­ken hinsicht­lich der Mindest­men­gen­re­ge­lung geäußert und Wider­stand gegen die Ein­führung signa­li­siert. Motiva­tion ist auch hier die furcht vor einer zuneh­men­den Verschlech­te­rung der flächen­de­cken­den Versor­gung.

Auch verschie­dene promi­nente Chefärzte, wie beispiels­weise der Leiter der Kinder­kli­nik am Klini­kum Fulda, Prof. Dr. Reinald Repp, wieder­holt Kritik an der bestehen­den Mindest­men­gen­re­ge­lung geäußert: „Wenn man der Meinung ist, dass es in Deutsch­land zu viele Klini­ken gibt, die extrem kleine Frühge­bo­rene behan­deln dürfen, sollte man eher die 50 schlech­tes­ten schlie­ßen und nicht die 50 kleins­ten“, erklärte Repp in einem Inter­view.

Ein Aufat­men für die Perina­tal­zen­tren?

Aber vielleicht können die betrof­fe­nen Perina­tal­zen­tren schon bald Aufat­men: Wie jetzt bekannt wurde, hat sich der Petiti­ons­aus­schluss in einer Ende Septem­ber gemach­ten Beschluss­emp­feh­lung für eine flächen­de­ckende Versor­gung von Früh- und Reifge­bo­re­nen unter 1.250 g Aufnah­me­ge­wicht ausge­spro­chen.

In der Beschluss­emp­feh­lung wird dem Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­rium der Auftrag erteilt entwe­der die Mindest­men­gen­er­hö­hung vorerst auszu­set­zen oder zumin­dest die Entschei­dung über Mindest­men­gen in die Länder­ho­heit ohne (die bisher notwen­dige) Mitwir­kung der Kosten­trä­gern zurück­zu­ge­ben.

Der Deutsche Bundes­tag hat die Beschluss­emp­feh­lung in seiner Sitzung vom 12. Oktober einstim­mig angenom­men. Mit einer Entschei­dung des Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­ums ist wahrschein­lich in der kommen­den sechs Wochen zu rechnen.