Mit Anticalin gegen Alzheimer
Eine Frage der Zeit: Die Hirner­kran­kung Alzhei­mer stoppen und zurück­dre­hen – vielleicht gelingt es mit Anticalin? Bild: Desiree Gorges

Forschende der Techni­schen Univer­si­tät München (TUM) haben im Labor­ver­such mit Mäusen einen vielspre­chen­den Thera­pie­an­satz gefun­den, der Alzhei­mer aufhal­ten und zurück­dre­hen könnte. Dem Team ist es gelun­gen, einen Prote­in­wirk­stoff gegen das Amyloid-Beta-Biomo­le­kül zu entwi­ckeln, welches die typische Hyper­ak­ti­vi­tät von Nerven­zel­len im Anfangs­sta­dium der Alzhei­mer-Krank­heit auslöst.

Entwick­lung läuft weiter

Bei dem entwi­ckel­ten Wirkstoff handelt es sich um ein sogenann­tes Amyloid-Beta-binden­des Anticalin (H1GA). Ob der Effekt dieses künst­lich erzeug­ten Prote­ins auch außer­halb des Labors erzielt werden kann, ist noch unklar. Wann mit einer am Menschen anwend­ba­ren Thera­pie im besten Fall zu rechnen ist, lässt sich laut TUM-Gruppen­lei­ter Dr. Benedikt Zott schwer sagen. „Wahrschein­lich ist, dass das Anticalin in dieser Form nie am Menschen angewen­det wird, sondern noch Anpas­sun­gen nötig sind“, schreibt er auf Anfrage der Rechts­de­pe­sche. Diese Anpas­sun­gen befän­den sich teilweise bereits in der Entwick­lung.

Antical­ine werden durch Protein-Design gewon­nen, im Fall von H1GA wurden sie in gentech­nisch verän­der­ten Bakte­rien der Art Esche­ri­chia coli produ­ziert und ins Gehirn der Mäuse gespritzt. Im Versuch konnte damit die Hyper­ak­ti­vi­tät der Nerven­zel­len im frühen Alzhei­mer-Stadium vollstän­dig unter­drückt werden. Zudem gibt es Hinweise, dass neuro­nale Fehlfunk­tio­nen wieder repariert werden könnten.

Behand­lung im Frühsta­dium wichtig

Bei der Behand­lung von Alzhei­mer ist ein früher Zeitpunkt generell ausschlag­ge­bend für den Erfolg. „Mittler­weile weiß man, dass eine zu späte Behand­lung bereits entstan­de­nen Schaden, zum Beispiel unter­ge­gan­gene Nerven­zel­len im Gehirn, nicht mehr rückgän­gig machen kann“, erklärt Studi­en­au­tor Zott. Deswe­gen sei es wichtig, Alzhei­mer bereits im Frühsta­dium zu behan­deln. Dies gelte für alle Thera­pien, nicht nur für Antical­ine.

Im frühen Stadium setzt auch der Alzhei­mer-Antikör­per Lecane­mab an, der hierzu­lande kürzlich in die Schlag­zei­len geraten ist, weil sich der Ausschuss für Human­arz­nei­mit­tel der Europäi­schen Arznei­mit­tel­agen­tur (EMA) gegen die Zulas­sung in der EU ausge­spro­chen hat.

Als Alzhei­mer-Medika­ment ist der Wirkstoff unter dem Namen Leqembi in Ländern wie den Verei­nig­ten Staaten, China, Japan oder Israel als Medika­ment bereits zugelas­sen. Der Wirkstoff gilt in Forschungs­krei­sen als großer Erfolg, weil es sich um den ersten Wirkstoff handelt, der nicht bloß gegen Symptome wirkt, sondern an einer mögli­chen Ursache von Alzhei­mer ansetzt.

