Die zentrale Idee: Wer an Demenz leidet, benötigt nicht nur Ärzte und Pflege, sondern auch Architekten, Stadtplaner und viele andere Professionen, auf die man so schnell nicht kommen würde. Tagungsleiterin Prof. Dr. Ulrike Höhmann eröffnete denn auch mit dem Hinweis, dass das Leben mit einer beginnenden Demenz in der eigenen Wohnung im angestammten Stadtviertel gut möglich ist, aber ganz neue Konzepte benötige. „Jeder könnte nach wie vor täglich im Quartier einkaufen, wenn der Bäcker zum Beispiel die Rechnungen sammelt und die Angehörigen sie später begleichen.“ Manuela Lautenschläger (UW/H) zeigte in ihrem Vortrag am Beispiel eines Parkinsonpatienten wie schnell Behandlungserfolge durch Logopädie zunichte gemacht werden können, wenn bei einem Krankenhausaufenthalt diese Behandlung nicht neben der Therapie fortgeführt wird. Fehlende Vernetzung zwischen den Pflegeeinrichtungen ist zwar immer noch die Regel, aber für die Patienten ein schwerer Nachteil.
Munja Brücher und Katja Petrilos berichteten, dass Menschen mit Demenz in einer stationären hausgemeinschaftlichen Wohngruppe kaum noch selbst einfache Aktivitäten ausführen, sondern dazu aufgefordert und angeregt werden müssen, um in Bewegung zu bleiben. Helga Nottebohm berichtete über die Schmerzeinschätzung bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz, die ihre Schmerzen nicht mehr mitteilen können. Mit Hilfe des Instrumentes „H.I.L.D.E. Palliativ“ können Schmerzen bei Bewohnern besser wahrgenommen und so behandelt werden. Monika Bringe beantwortet die Frage, wie institutionelles Netzwerken gelingt: Akteure betreiben Netzwerke aus „Lust darauf“ und um „Herzensanliegen“ voranzutreiben, es ist ein kreativer Freiraum jenseits von Alltagsroutine und Pflicht. Britta Keil und Steffen Knopp stellten den Leitfaden „Innovative Wohnformen für Menschen mit Demenz“ vor, an dem sich sowohl Berater wie auch Betroffene orientieren können, wenn Sie eine Entscheidung für eine Versorgungsform fällen müssen.
Zeitungen berichten heute mehr über die Diagnose von Demenz
Besonders interessant war der Bericht über das Projekt „Ethische Fallbesprechungen in der stationären Altenpflege“. Susanne Hellweg und Elisabeth Seibert haben ein Konzept entwickelt, das eine Reflexionshilfe im Umgang mit herausforderndem Verhalten darstellt. Laura Schwarz und Gabriela Wolpers führten eine Medienanalyse zur Darstellung von Demenz in deutschen Tageszeitungen durch. Ihr Resümee: Die Zeitungen berichten heute mehr über die Diagnose von Demenz und weniger medizinisch orientiert über Symptome und Krankheitsverläufe. Der Film „Papa Schulz und die Osterstraße“ beendete den ersten Tag. Prof. Dr. Jochen Hanisch zeigte daran, wie Menschen trotz Demenz in ihrem Stadtviertel und ihren Bedürfnissen nachkommen können, wenn nur eine ausreichende Anzahl von Schlüsselpersonen darüber informiert ist.
Am zweiten Tagungstag ging es hauptsächlich um den Beitrag von Technikern, Raumplanern sowie kommunalen Akteuren für die Versorgung von Menschen mit Demenz und wie die Verzahnung mit Medizinern, Therapeuten, Sozialarbeitern etc. gelingen kann. Dr. Bernadette Klapper von der Robert Bosch Stiftung zeigte an Beispielen wie etwa die Zusammenarbeit von Hochschulen und Pflegeschulen über die Grenzen der Einrichtungen hinweg organisiert werden und so das Lernen der Professionen voneinander fördern kann. Prof. Dr. Ulrike Höhmann forderte eine komplett andere Versorgungspraxis, da es nicht nur um direkte Pflege geht, sondern auch geeignete Ausbildungskonzepte, interdisziplinäre Forschungsverbünde in der Wissenschaft und eine erweiterte Kooperation in der Praxis, beispielsweise mit Städteplanern und Technikentwicklern, die das Leben im Quartier verbessern. Prof. Dr. Ursula Walkenhorst von der Hochschule Osnabrück entwickelte Kriterien für bessere Studiengänge: Aufhebung der traditionellen Fachgrenzen und didaktische Konzepte, die nicht an der eigenen Haustür aufhören. Elsmarie Stricker von der Fachhochschule Bern stellte die Demenz-Strategie der Schweiz vor: neun Ziele und 18 Projekte, die alle darauf abzielen, die Bevölkerung zu sensibilisieren und Demenz weniger zu stigmatisieren. Prof. Dr. Jochen Hanisch von der Stadt‑, Regional- und Landesplanung Hamburg fasste in seinem Vortrag Anforderungen und Tätigkeitsfelder in der Stadt- und Freiraumplanung zusammen. Viele Kommunen verfügten nicht mehr über genug Grundbesitz und Immobilien, um Viertel so zu gestalten, dass sie auch für Bewohner mit Demenz „erlebbar“ bleiben. Pfr. Dr. Klaus Bartl von der Mission Leben in Darmstadt betonte, dass gerade leitende Akteure wie Politiker, Juristen und Architekten diese Gestaltung des städtischen Umfeldes mit ihrem Wissen verbessern könnten, wenn sie bereit sind, es aktiv in eine Gesamtsicht einzubringen. Und im Notfall sogar wüssten, welches Wissen sie sich noch dazu holen müssen.
Technik hilft beim Leben mit Demenz nur, wenn sie akzeptiert wird
Im Bereich der Technikentwicklung arbeitete Norbert Kamps vom MDS Essen Anforderungen, Tätigkeitsfelder und auch Denkbarrieren aus der Sicht von Ingenieuren heraus. Ein Badezimmerspiegel mit einer eingebauten App für die Medikamentenausgabe sei zwar nett, werde aber von einer Generation, die nicht mit dem Computer groß geworden sei, eher wenig begeistert angenommen. Dagegen sei ein Sensorsystem im Boden sehr hilfreich, das Stürze an das Pflegepersonal meldet und so viele Kontrollgänge überflüssig mache. Dr. Beate Radzey vom Demenz Support in Stuttgart knüpfte hieran an; es komme besonders darauf an, dass die Technik leicht zu bedienen ist, ein gutes Design hat und in den Nutzungskontext passt.
Abschließend stellte Dr. Daniela Schmitz Ergebnisse einer systematischen Literaturanalyse vor: „Das Lernen von anderen Berufsgruppen funktioniert in der Wirtschaft deutlich besser als im Gesundheitssystem. Da können wir noch deutlich besser werden.“ Am Ende der Tagung versprach Prof. Dr. Ulrike Höhmann: „Das erfolgreiche Format, wissenschaftliche Ergebnisse aus unterschiedlichen Professionen zu präsentieren und professionsübergreifend zu diskutieren, wird nun jährlich fortgeführt.“