Eine Patientenverfügung muss nicht absolut und in jedem Fall wirksam sein, sondern findet ihre Grenzen insbesondere dann, wenn der Schutz der Allgemeinheit berührt ist. Im vorliegenden Fall hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück per Beschluss die Wirksamkeit der Patientenverfügung einer psychisch kranken Person gegen psychiatrische Behandlungen verneint und wies die Beschwerde hiergegen ab (Az.: 4 T 8/20 und 4 T 1/20). Die Entscheidung ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Wegen des nicht eindeutigen Gesetzes-Wortlauts – sowohl in Niedersachsen als auch in anderen Bundesländern – sei eine höchstrichterliche Klärung geboten. Deshalb ließen die Richter eine Beschwerde zum Bundesgerichtshof zu.
Im konkreten Fall sollte die Person zwangsweise in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden. Dort sollte der Mann auch zwangsweise Medikamente verabreicht bekommen. Die Gemeinde, die den Antrag beim Amtsgericht gestellt hatte, verwies auf das sexuell enthemmte und aggressive Verhalten der Person gegenüber Dritten. Dem könne man nur durch Unterbringung und Medikation begegnen. Zudem leide die Person an einer potenziell lebensbedrohlichen körperlichen Erkankung, und sei deshalb auf weitere Medikamente angewiesen. Das könne sie in ihrem Zustand jedoch nicht erfassen.
Patientenverfügung von Anti-Psychiatrie-Initiative genutzt
Die betroffene Person verweigerte sich einer Behandlung jedoch komplett. Der Mann legte eine Patientenverfügung vor, in der „jede Zwangsbehandlung egal mit welchen als Medikamenten bezeichneten Stoffen“ abgelehnt wird. Gleiches gilt für die Unterbringung in einer Psychiatrie. Er hatte hierzu eine Vorlage von der Website PatVerfü.de genutzt. Die Initiative aus mehreren Selbsthilfegruppen und Verbänden von Psychiatrie-Erfahrenen, Heimkinder- und Autisten-Selbsthilfegruppen sowie mit Patientenverfügungen befassten Rechtsanwälten, mit Nina Hagen als Schirmherrin, wendet sich unter dem Slogan „Für Freiheit, gegen Zwang“ gegen alle Formen der zwangsweisen psychiatrischen Behandlung. Auf der Webseite können sich Interessierte eine Muster-Verfügung herunterladen.
Aus zwei Gründen lehnte das Landgericht jedoch die Wirksamkeit ab. Zum einen liege auch eine körperliche Erkrankung vor, die behandlungsbedürftig sei. Das könne der Beschwerdeführer in seinem Zustand aber nicht wahrnehmen und erkennen. Zum anderen sei ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass das allgemeine Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen seine Grenze in den Rechten Dritter finde.
„Eine Patientenverfügung könne daher eine zwangsweise Behandlung dann nicht verhindern, wenn sie dem Schutz der Allgemeinheit, das heißt anderer Bürgerinnen und Bürger, diene”, folgert Richter Dr. Christoph Sliwka in der Information der Pressestelle des Landgericht Osnabrück. „Stellt jemand aufgrund seiner Erkrankung eine Gefahr für Dritte dar, müsse das berechtigte Interesse der Allgemeinheit, notfalls eine Behandlung mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen zu können, sich gegen das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen durchsetzen.”
Das habe man im konkreten Fall als gegeben angesehen. Die Unterbringung diene zudem dazu, die Person in einen Zustand rückzuversetzen, in der sie wieder eigenständig und selbstbestimmt leben könne.