Ein kleine Meldung, klein genug, um in der tagtäglichen Flut der Neuigkeiten unterzugehen, aber groß genug, um Wellen zu schlagen. Unter anderem bei mir. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ vermeldete, dass aufgrund der zu erwartenden Engpässe in der pflegerischen Versorgung nach Einführung der Impfpflicht für Pflegekräfte die Pflege im häuslichen Bereich künftig durch Nachbarn aufrechterhalten werden solle.
Outsourcing der Pflegehelfer
Soll bedeuten: Meine, Ihre und unsere Nachbarn sollen jetzt Pflegebedürftige versorgen. Eigentlich wäre dafür die Politik zuständig, die professionelle Versorgung der professionellen Pflege sicher zustellen. Das Problem, auf das die Branche gerade mit Riesenschritten zuläuft, soll also „outgesourct“ werden – ausgelagert wie ein externer Zulieferer für Auspuffrohre zum Beispiel in der Automobilindustrie. Vielleicht ist die Politik gerade auch zu sehr damit beschäftigt, eine Imppfplicht für alle durchzuboxen, damit die Pflegeszene nicht mehr allein damit in einer Schutzverantwortung steht.
Doch das Vorhaben hat seine Tücken. Und die hat sich Berlin in erster Linie selbst geschaffen. Auf eine Anfrage der Linken im Bundestag schrieb das Gesundheitsministerium wörtlich: „Zur Vermeidung von pflegerischen Versorgungsengpässen im häuslichen Bereich können Pflegekassen für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 nach ihrem Ermessen Kostenerstattung in Höhe der ambulanten Sachleistungsbeträge“ gewähren.
Häusliche Pflege wird ohnehin vernachlässigt
Damit sei „eine flexible Möglichkeit bereitgestellt, um coronabedingte Versorgungsengpässe bei der Pflege zu Hause besser aufzufangen“. Mit den Mitteln könne „Ersatz bis hin zur Unterstützung durch Nachbarn organisiert werden“, so die Bundesregierung. Notlösung oder Masterplan? In jedem Fall aber verwunderlich.
Dabei ist die häusliche Pflege ohnehin schon völlig vernachlässigt. Wahrscheinlich fällt da ein so krudes politisches Vorhaben gar nicht mehr so sehr ins Gewicht. Klatschen wir in der nächsten Pandemie doch einfach gleich den nächsten Nachbarn ab – er wird es sich verdient haben!
Rund zehn Millionen Angehöre in diesem Land schaffen es ja jetzt schon, man fragt sich: wie eigentlich? Dreiviertel der über vier Millionen Pflegebedürftigen werden in diesen Tagen zuhause gepflegt. Die meisten von ihnen sowieso schon ohne professionelle Unterstützung, ohne Bezahlung, neben dem eigenen Job, im hohen Alter, oder während Pflegende selbst krank werden durch ständige Überlastung.
Chronischer Arbeitskampf in der Pflege
Diese Menschen erleben, dass ihre Kolleginnen und Kollegen aus der professionellen Pflege für ihre eigenen Arbeitsbedingungen zunehmend kämpfen müssen. Sie gehen auf die Straße – zwar auch nicht mit durchschlagendem Erfolg, aber immerhin mit erstrittenen Lohnerhöhungen. Die häusliche Pflege hingegen ist für die Öffentlichkeit so gut wie unsichtbar.
Vielleicht ist das der Hauptgrund, warum die Politik sie so sträflich vernachlässigt. Als Familienangehöriger hat man nach wie vor gratis für die Pflegebedürftigen einzustehen. Wie in früheren Generationen, bei der sogenannten Großfamilie, drei Generationen unter einem Dach – ein Modell aus Kaisers Zeiten. Für sorgfältige Pflege fallen schon mal gut 50 Arbeitsstunden pro Woche an, pro Patient wohlgemerkt.
Pflegehelfer und Nachbar
Also: Nachbarn ranholen satt professioneller Pflegedienste. Und die sollen dafür dann Geld bekommen. Die Nothelfer von nebenan, die so in ihr unverhofftes „Glück“ stolpern, werden dann auch entlohnt: Es liegt im Ermessen der Pflegekassen, in welchen Umfang die Vergütung erfolgt. Viele in der Pflegeszene wissen: Pflegekassen sind nicht die mit den Spendierhosen.
Es kann also sein, dass Sie genau wie ich demnächst da stehen und Hilfe der Nachbarn benötigen. Ganz einfach weil ungeimpfte Plegekräfte nicht mehr zur Arbeit kommen dürfen ab dem 16. März. Denn von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht betroffen sind ja die lieben Nachbarn nicht.
Nichtgeimpfte ohne pflegerischen Sachverstand als Ersatz für Pflegehelfer in Haushalte zu schicken, erscheint gerade in einer Pandemie ziemlich absurd. Die Versorgung kann doch so nicht mehr seriös sichergestellt werden, oder? „Behelfskonzepte“ statt nachhaltiger Zukunftspläne wie dieses machen einem Angst vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung in Deutschland. Wird diese komplexe Problematik des demographischen Faktors nicht mit konzeptioneller Intelligenz und professioneller Haltung bekämpft, droht ein ganzes Land zum Pflegefall zu werden.