Rechtsdepesche: Herr Dr. Hammer, was versteht man denn eigentlich unter „Textilservice“? Den meisten Lesern ist das vermutlich kein Begriff.
Dr. Timo Hammer: Das ist richtig und darin liegt auch schon die größte Herausforderung für diese spannende und wichtige Branche. Unter „Textilservice“ versteht man im Wesentlichen die professionelle Wiederaufbereitung verschmutzter Wäsche. Das geht weit über das Waschen hinaus, wie wir es von zuhause kennen. Wir sprechen hier über hochtechnisierte Dienstleister und modernste Logistik. Manche Textilservice-Betriebe waschen um die 100 Tonnen Wäsche – am Tag! Zum Textilservice gehört des Weiteren auch das Vermieten von Textilien. Viele Endkunden wie Krankenhäuser, Hotels oder auch produzierende Unternehmen besitzen die Bettwäsche, OP-Textilien, oder Berufskleidung nicht mehr selbst, sondern mieten sie inklusive der professionellen Wiederaufbereitung.
Rechtsdepesche: Warum ist diese Branche gerade für das Gesundheitswesen so relevant?
Hammer: Die Situation ist fast schon absurd. Die Beschaffung von Textilien und deren Wiederaufbereitung stehen für Einrichtungen des Gesundheitswesens oft ganz hinten auf der Prioritätenliste. Dabei müssen wir uns nur einmal kurz vorstellen, wie es weiterginge, wenn die Textilservice-Branche heute ihre Arbeit niederlegen würde. Innerhalb weniger Tage wären die Lager an sauberer Wäsche leer; die Krankenhäuser stünden für die Stationen ohne Bettwäsche, Handtücher und Inkontinenzunterlagen da; die Bekleidung der Ärzte und Pflegekräfte würde fehlen und selbst Abdecktücher im OP wären nicht mehr da. Die Krankenhäuser und auch die meisten Alten- und Pflegeheime stünden also innerhalb kürzester Zeit still. Das ist den meisten Leuten nicht bewusst.
Rechtsdepesche: Während der Coronapandemie wurde ja zwischenzeitlich Schutzbekleidung und Schutzausrüstung knapp; auch andere Lieferketten waren unterbrochen und stellten das Gesundheitswesen vor enorme Herausforderungen. Welche Rolle spielt die Textilservice-Branche vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass sich eine solche Mangelsituation nicht wiederholt?
Hammer: Uns allen wurde schmerzhaft vor Augen geführt, wie stark abhängig unser Gesundheitswesen von Lieferketten, meist aus Asien, ist. In den deutschen Krankenhäusern wird zum Beispiel sehr viel Einwegmaterial verwendet; das gilt für Schutzausrüstung, aber auch für OP-Abdecktücher und ähnliches. Reißen diese Lieferketten ab – wie 2020 während der Pandemie geschehen – fehlen diese Produkte schlagartig. Dabei liegt die Lösung im wahrsten Sinne des Wortes nah, denn für diese Produkte gibt es hervorragende und nachhaltige Mehrweg-Lösungen – und zwar hier in Deutschland. Übrigens hat eine kürzlich veröffentlichte Studie in den USA gezeigt, dass die Barrierefunktion und Schutzwirkung von Mehrweg OP-Bekleidung die der Einwegprodukte deutlich übertrifft.[1]
Rechtsdepesche: Der Nachhaltigkeitsvorteil für Mehrweg liegt auf der Hand, aber ist das entscheidende Kriterium für den Einkäufer im Krankenhaus nicht vielmehr der Preis?
Hammer: Das ist richtig, aber auch hier schneidet das Mehrweg-Produkt besser ab – ebenfalls nachzulesen in der eben zitierten Studie. Dadurch, dass das hochwertige Mehrweg-Produkt sehr viele Male wiederaufbereitet werden kann, sinken die Gesamtkosten über den Nutzungszeitraum (total cost of ownership, TCO) unter die des Einwegprodukts. Zwingende Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Produkte sachgemäß wiederaufbereitet werden, also vom professionellen Textilservice mit zertifiziertem Waschprozess nach RAL Gütezeichen 992, bzw. DIN EN 14065.
Quellen:
- McQuerry et al., Disposable versus reusable medical gowns: A performance comparison. Amercian Journal of Infection Control, 2020.