Myom
Gebär­mut­ter Bild: © Alena Menshi­kova | Dreamstime.com

Der Myom-Fall: Was war gesche­hen?

Im Myom-Fall geht es um eine Frau, bei der eine doppel­f­aust­große Gebär­mut­ter­schwulst (Myom) festge­stellt wurde. Der Chefarzt des Kranken­hau­ses, in dem das Myom festge­stellt wurde, riet ihr schließ­lich dazu, die Geschwulst opera­tiv entfer­nen zu lassen. Sie willigte ein.

Die Opera­tion übernahm der Chefarzt selbst. Doch erst während der Opera­tion musste er feststel­len, dass das Myom fest mit der Gebär­mut­ter verwach­sen war. Das Myom konnte somit nur dann entfernt werden, wenn die ganze Gebär­mut­ter entfernt wird.

Einen solchen Fall hatte der Chefarzt aller­dings nicht mit der Patien­tin abgespro­chen. Von ihr hatte er nur die Einwil­li­gung in die Entfer­nung des Myoms, nicht aber in die der gesam­ten Gebär­mut­ter, falls nötig.

Trotz­dem entschied er sich dazu, die Gebär­mut­ter vollstän­dig zu entfer­nen. Er nahm an, er würde damit im Sinne der Patien­tin handeln. Doch dem war nicht so.

Chefarzt wird zunächst freige­spro­chen

Mit einem so weitge­hen­den Eingriff war die Patien­tin nicht einver­stan­den. Vor Gericht klagte sie gegen den Arzt und warf ihm fahrläs­sige Körper­ver­let­zung vor.

Während das Landge­richt Essen in erster Instanz den Tatbe­stand einer Körper­ver­let­zung als erfüllt ansah, stimmte es jedoch nicht der Auffas­sung zu, der Arzt habe die Einwil­li­gung der Patien­tin fahrläs­sig angenom­men.

Nach Auffas­sung des Gerichts hätte der Arzt sehr wohl davon ausge­hen dürfen, die Patien­tin wäre mit dem Eingriff, wie er schließ­lich durch­ge­führt wurde, einver­stan­den gewesen.

Weil sie in den voran­ge­gan­ge­nen Jahren bereits zwei Fachärzte zu Rate gezogen hatte, durfte der Chefarzt „mehr voraus­set­zen, als bei einem Laien auf medizi­ni­schem Gebiet sonst zu erwar­ten war“.

Außer­dem wollte der Arzt die Patien­tin nicht über das Notwen­digste hinaus beunru­hi­gen. Deshalb habe er nichts von einer notfalls erfor­der­li­chen Entfer­nung der Gebär­mut­ter erwähnt.

Aus diesen Überle­gun­gen folgte zunächst der Freispruch des Chefarz­tes. Doch die Patien­tin ging in Revision. Der Bundes­ge­richts­hof wertete den Fall schließ­lich anders.

Bundes­ge­richts­hof stellt schließ­lich Schuld fest

Der Bundes­ge­richts­hof ist der Ansicht, dass die Überle­gun­gen des Landes­ge­richts einige Fragen offen lassen:

Hätte der Chefarzt nicht schon bei der Bespre­chung des Eingriffs daran denken können, dass das Myom mögli­cher­weise fest mit der Gebär­mut­ter verwach­sen sein könnte, was die vollstän­dige Entfer­nung nötig machen würde? Und wäre er dann nicht verpflich­tet gewesen, die Patien­tin auf diese Möglich­keit hinzu­wei­sen und ihr zusätz­li­ches Einver­ständ­nis für diesen folgen­schwe­ren Eingriff einzu­ho­len?

Für den Bundes­ge­richts­hof gibt es keine Recht­fer­ti­gung für die Annahme des Chefarz­tes, die Patien­tin wäre sicher­lich damit einver­stan­den, dass ihr notfalls die Gebär­mut­ter vollstän­dig entfernt wird.

Der Arzt hätte beden­ken müssen, dass die Patien­tin lieber mit dem Myom an der Gebär­mut­ter leben würde als ohne das gesamte Organ. Auch dann, wenn der Zustand mit Myom mögli­cher­weise lebens­be­droh­lich wäre und die Patien­tin auch ohne das Organ leben könnte.

