Pflegehelfer
Nachbarn statt Pflege­kräfte: der neue Plan der Bundes­re­gie­rung Bild: Katar­zyna Bialasiewicz/Dreamstime.com

Ein kleine Meldung, klein genug, um in der tagtäg­li­chen Flut der Neuig­kei­ten unter­zu­ge­hen, aber groß genug, um Wellen zu schla­gen. Unter anderem bei mir. Das Nachrich­ten­ma­ga­zin „Der Spiegel“ vermel­dete, dass aufgrund der zu erwar­ten­den Engpässe in der pflege­ri­schen Versor­gung nach Einfüh­rung der Impfpflicht für Pflege­kräfte die Pflege im häusli­chen Bereich künftig durch Nachbarn aufrecht­erhal­ten werden solle.

Outsour­cing der Pflege­hel­fer

Soll bedeu­ten: Meine, Ihre und unsere Nachbarn sollen jetzt Pflege­be­dürf­tige versor­gen. Eigent­lich wäre dafür die Politik zustän­dig, die profes­sio­nelle Versor­gung der profes­sio­nel­len Pflege sicher zustel­len. Das Problem, auf das die Branche gerade mit Riesen­schrit­ten zuläuft, soll also „outges­ourct“ werden – ausge­la­gert wie ein exter­ner Zulie­fe­rer für Auspuff­rohre zum Beispiel in der Automo­bil­in­dus­trie. Vielleicht ist die Politik gerade auch zu sehr damit beschäf­tigt, eine Imppf­plicht für alle durch­zu­bo­xen, damit die Pflege­szene nicht mehr allein damit in einer Schutz­ver­ant­wor­tung steht.

Doch das Vorha­ben hat seine Tücken. Und die hat sich Berlin in erster Linie selbst geschaf­fen. Auf eine Anfrage der Linken im Bundes­tag schrieb das Gesund­heits­mi­nis­te­rium wörtlich: „Zur Vermei­dung von pflege­ri­schen Versor­gungs­eng­päs­sen im häusli­chen Bereich können Pflege­kas­sen für Pflege­be­dürf­tige der Pflege­grade 2 bis 5 nach ihrem Ermes­sen Kosten­er­stat­tung in Höhe der ambulan­ten Sachleis­tungs­be­träge“ gewäh­ren.

Häusli­che Pflege wird ohnehin vernach­läs­sigt

Damit sei „eine flexi­ble Möglich­keit bereit­ge­stellt, um coronabe­dingte Versor­gungs­eng­pässe bei der Pflege zu Hause besser aufzu­fan­gen“. Mit den Mitteln könne „Ersatz bis hin zur Unter­stüt­zung durch Nachbarn organi­siert werden“, so die Bundes­re­gie­rung. Notlö­sung oder Master­plan? In jedem Fall aber verwun­der­lich.

Dabei ist die häusli­che Pflege ohnehin schon völlig vernach­läs­sigt. Wahrschein­lich fällt da ein so krudes politi­sches Vorha­ben gar nicht mehr so sehr ins Gewicht. Klatschen wir in der nächs­ten Pande­mie doch einfach gleich den nächs­ten Nachbarn ab – er wird es sich verdient haben!

Rund zehn Millio­nen Angehöre in diesem Land schaf­fen es ja jetzt schon, man fragt sich: wie eigent­lich? Dreivier­tel der über vier Millio­nen Pflege­be­dürf­ti­gen werden in diesen Tagen zuhause gepflegt. Die meisten von ihnen sowieso schon ohne profes­sio­nelle Unter­stüt­zung, ohne Bezah­lung, neben dem eigenen Job, im hohen Alter, oder während Pflegende selbst krank werden durch ständige Überlas­tung.

Chroni­scher Arbeits­kampf in der Pflege

Diese Menschen erleben, dass ihre Kolle­gin­nen und Kolle­gen aus der profes­sio­nel­len Pflege für ihre eigenen Arbeits­be­din­gun­gen zuneh­mend kämpfen müssen. Sie gehen auf die Straße – zwar auch nicht mit durch­schla­gen­dem Erfolg, aber immer­hin mit erstrit­te­nen Lohner­hö­hun­gen. Die häusli­che Pflege hinge­gen ist für die Öffent­lich­keit so gut wie unsicht­bar.

Vielleicht ist das der Haupt­grund, warum die Politik sie so sträf­lich vernach­läs­sigt. Als Famili­en­an­ge­hö­ri­ger hat man nach wie vor gratis für die Pflege­be­dürf­ti­gen einzu­ste­hen. Wie in frühe­ren Genera­tio­nen, bei der sogenann­ten Großfa­mi­lie, drei Genera­tio­nen unter einem Dach – ein Modell aus Kaisers Zeiten. Für sorgfäl­tige Pflege fallen schon mal gut 50 Arbeits­stun­den pro Woche an, pro Patient wohlge­merkt.

Pflege­hel­fer und Nachbar

Also: Nachbarn ranho­len satt profes­sio­nel­ler Pflege­dienste. Und die sollen dafür dann Geld bekom­men. Die Nothel­fer von nebenan, die so in ihr unver­hoff­tes „Glück“ stolpern, werden dann auch entlohnt: Es liegt im Ermes­sen der Pflege­kas­sen, in welchen Umfang die Vergü­tung erfolgt. Viele in der Pflege­szene wissen: Pflege­kas­sen sind nicht die mit den Spendier­ho­sen.

Es kann also sein, dass Sie genau wie ich demnächst da stehen und Hilfe der Nachbarn benöti­gen. Ganz einfach weil ungeimpfte Plege­kräfte nicht mehr zur Arbeit kommen dürfen ab dem 16. März. Denn von der einrich­tungs­be­zo­ge­nen Impfpflicht betrof­fen sind ja die lieben Nachbarn nicht.

Nicht­ge­impfte ohne pflege­ri­schen Sachver­stand als Ersatz für Pflege­hel­fer in Haushalte zu schicken, erscheint gerade in einer Pande­mie ziemlich absurd. Die Versor­gung kann doch so nicht mehr seriös sicher­ge­stellt werden, oder? „Behelfs­kon­zepte“ statt nachhal­ti­ger Zukunfts­pläne wie dieses machen einem Angst vor dem Hinter­grund einer immer älter werden­den Bevöl­ke­rung in Deutsch­land. Wird diese komplexe Proble­ma­tik des demogra­phi­schen Faktors nicht mit konzep­tio­nel­ler Intel­li­genz und profes­sio­nel­ler Haltung bekämpft, droht ein ganzes Land zum Pflege­fall zu werden.