Auch ärztliche Organisationsfehler können als grobe Behandlungsfehler gewertet werden.
Auch ärztli­che Organi­sa­ti­ons­feh­ler können als grobe Behand­lungs­feh­ler gewer­tet werden. Bild: © Ginasan­ders | Dreamstime.com

Sachver­halt

In einem aktuel­len Fall wurde auf Wunsch des Patien­ten durch seinen Hausarzt eine Labor­un­ter­su­chung durch­ge­führt. Die Labor­werte wiesen einen erhöh­ten PSA-Wert auf. Der PSA-Wert (prosta­ta­spe­zi­fi­sches Antigen) ist der empfind­lichste Parame­ter in der Diagnos­tik des Prosta­ta­kar­zi­noms. Nach Eingang der Unter­su­chungs­er­geb­nisse beim Hausarzt erfolgte weder ein Gespräch mit dem Patien­ten, noch wurden diesem die Labor­werte ausge­hän­digt. Hierdurch wurde dem Patien­ten ein deutlich erhöh­ter PSA-Wert nicht mitge­teilt. Auch erfolgte im weite­ren Verlauf anläss­lich weite­rer Vorstel­lungs­ter­mine keine Reaktion auf den erhöh­ten Wert. Erst drei Jahre später wurde ein Prosta­ta­kar­zi­nom diagnos­ti­ziert. Das Karzi­nom hatte sich bereits ausge­dehnt. Die Prognose ist aufgrund der Tumor­aus­deh­nung als schlecht zu bewer­ten. Der Patient macht umfang­rei­che Schmer­zens­geld- und Schadens­er­satz­an­sprü­che geltend.

Recht­li­che Würdi­gung

Das bloße Abhef­ten eines Befun­des ohne Infor­ma­tion an den Patien­ten und Berück­sich­ti­gung im weite­ren Behand­lungs­ver­lauf stellt bereits für sich einen groben Behand­lungs­feh­ler im Sinne eines Organi­sa­ti­ons­feh­lers dar.

Ein grober Behand­lungs­feh­ler liegt vor, wenn gegen bewährte ärztli­che Behand­lungs­re­geln bzw. gesicherte medizi­ni­sche Erkennt­nisse in einer Weise versto­ßen wird, dass der Fehler aus objek­ti­ver Sicht nicht mehr verständ­lich erscheint, weil er einem Arzt schlech­ter­dings nicht unter­lau­fen darf (BGH, Urteil vom 19. Juni 2001, Az.: VI ZR 286/00). Der Arzt ist schon aus dem Behand­lungs­ver­trag heraus verpflich­tet, ihm zur Kennt­nis gelangte Diagno­sen und Befunde mitzu­tei­len. Dies gilt nach der Recht­spre­chung umso mehr, wenn es sich um schwer­wie­gende und behand­lungs- oder abklä­rungs­be­dürf­tige Befunde und Diagno­sen handelt und der Arzt als Hausarzt in einer Langzeit­be­treu­ung und damit auch als inter­dis­zi­pli­nä­rer Koordi­na­tor tätig ist.

Der Arzt darf sich insbe­son­dere auch nicht darauf verlas­sen, dass der Patient selbst nach den Befun­den fragen wird oder dass die dem Arzt zur Kennt­nis gelang­ten Befunde und Diagno­sen dem Patien­ten durch andere (Mit-) Behand­ler mitge­teilt werden.

Jüngst bestä­tigte der Bundes­ge­richts­hof (BGH) in einer Entschei­dung vom 26. Juni 2018 (BGH VI ZR 285/17) dass ein Arzt auch dann den Patien­ten über Befunde zu infor­mie­ren hat, wenn diese erst nach Beendi­gung eines Behand­lungs­ver­tra­ges dem Arzt zur Kennt­nis gelan­gen. Den Arzt trifft insofern auch eine aus dem Behand­lungs­ver­trag nachwir­kende Schutz- und Fürsor­ge­pflicht (§ 280 Absatz 1, § 241 Absatz 2 BGB; BGH VI ZR 285/17). Der Arzt, der eine solche Infor­ma­tion bekommt, muss den Infor­ma­ti­ons­fluss aufrecht­erhal­ten. Er kann sich auch nicht mit dem Argument exkul­pie­ren, dass ein solcher Fehler unter den gegebe­nen Umstän­den des Praxis­all­tags passie­ren könne. Der BGH wertete auch diesen Fall der unter­blie­be­nen Infor­ma­tion des Patien­ten als groben Behand­lungs­feh­ler (BGH VI ZR 285/17).

Wurde ein Patient durch einen groben Behand­lungs­feh­ler geschä­digt, geht die Beweis­last hinsicht­lich des Ursachen­zu­sam­men­hangs zwischen dem Behand­lungs­feh­ler und dem einge­tre­te­nen Schaden vom Patien­ten auf den Arzt über, der dann bewei­sen müsste, dass der Gesund­heits­scha­den des Patien­ten auch bei recht­mä­ßi­gem Verhal­ten einge­tre­ten wäre (§ 630h Absatz 5 Satz 1 BGB). Ein solcher Nachweis wird schon unter natur­wis­sen­schaft­li­chen Gesichts­punk­ten nur in sehr selte­nen Fällen zu erbrin­gen sein. Etwaige Unsicher­hei­ten zu den einzel­nen gesund­heit­li­chen Beein­träch­ti­gun­gen des Patien­ten gehen regel­mä­ßig zu Lasten des Arztes.

Fazit

Der Arzt muss einen fehler­freien Behand­lungs­ab­lauf in seiner Praxis sicher­stel­len. Er verletzt seine ärztli­chen Pflich­ten gegen­über dem Patien­ten, wenn er ihn nicht unver­züg­lich über Diagno­sen, Befunde und Behand­lungs­emp­feh­lun­gen infor­miert. Werden diese Standards nicht einge­hal­ten und kommt es deswe­gen zu Kompli­ka­tio­nen beim Patien­ten, wird dies als ein grober Organi­sa­ti­ons­feh­ler des Arztes gewer­tet.

Quelle: Rechts­an­walt und Fachan­walt für Medizin­recht Jürgen Hersch, HDI Kunden­ser­vice AG, Köln