Der Ribosomal Exit Tunnel könnte zur Entwicklung neuartiger Antibiotika führen
Resis­ten­zen gegen Antibio­tika veran­las­sen Forscher, nach neuen Wegen für wirksame Antibio­tika zu suchen. Jetzt haben Wissen­schaft­ler aus der Schweiz einen solchen Weg gefun­den. Bild: frolicsomepl/Pixabay.com

Riboso­men sind die „Fabri­ken“ der Zelle und für die Produk­tion von Prote­inen zustän­dig. Sie entspre­chen einer komple­xen Maschi­ne­rie aus riboso­ma­len RNA-Molekü­len und diver­sen riboso­ma­len Prote­inen.

So lange diese Fabri­ken funktio­nie­ren, werden tief im Zentrum des Molekül­kom­ple­xes unabläs­sig Amino­säu­ren zu Prote­in­ket­ten zusam­men­ge­setzt, die sich allmäh­lich durch den sogenann­ten Riboso­mal Exit Tunnel heraus­win­den. Manch­mal aller­dings kommt das „Monta­ge­band“ ins Stocken. Die Prote­ine bleiben im Exit Tunnel stecken und die ganze Maschi­ne­rie wird blockiert.

Neue Antibio­tika für neue Resis­ten­zen

Der Vorgang, mit dem engli­schen „Stalling“ bezeich­net, wird schnell bedroh­lich für die Zelle, wenn viele Riboso­men betrof­fen sind. Aus diesem Grund ist Stalling eine effizi­ente Strate­gie von Antibio­tika, um Bakte­rien-Zellen abzutö­ten.

Über die Hälfte der natür­lich vorkom­men­den Antibio­tika zielt auf die Riboso­men ab. Ein vielver­spre­chen­der Weg zur Entwick­lung neuer Wirkstoffe führt deshalb über die Analyse des Mecha­nis­mus, wo und wie genau diese Antibio­tika die Prote­in­fa­brik zum Still­stand bringen.

Dies ist nötig, um die weltweit zuneh­men­den multi­re­sis­ten­ten Keime zu bekämp­fen, die sich aus einem breiten und häufig unange­mes­se­nen Einsatz von Antibio­tika bei Mensch und Tier ergeben.

„Es braucht daher einen geziel­ten Einsatz von neuen Antibio­tika, um diese Resis­ten­zen umgehen zu können“, sagt Prof. Norbert Polacek vom Depar­te­ment Chemie und Bioche­mie der Univer­si­tät Bern. Gemein­sam mit der Gruppe von Prof. Jonathan Hall vom Depar­te­ment für Chemie und angewandte Biowis­sen­schaf­ten der ETH Zürich hat er nun einen mögli­chen Ansatz für neue Antibio­tika entdeckt.

Riboso­mal Exit Tunnel als „Brems­vor­gang“ für Prote­ine

Das Stalling ist ein aussichts­rei­cher Start­punkt für diese Forschung, da die Funktion des Riboso­mal Exit Tunnels bei der Polypep­tid­syn­these und der folgen­den Faltung der Prote­ine erst in den Grund­zü­gen bekannt ist.

Der Tunnel scheint so etwas wie ein Brems­pe­dal für den Trans­la­ti­ons­pro­zess zu sein. Manch­mal verlang­samt sich durch die Blockade der Prozess nur – was womög­lich auch Vorteile bei der Verfer­ti­gung der Prote­ine mit sich bringt –, manch­mal sorgen spezi­fi­sche Inter­ak­tio­nen der frisch­ge­ba­cke­nen Prote­ine mit der Tunnel­wand aber auch für einen Total­halt. Wie genau geht dieser Stopp vonstat­ten? Und wie merken die Statio­nen weiter unten in der Fabri­ka­ti­ons­li­nie, dass sie die Arbeit ebenfalls einstel­len müssen?

Die beiden Forscher­grup­pen unter­such­ten dazu das Stalling, welches von Erythro­my­cin und anderen sogenann­ten Makro­li­dan­ti­bio­tika – welche die Prote­in­syn­these von Bakte­rien hemmen – verur­sacht wird. Sie entwi­ckel­ten eine Methode, um kleinste Bestand­teile des Tunnels zu verän­dern und zu unter­su­chen, welchen Effekt das auf das Stalling hatte. Indem sie einzelne Nukleo­ba­sen oder sogar nur einzelne Atome in der riboso­ma­len RNA austausch­ten, konnten sie die Rolle spezi­fi­scher funktio­na­ler Gruppen im Tunnel beim Stalling aufzei­gen.

Vereinte Kräfte für komplexe Probleme

Sie konnten auch die exakten Teile der Ribosom-Maschi­ne­rie identi­fi­zie­ren, die für das Übermit­teln des Stalling-Signals vom Tunnel zurück zum Pepti­dyl-Trans­fer­ase-Zentrum des Ribosoms verant­wort­lich sind, wo die Amino­säu­ren zu Prote­inen zusam­men­ge­hängt werden und wo der Betrieb dann auch gestoppt wird.

Diese Nukleo­ba­sen tragen direkt zwar nicht viel zum Mecha­nis­mus der Prote­in­syn­these bei, doch erklärt vermut­lich diese beson­dere Rolle bei der Überwa­chung der wachsen­den Peptid­stränge im Exit Tunnel, warum sie im Lauf der Evolu­tion weitge­hend unver­än­dert erhal­ten blieben.

Die Erkennt­nisse sind nicht nur für die Medika­men­ten­for­schung von Inter­esse, sondern auch, weil sie das Poten­zial inter­dis­zi­pli­nä­rer Ansätze bei komple­xen moleku­lar­bio­lo­gi­schen Proble­men aufzei­gen.

Frucht­volle Zusam­men­ar­beit

„Die Arbeit hätte von keiner unserer beiden Gruppen allein bewäl­tigt werden können“, sagt Norbert Polacek. Beide Gruppen brach­ten ihre spezi­fi­sche Exper­tise ein – die Hall-Gruppe von der ETH das Knowhow bei der chemi­schen Synthese der RNA und die Polacek-Gruppe von der Uni Bern die Bioche­mie-Kennt­nisse des Ribosoms.

Laut Polacek sei diese Forschungs­ar­beit ein perfek­tes Beispiel der Philo­so­phie des Natio­na­len Forschungs­schwer­punkts „RNA & Disease – Die Rolle von RNS in Krank­heits­me­cha­nis­men“, der verschie­dene Diszi­pli­nen zusam­men­bringt, um das Verständ­nis der Wechsel­wir­kun­gen zwischen der RNA und dem Organis­mus bei Krank­hei­ten zu vertie­fen.

Quelle: idw