Patien­tin hat Recht auf körper­li­che Unver­sehrt­heit

In Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grund­ge­setz heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben und körper­li­che Unver­sehrt­heit“. An dieser Stelle ist darauf hinzu­wei­sen, dass eine Opera­tion immer auch einen solchen Eingriff in die körper­li­che Unver­sehrt­heit eines Patien­ten bedeu­tet.

Entspre­chend gilt der Artikel auch dann, wenn eine Patien­tin ihre körper­li­che Unver­sehrt­heit nicht aufge­ben möchte. Selbst, wenn dadurch ihr Leben geret­tet wird.

Der Arzt hat sich somit zum Richter darüber gemacht, unter welchen Umstän­den die Patien­tin ihre körper­li­che Unver­sehrt­heit aufge­ben sollte.

Es ist zwar sein Recht und seine Pflicht Menschen zu heilen. Das Selbst­be­stim­mungs­recht der Patien­tin begrenzt aber die ärztli­chen Pflich­ten.

BGH, 28.11.1957 – 4 StR 525/57

„Es wäre ein rechts­wid­ri­ger Eingriff in die Freiheit und Würde der mensch­li­chen Persön­lich­keit, wenn ein Arzt – und sei es auch aus medizi­nisch berech­tig­ten Gründen – eigen­mäch­tig und selbst­her­risch eine folgen­schwere Opera­tion bei einem Kranken, dessen Meinung recht­zei­tig einge­holt werden kann, ohne dessen vorhe­rige Billi­gung vornähme.“

Urteil: Chefarzt handelte fahrläs­sig

Der Bundes­ge­richts­hof stellte schließ­lich eine fahrläs­sige Körper­ver­let­zung fest. Dass der Chefarzt fahrläs­sig gehan­delt hat, bezieht sich in dem Fall nicht auf den Eingriff an sich.

Nach Beginn der Opera­tion hätte der Arzt schlecht abbre­chen können, um abzuwar­ten, bis er die zusätz­li­che Einwil­li­gung der Patien­tin einho­len kann.

Vielmehr handelte er fahrläs­sig, weil er vor der Opera­tion nicht mit der Patien­tin über eine mögli­che Entfer­nung der ganzen Gebär­mut­ter gespro­chen hat. Das brachte ihn schließ­lich in die schwie­rige Lage, während der OP nicht mehr nach ihrem Einver­ständ­nis fragen zu können.

Das Verhal­ten ist nicht damit zu recht­fer­ti­gen, dass er die Patien­tin nicht zusätz­lich beunru­hi­gen wollte. Eher ist hier eine falsch verstan­dene Rücksicht­nahme festzu­stel­len, die darin resul­tierte, dass der Chefarzt seine Patien­tin nicht ausrei­chend aufklärte.

Bedeu­tung des Falls für die mutmaß­li­che Einwil­li­gung

Von einer mutmaß­li­chen Einwil­li­gung wird immer dann gespro­chen, wenn eine an sich urteils­fä­hige Person nicht mehr nach ihrer Zustim­mung für einen Eingriff gefragt werden kann. Der Eingriff wird dann im mutmaß­li­chen Inter­esse der Person durch­ge­führt.

Der Myom-Fall ist dabei beson­ders relevant für mutmaß­li­che Einwil­li­gun­gen im Bereich der Opera­ti­ons­er­wei­te­run­gen [1]. Der Fall zeigt, dass bei Opera­ti­ons­er­wei­te­run­gen in der Regel nur eine Einwil­li­gung in die ursprüng­li­che Opera­tion vorliegt.

Die Einwil­li­gung für die Opera­ti­ons­er­wei­te­rung indes­sen kann nur vorlie­gen, wenn der Patient im Rahmen der ärztli­chen Aufklä­rung auch über diese Möglich­keit aufge­klärt wurde und seine ausdrück­li­che Einwil­li­gung gegeben hat.

Im Sinne der Selbst­be­stim­mung eines Patien­ten resul­tiert daraus, dass Eingriffe in der Regel aufge­scho­ben werden müssen, bis die Einwil­li­gung auch für die Opera­ti­ons­er­wei­te­rung einge­holt werden kann. So ist zumin­dest dann vorzu­ge­hen, wenn ein Abbruch der OP ohne Gefähr­dung für den Patien­ten möglich ist.

