Organisationsverschulden
Im vorlie­gen­den Fall führte ein Organi­sa­ti­ons­ver­schul­den zu drama­ti­schen Konse­quen­zen für die Patien­tin – sie befin­det sich heute im Zustand des Wachko­mas. Bild: 06photo | Dreamstime.com

Der vorlie­gende Fall hat sich tatsäch­lich zugetra­gen und war Gegen­stand eines Verfah­rens vor dem Landge­richt Mainz.

Sachver­halt

Die zum Behand­lungs­zeit­punkt 52-jährige Patien­tin begab sich zur Durch­füh­rung eines plasti­schen Eingriffs (unter anderem Facelift) in eine Privat­kli­nik, die von ihrem Opera­teur als Geschäfts­füh­rer betrie­ben wurde. Die Anästhe­sie wurde von einem freibe­ruf­lich tätigen Anästhe­sis­ten durch­ge­führt. Die postope­ra­tive Betreu­ung der Patien­tin übernahm im Rahmen einer Nacht­wa­che eine Medizin­stu­den­tin, welche sich zum Behand­lungs­zeit­punkt im 10. Semes­ter befand.

Der Eingriff verlief kompli­ka­ti­ons­los. Im Anschluss an die OP erhielt die Patien­tin von dem Anästhe­sis­ten eine Infusion mit Kochsalz­lö­sung. Wegen einer Diabe­tes­er­kran­kung wurde Insulin injiziert. Ferner erhielt die Patien­tin ein Schmerz­mit­tel. Mit liegen­der NaCl-Infusion wurde die wache und orien­tierte Patien­tin in das Patien­ten­zim­mer verbracht.

Dort übergab der Anästhe­sist der Medizin­stu­den­tin eine Medika­men­ten­liste, überwie­gend mit Bedarfs­me­di­ka­tion, wobei er irrig davon ausging, dass es sich bei ihr um eine ausge­bil­dete Fachkraft handelte. Außer­dem befand sich auf der Liste der Eintrag „Infusi­ons­rest aus OP iv“.

Um 20 Uhr verlie­ßen sowohl der Opera­teur als auch der Anästhe­sist die Klinik und hinter­lie­ßen beide ihre Telefon­num­mern, für den Fall, dass Unklar­hei­ten bestün­den oder Kompli­ka­tio­nen einträ­ten.

Die Medizin­stu­den­tin brachte eine noch am Tropf im OP hängende Infusi­ons­fla­sche ins Patien­ten­zim­mer, da sie die Anwei­sung des Anästhe­sis­ten „Infusi­ons­rest aus OP iv“ so verstan­den hatte, dass der Inhalt dieser Flasche noch der Patien­tin verab­reicht werden solle. Die Flasche war mit NaCI beschrif­tet, enthielt aber außer Kochsalz­lö­sung auch Propo­fol, mit dem der Anästhe­sist die Narkose durch­ge­führt hatte. Der Inhalt der Flasche war milchig. Die Studen­tin nahm an, dass sich in der Flasche zusätz­lich noch „irgend­et­was“ wegen der Diabe­tes­er­kran­kung befand.

Im Verlauf des Abends erbrach sich die Patien­tin. Um den Flüssig­keits­ver­lust auszu­glei­chen, entschloss sich die Studen­tin, die aus dem OP mitge­brachte Infusion zu verab­rei­chen. Nach einem kurzen Gespräch antwor­tete die Patien­tin plötz­lich nicht mehr. Die Studen­tin hörte ledig­lich noch ein brodeln­des Geräusch, dass sie jedoch nicht einord­nen konnte.

Die Patien­tin erlitt einen Atem- und Kreis­lauf­still­stand. Die Medizin­stu­den­tin benach­rich­tigte über den polizei­li­chen Notruf den Notarzt. Aus dem Notfall­pro­to­koll ergab sich deutlich, dass die Studen­tin nicht in der Lage war, Reani­ma­ti­ons­maß­nah­men durch­zu­füh­ren. Eine Intuba­tion wurde schließ­lich vom Notarzt veran­lasst. Die Patien­tin erlitt eine dauer­hafte Hirnschä­di­gung und liegt seither im sogenann­ten Wachkoma.

Haftungs­lage

Die die Klinik betrei­bende Gesell­schaft als auch der Opera­teur als deren Geschäfts­füh­rer haften persön­lich aus dem Behand­lungs­ver­trag aufgrund eines Organi­sa­ti­ons­ver­schul­dens, denn sie waren verpflich­tet, für eine ausrei­chend quali­fi­zierte Betreu­ung der Patien­tin Sorge zu tragen. Diese Verpflich­tung haben sie mit der Übertra­gung der postope­ra­ti­ven Betreu­ung auf die Studen­tin nicht erfüllt. Die Studen­tin war nach ihrem Ausbil­dungs­stand und ihren persön­li­chen Fähig­kei­ten nicht ausrei­chend quali­fi­ziert.

