Forschende der Technischen Universität München (TUM) haben im Laborversuch mit Mäusen einen vielsprechenden Therapieansatz gefunden, der Alzheimer aufhalten und zurückdrehen könnte. Dem Team ist es gelungen, einen Proteinwirkstoff gegen das Amyloid-Beta-Biomolekül zu entwickeln, welches die typische Hyperaktivität von Nervenzellen im Anfangsstadium der Alzheimer-Krankheit auslöst.
Entwicklung läuft weiter
Bei dem entwickelten Wirkstoff handelt es sich um ein sogenanntes Amyloid-Beta-bindendes Anticalin (H1GA). Ob der Effekt dieses künstlich erzeugten Proteins auch außerhalb des Labors erzielt werden kann, ist noch unklar. Wann mit einer am Menschen anwendbaren Therapie im besten Fall zu rechnen ist, lässt sich laut TUM-Gruppenleiter Dr. Benedikt Zott schwer sagen. „Wahrscheinlich ist, dass das Anticalin in dieser Form nie am Menschen angewendet wird, sondern noch Anpassungen nötig sind“, schreibt er auf Anfrage der Rechtsdepesche. Diese Anpassungen befänden sich teilweise bereits in der Entwicklung.
Anticaline werden durch Protein-Design gewonnen, im Fall von H1GA wurden sie in gentechnisch veränderten Bakterien der Art Escherichia coli produziert und ins Gehirn der Mäuse gespritzt. Im Versuch konnte damit die Hyperaktivität der Nervenzellen im frühen Alzheimer-Stadium vollständig unterdrückt werden. Zudem gibt es Hinweise, dass neuronale Fehlfunktionen wieder repariert werden könnten.
Behandlung im Frühstadium wichtig
Bei der Behandlung von Alzheimer ist ein früher Zeitpunkt generell ausschlaggebend für den Erfolg. „Mittlerweile weiß man, dass eine zu späte Behandlung bereits entstandenen Schaden, zum Beispiel untergegangene Nervenzellen im Gehirn, nicht mehr rückgängig machen kann“, erklärt Studienautor Zott. Deswegen sei es wichtig, Alzheimer bereits im Frühstadium zu behandeln. Dies gelte für alle Therapien, nicht nur für Anticaline.
Im frühen Stadium setzt auch der Alzheimer-Antikörper Lecanemab an, der hierzulande kürzlich in die Schlagzeilen geraten ist, weil sich der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) gegen die Zulassung in der EU ausgesprochen hat.
Als Alzheimer-Medikament ist der Wirkstoff unter dem Namen Leqembi in Ländern wie den Vereinigten Staaten, China, Japan oder Israel als Medikament bereits zugelassen. Der Wirkstoff gilt in Forschungskreisen als großer Erfolg, weil es sich um den ersten Wirkstoff handelt, der nicht bloß gegen Symptome wirkt, sondern an einer möglichen Ursache von Alzheimer ansetzt.
Nebenwirkungen Antikörper vs. Anticalin
Lecanemab kann schädliche Amyloid Plaques, also Eiweißablagerungen im Gehirn entfernen und den geistigen Abbau im frühen Stadium der Alzheimer-Erkrankung somit nachweislich verlangsamen – gemäß der Alzheimer Forschung Initiative e.V. um 27 Prozent, was eine Verlangsamung von vier bis sieben Monaten bedeutet.
Nach Ansicht der EMA wiegt diese verhältnismäßig geringe Wirkung das Risiko der schweren Nebenwirkungen aber nicht auf: Lecanemab kann Hirnschwellungen und Hirnblutungen verursachen, welche in Studien bei 17 Prozent der Probanden auftraten und in drei Fällen zum Tod geführt haben könnten.
Wie sich das neu entwickelte Anticalin der TUM im Vergleich zum Antikörper Lecanemab verhält, ist dem Forschungsteam nicht bekannt. Allerdings erzeugten Zott zufolge Anticaline im Gegensatz zu Antikörpern keine oder nur eine sehr geringe Immunreaktion. „Es kann also sein, dass Anticaline ein etwas anderes und möglicherweise vorteilhafteres Nebenwirkungsprofil besitzen.“ Direkt getestet wurde das bisher aber noch nicht.
FAQ
Was kann der neue Therapieansatz gegen Alzheimer bewirken?
Ein Forschungsteam der Technischen Universität München hat einen Wirkstoff entwickelt, der Alzheimer aufhalten und sogar zurückdrehen könnte. Bei dem Wirkstoff handelt es sich um ein Anticalin, ein künstlich erzeugtes Protein.
Wann ist die Therapie beim Menschen anwendbar?
Das kann man noch nicht sagen. Der Wirkstoff wurde im Tierversuch entwickelt und wird laut TUM in der vorliegenden Form wahrscheinlich nicht am Menschen anwendbar sein. Die Weiterentwicklung in diese Richtung läuft aber schon.
Was ist Lecanemab?
Lecanemab ist ein Antikörper, der bereits als Medikament gegen Alzheimer in einigen Ländern zugelassen ist und den geistigen Abbau im Anfangsstadium verlangsamt. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat sich gegen eine Zulassung in der EU ausgesprochen, da der vergleichsweisen geringen Wirkung schwerwiegende Nebenwirkungen in Form von Hirnblutungen und Hirnschwellungen gegenüberstehen.
Fazit
Der neue Therapieansatz gegen Alzheimer aus München beruht auf einem Anticalin und könnte die Krankheit im Frühstadium aufhalten und sogar zurückdrehen. Die ersten positiven Ergebnisse wurden im Labor im Tierversuch erzielt. Um den Wirkstoff auch am Menschen anwenden zu können, sind noch weitere Anpassungen nötig.
Wie beim Alzheimer-Antikörper Lecanemab, dessen Zulassung als Medikament für die EU wegen schwerer Nebenwirkungen kürzlich von der EMA abgelehnt wurde, ist das Frühstadium der Alzheimerkrankheit für den Behandlungserfolg ausschlaggebend. Die Nebenwirkungen des Anticalin könnten möglicherweise nicht so schwerwiegend ausfallen.
Bildunterschrift: Eine Frage der Zeit: Die Hirnerkrankung Alzheimer stoppen und zurückdrehen.
Quelle: TU München, Alzheimer Forschung Initiative e.V.