Ohne Einwil­li­gung darf die Opera­ti­ons­er­wei­te­rung nur dann vollzo­gen werden, wenn das Leben des Patien­ten im gegen­wär­ti­gen Moment in Gefahr ist.

FAQ

Was ist der Myom-Fall?

Beim Myom-Fall geht es um eine Patien­tin, bei der eine Gebär­mut­ter­schwulst (Myom) festge­stellt und opera­tiv entfernt werden sollte. Während der Opera­tion stellte der Chefarzt fest, dass das Myom mit der Gebär­mut­ter verwach­sen war und entfernte daher die gesamte Gebär­mut­ter, ohne die ausdrück­li­che Einwil­li­gung der Patien­tin hierfür zu haben.

Der Bundes­ge­richts­hof entschied, dass das Verhal­ten des Chefarz­tes eine fahrläs­sige Körper­ver­let­zung darstellt, weil der die Patien­tin nicht über die Möglich­keit der vollstän­di­gen Gebär­mut­ter­ent­fer­nung aufge­klärt hatte.

Was ist eine mutmaß­li­che Einwil­li­gung?

Der Myom-Fall verdeut­licht die Bedeu­tung der mutmaß­li­chen Einwil­li­gung bei der Opera­ti­ons­er­wei­te­rung. Eine mutmaß­li­che Einwil­li­gung liegt vor, wenn eine an sich urteils­fä­hige Person, nicht mehr in einen Eingriff einwil­li­gen kann. Sie tritt häufig im Fall von Opera­ti­ons­er­wei­te­run­gen auf.

Dort liegt in der Regel nur eine Einwil­li­gung in die ursprüng­li­che OP vor. Fehlt die Aufklä­rung und Zustim­mung für die Opera­ti­ons­er­wei­te­rung, darf der Eingriff nur vorge­setzt werden, wenn das Leben des Patien­ten gegen­wär­tig in Gefahr ist. Ansons­ten muss der Eingriff abgebro­chen und zu einem späte­ren Zeitpunkt eine Einwil­li­gung einge­holt werden.

Warum handelte der Chefarzt fahrläs­sig?

Der Chefarzt handelte fahrläs­sig, weil er die Patien­tin vor der Opera­tion nicht über die mögli­che Notwen­dig­keit einer vollstän­di­gen Gebär­mut­ter­ent­fer­nung infor­mierte und ihre ausdrück­li­che Einwil­li­gung dafür nicht einholte. Dieses Versäum­nis führte dazu, dass er während der Opera­tion eigen­mäch­tig eine weitrei­chende Entschei­dung traf, ohne sicher­zu­stel­len, dass dies im Sinne der Patien­tin war. Zudem hätte er die Möglich­keit einer solchen Kompli­ka­tion vorher­se­hen und die Patien­tin entspre­chend aufklä­ren müssen.

Fazit

Der Myom-Fall unter­streicht die Bedeu­tung der umfas­sen­den Patien­ten­auf­klä­rung und der Einho­lung einer ausdrück­li­chen Einwil­li­gung vor medizi­ni­schen Eingrif­fen, insbson­dere bei mögli­chen Opera­ti­ons­er­wei­te­run­gen. Der Fall zeigt, dass selbst gut gemeinte medizi­ni­sche Entschei­dun­gen recht­lich proble­ma­tisch sein können, wenn das Selbst­be­stim­mungs­recht des Patien­ten nicht gewahrt wird.

Das Recht auf körper­li­che Unver­sehrt­heit und Selbst­be­stim­mung der Patien­ten hat höchste Priori­tät und begrenzt die ärztli­chen Pflich­ten. Ärzte müssen sicher­stel­len, dass sie alle mögli­chen Risiken und Konse­quen­zen eines Eingriffs klar und vollstän­dig kommu­ni­zie­ren, um infor­mierte Entschei­dun­gen ihrer Patien­ten zu gewähr­leis­ten.

Quellen:

  1. BGH vom 28.11.1957 – 4 StR 525/57, BGHSt 11, 111
  2. Tsambi­ka­kis, Saliger (2022): Straf­recht Medizin. Handbuch für Wissen­schaft und Praxis. München: C.H. Beck, 89–91.