Ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschuss (G‑BA) sieht vor, dass ab Frühgeborene ab dem kommenden Jahr nur noch in Einrichtung mit einer Fallzahl von mindestens 25 versorgt werden sollen. Zuvor lag diese sogenannte Mindestmenge bei 14, 2023 übergangsweise bei 20 Fälle pro Jahr und Standort.
Die Mindestmengenregelungen sind ein Ausfluss des § 136b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V. Hiernach soll für ausgewählte planbare Leistungen im Krankenhaus, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, die Höhe der jeweiligen jährlichen Mindestmenge je Ärztin und Arzt und/oder Standort eines Krankenhauses festgelegt werden.
Der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Erhöhung der Mindestmenge auf 25 Fälle stammt vom 17. Dezember 2020 und stützt sich auf wissenschaftliche Studien: Diese sollen belegen, dass die höchst anspruchsvolle medizinischen Versorgung von Frühgeborenen (bzw. Reifgeborenen mit einem Aufnahmegewicht von unter 1.250 g) mit steigender Erfahrung der Behandler auch bessere Ergebnisse erzielt.
Dennoch steht das oberste Beschlussgremium der Selbstverwaltung für diese Regelung stark in der Kritik, weshalb sich der Gemeinsame Bundesausschuss sich zwischenzeitlich genötigt sah, sich diesbezüglich zu erklären.
Petition für den Erhalt von Perinatalzentren eingereicht
Renate Krajewski, Vorsitzende der Mitarbeitervertretung am Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum (DBK) in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern), spricht sich hingegen zur Rückkehr zu der ursprünglichen Fallzahl von 14 Kindern pro Jahr aus.
Ihre Ansicht nach wird die Hochsetzung der Fallzahlen des Gemeinsame Bundesausschusses die weitere Schließung von Level 1‑Perinatalzentren zur Folge haben. Hierdurch „würde flächendeckende Klinikinfrastruktur weiter abgebaut und die Wege für Betroffene in vielen Fällen unnötig und im schlimmsten Fall sogar lebensgefährlich verlängert“, so Krajewski.
So würde auch die Frühchen-Station in Neubrandenburg ihren Status als Level-1-Perinatalzentrum einbüßen, da die Zahl der dort frühgeborenen Kinder nur bei 16 bis 20 in den vergangenen Jahren lag.
Durch den Verlust der Station würden die strukturellen Bedingungen in den Regionen noch weiter verschlechtert und ein Absinken der Demografie weiter forciert werden, heißt es der von Krajewski beim Deutschen Bundestag eingereichte Petition. Hierin fordert sie, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossene Erhöhung der Mindestfallzahl zu streichen und durch „angemessenere Maßnahmen zur Qualitätssicherung“ zu ersetzen.
Die Petition konnte in der Mitzeichnungsfrist neben 56.682 Online-Unterstützungen auch 54.193 „analoge“ Unterschriften verbuchen. Damit konnten doppelt so viele Mitzeichner für diese Petition gewonnen werden, wie sie für ein Quorum notwendig sind.
Planbarer Eingriff oder Notfall?
In der am 27. März 2023 öffentlich abgehaltenen Sitzung des Petitionsausschusses im Deutschen Bundestag (Video der Sitzung hier verfügbar) wurde der Unterschied in den verschiedenen Positionen noch einmal deutlich.
Insbesondere gingen die Meinungen der Debattierenden stark dahingehend auseinander, ob es sich bei Versorgung von Frühgeborenen tatsächlich um eine planbare stationäre Leistung oder vielmehr um eine Notfallbehandlung handele.
So vertraten die Petentin sowie der sie der zur Unterstützung begleitende Chef der Neubrandenburger Kinderklinik, Dr. Sven Armbrust, die Ansicht, dass es sich bei zwei Drittel der in Perinatalzentren behandelten Frühgeburten um medizinische Notfälle handele – und somit gar nicht planbar seien.
Das sahen Karin Maag, unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss, sowie der parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Prof. Dr. Edgar Franke (SPD), ganz anders: Ihne zur Folge seien rund 90 Prozent der Frühgeburten planbar.
Kritik auch aus den Ländern
Inzwischen haben mehrere Bundesländer ebenfalls ihre Bedenken hinsichtlich der Mindestmengenregelung geäußert und Widerstand gegen die Einführung signalisiert. Motivation ist auch hier die furcht vor einer zunehmenden Verschlechterung der flächendeckenden Versorgung.
Auch verschiedene prominente Chefärzte, wie beispielsweise der Leiter der Kinderklinik am Klinikum Fulda, Prof. Dr. Reinald Repp, wiederholt Kritik an der bestehenden Mindestmengenregelung geäußert: „Wenn man der Meinung ist, dass es in Deutschland zu viele Kliniken gibt, die extrem kleine Frühgeborene behandeln dürfen, sollte man eher die 50 schlechtesten schließen und nicht die 50 kleinsten“, erklärte Repp in einem Interview.
Ein Aufatmen für die Perinatalzentren?
Aber vielleicht können die betroffenen Perinatalzentren schon bald Aufatmen: Wie jetzt bekannt wurde, hat sich der Petitionsausschluss in einer Ende September gemachten Beschlussempfehlung für eine flächendeckende Versorgung von Früh- und Reifgeborenen unter 1.250 g Aufnahmegewicht ausgesprochen.
In der Beschlussempfehlung wird dem Bundesgesundheitsministerium der Auftrag erteilt entweder die Mindestmengenerhöhung vorerst auszusetzen oder zumindest die Entscheidung über Mindestmengen in die Länderhoheit ohne (die bisher notwendige) Mitwirkung der Kostenträgern zurückzugeben.
Der Deutsche Bundestag hat die Beschlussempfehlung in seiner Sitzung vom 12. Oktober einstimmig angenommen. Mit einer Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums ist wahrscheinlich in der kommenden sechs Wochen zu rechnen.