BAG-Urteil: Umkleidezeit muss entlohnt werden
Die Umkleidezeit bezeichnet die Zeit, die eine Pflegekraft benötigt, um ihre Dienstkleidung an- und abzulegen. Grundsätzlich handelt es sich dabei um vergütungspflichtige Arbeitszeit, es sei denn, im Tarifvertrag werden andere Regelungen getroffen. Ein Urteil aus dem Jahr 2017 greift dieses Thema genauer auf:
Ein Krankenpfleger eines Kreiskrankenhauses verlangte von seiner Arbeitgeberin, ihm die Zeit, die er für die Strecke zum Umkleideraum und für den Kleidungswechsel benötigt, zu vergüten. Er bezog sich dabei auf die Zeitspanne zwischen Februar 2013 und April 2014. Für das An- und Ablegen der Dienstkleidung, sowie zum Zurücklegen der Strecke zum Umkleideraum und zurück braucht der Krankenpfleger im Durchschnitt zwölf Minuten. Der Kläger sei an 100 Werktagen für die Umkleide- und Wegezeit nicht bezahlt worden und verlangt daher 464,20 Euro von seinem Arbeitgeber. Der Krankenpfleger war verpflichtet, zu seinem Dienst eine weiße Hose und ein weißes Oberteil zu tragen.
Nach Ansicht seiner Arbeitgeberin hätte der Krankenpfleger seine Dienstkleidung auch schon zuhause anziehen können. Diese Meinung vertraten auch das Arbeitsgericht Emden, sowie das Landesarbeitsgericht Niedersachsen.
Nachdem der Kläger Revision eingelegt hatte, entschied das Bundesarbeitsgericht schließlich zu seinen Gunsten (BAG vom 6. September 2017 – 5 AZR 382/16). Die benötigte Umkleidezeit zum An- und Ablegen der Kleidung sowie die Wegezeiten zwischen Umkleideraum und Arbeitsstelle seien vergütungspflichtig. Im Urteil des BGB heißt es:
„Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft nach § 611 Absatz 1 BGB an die Leistung der versprochenen Dienste an. Zu den „versprochenen Diensten“ im Sinne des § 611 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt.“
Auffällige Dienstkleidung begründet vergütungspflichtige Arbeitszeit
Zu diesen „Maßnahmen“ ist auch das Tragen der Dienstkleidung zu zählen. Das BAG entwickelte zudem folgende Grundsätze zur Vergütung der Umkleidezeit:
- Vergütungspflichtige Arbeitszeit liegt dann vor, wenn es sich beim Anlegen der Dienstkleidung um eine besonders auffällige Dienstkleidung handelt. Die Kleidung ist dann besonders auffällig, wenn der sie tragende Arbeitnehmer dadurch einem bestimmten Arbeitgeber oder Berufszweig zugeordnet werden kann. Die Notwendigkeit des Tragens der Arbeitskleidung, als auch der damit verbundene Zeitaufwand zum An- und Ablegen der Klamotten, basieren auf den Anweisungen des Arbeitgebers.
- Zudem charakterisiert sich vergütungspflichtige Arbeit dadurch, dass sie fremdnützig ist. Das Tragen der Dienstkleidung dient zusätzlich jemand anderem als dem Arbeitnehmer. Das Ankleiden einer vorgeschriebenen Dienstkleidung ist nur dann nicht fremdnützig, wenn sie zuhause angelegt und auf dem Weg zur Arbeit getragen werden kann, ohne besonders auffällig zu sein.
Zwar weist die Dienstkleidung des Krankenpflegers keinerlei Logo oder Namen des Kreiskrankenhauses auf, dennoch gilt die Arbeitskleidung als auffällig. Es genüge, dass der Arbeitgeber aufgrund seiner komplett in weiß gehaltenen Arbeitskleidung seinem Beruf als Krankenpfleger zugeordnet werden könne, ohne dass dies in der Kleidung unstrittig zu erkennen ist. Laut BAG ist die Umkleidezeit des Pflegers im Betrieb demnach zu vergüten. Der Sachverhalt wurde zur erneuten Verhandlung und endgültigen Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Fahrt zu Kunden gilt als Arbeitszeit
Wie sind die Bedingungen zur Vergütungspflicht bei Fahrtzeiten geregelt? Egal, ob bei einer stationären oder bei einer ambulanten Pflegekraft: Der Arbeitsweg von Zuhause zum Betrieb oder, im Falle der ambulanten Pflegekraft, zum Pflegebüro gilt als nicht vergütete Wegezeit.
Bei einer ambulanten Pflegekraft ist die Fahrtzeit, die zwischen den einzelnen Kunden liegt, vergütungspflichtig. Dies ergab schon ein Urteil aus dem Jahr 1960 (Az.: 5 AZR 304/58). Bei der Fahrtzeit handelt es sich nicht um die freie Zeit der Pflegekraft. Im Gegenteil: Die Pflegekraft stellt ihre Zeit zur Durchführung der Anfahrt zur Verfügung. Daher ist die Strecke vom Arbeitsplatz, hier das Pflegebüro, zu einem außerhalb gelegenen Dienst in der Regel zu vergüten. Einem BAG-Urteil vom 12. Dezember 2012 zufolge muss die Arbeitszeit während der Fahrt zwar vergütet werden, jedoch muss die Vergütung, je nach Vertrag, in dieser Zeit nicht dem eigentlichen Stundenlohn entsprechen.
Bei der ambulanten Pflege: Der Weg ist entscheidend
Besitzt die ambulante Pflegekraft keine regelmäßige Besuchspflicht im Pflegebüro, so kann sie direkt von Zuhause aus zum ersten Kunden fahren und wird dafür bezahlt. Die Fahrtzeit zählt dann als Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort hat (EuGH vom 10. September 2015 – C‑266/14). Fährt die Pflegekraft zwischen ihrem ersten Besuch bei ihrem Pflegebüro vorbei, so wird die Arbeitszeit wieder erst ab dem Punkt vergütet, wenn die Pflegekraft vom Büro aus losfährt.
Hat die Pflegekraft jedoch einen festen Arbeitsplatz und möchte sie von Zuhause aus direkt zum Kunden fahren, so ist zwischen drei Szenarien zu unterscheiden:
- Die Fahrt zum Büro dauert genau so lange, wie die direkte Fahrt zum ersten Kunden: Hierbei stellt die Fahrtzeit keine Arbeitszeit dar, da der eigentliche Weg zum Büro durch den Weg zum Kunden ersetzt wird.
- Die Fahrt zum Kunden dauert länger als zum Büro: Es ist die Zeit zu vergüten, die die Pflegekraft länger braucht, als wenn sie ins Büro fahren würde (siehe Urteil von 2012).
- Die Fahrt zum Kunden ist kürzer als ins Büro: Die Zeit, die die Pflegekraft dadurch spart, dass sie direkt zum Kunden fährt, wird von der vergüteten Gesamtzeit abgezogen (siehe Urteil von 1960).