Nach den Ausfüh­run­gen des gericht­li­chen Sachver­stän­di­gen genüg­ten 10 Semes­ter Medizin­stu­dium nicht als Nachweis für eine ausrei­chende Quali­fi­ka­tion für die Betreu­ung im postope­ra­ti­ven Bereich. Regel­mä­ßig werde in den ersten 10 Semes­tern primär theore­ti­sches Wissen vermit­telt. Aus diesem Grund sei der Ausbil­dungs­stand der Studen­tin ledig­lich mit dem einer pflege­ri­schen Hilfs­kraft vergleich­bar gewesen.

Da die Betreu­ung und Überwa­chung von frisch operier­ten Patien­ten gerade wegen des Kompli­ka­ti­ons­ri­si­kos als anspruchs­voll und komplex zu bewer­ten sei, habe der Ausbil­dungs­stand der Studen­tin hier nicht ausge­reicht, um eine ordnungs­ge­mäße Betreu­ung zu gewähr­leis­ten. Allein das Hinter­las­sen der Telefon­num­mer reiche nicht für eine ordnungs­ge­mäße Organi­sa­tion. Wird nicht ärztli­ches Perso­nal mit der Betreu­ung von frisch operier­ten Patien­ten betraut, muss ein Arzt in Rufweite sein.

Auch die Studen­tin haftet aus § 823 Absatz 1 BGB persön­lich. Sie kann sich nicht darauf berufen, dass sie bei der Gabe der Infusion mit Propo­fol ledig­lich einer Anwei­sung des Anästhe­sis­ten gefolgt sei.

Der gericht­li­che Sachver­stän­dige führte zudem aus, dass die Anord­nung „Infusi­ons­rest aus OP iv“ aus medizi­ni­scher Sicht absolut eindeu­tig gewesen sei und nur die Infusion meinen könne, die bereits bei Verle­gung der Patien­tin in ihr Zimmer verab­reicht wurde. Vielmehr habe das Verhal­ten der Studen­tin gegen jegli­che Grund­re­geln im Umgang mit Infusi­ons­lö­sun­gen versto­ßen. Zum einen war das Infusi­ons­sys­tem offen und damit unste­ril, zum anderen war der milchige Inhalt unklar. Eine solche Infusion darf nicht nochmals zum Einsatz kommen. Dies sei jedem medizi­ni­schen Fachper­so­nal klar. Bei Unklar­hei­ten hätte die Studen­tin umgehend telefo­nisch bei dem Anästhe­sis­ten oder Opera­teur nachfra­gen müssen.

Der gutach­ter­li­chen Bewer­tung schloss sich das Gericht vollum­fäng­lich an.

Ergeb­nis

Die Klinik, der Opera­teur als auch die Studen­tin haften für sämtli­che Schaden­fol­gen.

Das Schmer­zens­geld wird sich im sechs­stel­li­gen Bereich bewegen. Daneben werden vermehrte Bedürf­nisse in Form von Pflege­leis­tun­gen sowie ein Erwerbs­scha­den auszu­glei­chen sein. Die Summe aller Entschä­di­gungs­leis­tun­gen wird die Millio­nen­grenze überschrei­ten.

Eine Haftung des Anästhe­sis­ten wurde indes verneint. Das Gericht vertrat die Auffas­sung, dass das Hängen­las­sen einer angebro­che­nen, unrich­tig beschrif­te­ten Infusi­ons­fla­sche zwar pflicht­wid­rig gewesen sei. Die Anwei­sung „Infusi­ons­rest aus OP iv“ sei als solche aus medizi­ni­scher Sicht jedoch nicht zu beanstan­den gewesen, weil der Anästhe­sist aufgrund der konkre­ten Umstände davon ausge­hen durfte, dass die postope­ra­tive Betreu­ung von geeig­ne­tem und genügend quali­fi­zier­tem Perso­nal geleis­tet werde. Deshalb musste er auch nicht damit rechnen, dass die von ihm im OP belas­sene Flasche entge­gen den Grund­re­geln des Umgangs mit Infusi­ons­lö­sun­gen der Patien­tin verab­reicht werden würde.

Fazit

Die Betreu­ung operier­ter Patien­ten muss durch ausrei­chend ausge­bil­de­tes und quali­fi­zier­tes Perso­nal erfol­gen. Hierbei ist es gleich­gül­tig, ob es sich um eine Einrich­tung einer höheren Versor­gungs­stufe handelt oder aber – wie im vorlie­gen­den Fall – um eine Kleinst-Klinik. Bei der Auswahl des Perso­nals sind Ärzte und Klinik­be­trei­ber zu höchs­ter Sorgfalt verpflich­tet.

Von RA Tanja Mannschatz, HDI