Neben­wir­kun­gen Antikör­per vs. Anticalin

Lecane­mab kann schäd­li­che Amyloid Plaques, also Eiweiß­ab­la­ge­run­gen im Gehirn entfer­nen und den geisti­gen Abbau im frühen Stadium der Alzhei­mer-Erkran­kung somit nachweis­lich verlang­sa­men – gemäß der Alzhei­mer Forschung Initia­tive e.V. um 27 Prozent, was eine Verlang­sa­mung von vier bis sieben Monaten bedeu­tet.

Nach Ansicht der EMA wiegt diese verhält­nis­mä­ßig geringe Wirkung das Risiko der schwe­ren Neben­wir­kun­gen aber nicht auf: Lecane­mab kann Hirnschwel­lun­gen und Hirnblu­tun­gen verur­sa­chen, welche in Studien bei 17 Prozent der Proban­den auftra­ten und in drei Fällen zum Tod geführt haben könnten.

Wie sich das neu entwi­ckelte Anticalin der TUM im Vergleich zum Antikör­per Lecane­mab verhält, ist dem Forschungs­team nicht bekannt. Aller­dings erzeug­ten Zott zufolge Antical­ine im Gegen­satz zu Antikör­pern keine oder nur eine sehr geringe Immun­re­ak­tion. „Es kann also sein, dass Antical­ine ein etwas anderes und mögli­cher­weise vorteil­haf­te­res Neben­wir­kungs­pro­fil besit­zen.“ Direkt getes­tet wurde das bisher aber noch nicht.

FAQ

Was kann der neue Thera­pie­an­satz gegen Alzhei­mer bewir­ken?

Ein Forschungs­team der Techni­schen Univer­si­tät München hat einen Wirkstoff entwi­ckelt, der Alzhei­mer aufhal­ten und sogar zurück­dre­hen könnte. Bei dem Wirkstoff handelt es sich um ein Anticalin, ein künst­lich erzeug­tes Protein.

Wann ist die Thera­pie beim Menschen anwend­bar?

Das kann man noch nicht sagen. Der Wirkstoff wurde im Tierver­such entwi­ckelt und wird laut TUM in der vorlie­gen­den Form wahrschein­lich nicht am Menschen anwend­bar sein. Die Weiter­ent­wick­lung in diese Richtung läuft aber schon.

Was ist Lecane­mab?

Lecane­mab ist ein Antikör­per, der bereits als Medika­ment gegen Alzhei­mer in einigen Ländern zugelas­sen ist und den geisti­gen Abbau im Anfangs­sta­dium verlang­samt. Die Europäi­sche Arznei­mit­tel­agen­tur (EMA) hat sich gegen eine Zulas­sung in der EU ausge­spro­chen, da der vergleichs­wei­sen gerin­gen Wirkung schwer­wie­gende Neben­wir­kun­gen in Form von Hirnblu­tun­gen und Hirnschwel­lun­gen gegen­über­ste­hen.

Fazit

Der neue Thera­pie­an­satz gegen Alzhei­mer aus München beruht auf einem Anticalin und könnte die Krank­heit im Frühsta­dium aufhal­ten und sogar zurück­dre­hen. Die ersten positi­ven Ergeb­nisse wurden im Labor im Tierver­such erzielt. Um den Wirkstoff auch am Menschen anwen­den zu können, sind noch weitere Anpas­sun­gen nötig.

Wie beim Alzhei­mer-Antikör­per Lecane­mab, dessen Zulas­sung als Medika­ment für die EU wegen schwe­rer Neben­wir­kun­gen kürzlich von der EMA abgelehnt wurde, ist das Frühsta­dium der Alzhei­mer­krank­heit für den Behand­lungs­er­folg ausschlag­ge­bend. Die Neben­wir­kun­gen des Anticalin könnten mögli­cher­weise nicht so schwer­wie­gend ausfal­len.

Bildun­ter­schrift: Eine Frage der Zeit: Die Hirner­kran­kung Alzhei­mer stoppen und zurück­dre­hen.

Quelle: TU München, Alzhei­mer Forschung Initia­tive e.V.