Damit entfallen zwar Auslegungsstreitigkeiten etwa mit dem MDK; zugleich könnte aber eine Nichtbeachtung der Standards gravierende Folgen für Einrichtungen haben. Doch können die Pflegenden angesichts der schon jetzt hohen Arbeitsbelastung den neuen Mobilitätsstandard überhaupt schultern? Und was bringen die Neuregelungen den Pflegebedürftigen? Angesichts der vielen Ungewissheiten und offenen Fragen hatte der JHC 2014 mit seiner Themensetzung offenbar einen Nerv getroffen: „Mein (Das) Recht auf Mobilität“ war das Motto der siebten Auflage der interdisziplinären, medizin- und pflegerechtlichen Tagung, die mit knapp 600 Teilnehmern eine große Resonanz fand. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) hatte das Programm als Kooperationspartner mitorganisiert; erstmals beim JHC fand zudem ein begleitendes Satellitensymposium statt: Auf Einladung der Firma Hill-Rom diskutierten die Teilnehmer über Mobilität im Alter und die demografische Herausforderung für das Pflegewesen.
Im Rahmen der begleitenden Industrieausstellung präsentierten zudem 16 Firmen und Institutionen ihre Neuheiten, z.T. mit direktem Bezug zum Oberthema Mobilität: So wurde der in Japan entwickelte HAL-Roboteranzug vorgeführt, der Personen mit massiven körperlichen Einschränkungen bei ihrer Fortbewegung unterstützt. Und Repräsentanten des Autobauers BMW gaben mit dem BMW i3 einen Ausblick in die Elektromobilität.
Über eine Forderung wurden sich die Teilnehmer schnell einig – um die neuen Anforderungen mit Leben füllen zu können, muss mehr und qualifizierteres Personal in der Pflege her. Ebenso wichtig wie das Wohl der Betreuten sei es zudem, die Mobil- und Gesunderhaltung der Pflegenden selbst einen höheren Stellenwert zuzuerkennen. „Jede politische Reform ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie nicht die Arbeitsbedingungen der Pflegenden in den Blick nimmt!“ formulierte Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates, in seinem Grußwort.
Auch Kongressorganisator Prof. Dr. Volker Großkopf wies auf die schon jetzt hohen Belastungen für die Pflegenden hin, die nicht folgenlos bleiben: „Jede Minute verletzt sich in Deutschland eine Pflegekraft den Rücken“, so Großkopf. Deshalb sei es richtig und wichtig, bei dem Expertenstandard auch beim Personal anzusetzen. Vera Lux, Pflegedirektorin der Uniklinik Köln, sieht die Definition der Mobilität nun deutlich erweitert, die sich bisher vor allem auf die Abwehr von Schadensfällen wie zum Beispiel Stürzen erschöpfe.
Prof. Dr. Andrea Schiff, die als Mitglied der Expertengruppe am Standard mitgewirkt hatte, forderte von den Pflegenden mehr alltägliche Übungen mit den Patienten. „Der Umfang der Förderung findet jedoch seine Grenze bei der Belastbarkeit des Pflegepersonals“, stellte aber auch sie klar. Zudem dürfe es keine Aktivierung gegen den Willen der Pflegebedürftigen geben – auch der Verzicht auf Mobilität gehöre zum Selbstbestimmungsrechtdes Patienten.
Pflegewirt Sascha Saßen wiederum äußerte Zweifel daran, dass das Regelwerk in seiner aktuellen Form überhaupt Geltung erlangen werde: „Die Implementierung ab Oktober 2014 ist ein hochspannender Prozess, denn hier wird ein komplett neues Erprobungsverfahren eingesetzt.“ Eng verknüpft mit dem Thema Mobilität sind auch die umstrittenen Freiheitsentziehenden Maßnahmen, ein Spezialgebiet von Rechtsanwalt Hubert Klein. Er betonte das Selbstbestimmungsrecht der Betreuten und warnte vor allzu vorschnellen Fixierungen und Sicherungen – denen zwingend eine Einwilligung des Betroffenen oder eine gerichtliche Genehmigung vorangehen müsse. Zudem gehörten laut neuester Rechtsprechung Stürze nicht mehr dem vollbeherrschbaren Herrschafts- und Organisationsbereich einer Einrichtung an.
Die nächste Auflage des JuraHealth Congress wird am 23. April 2015 unter dem Motto „Demenz – Verstehen. Unterstützen. Professionell Handeln“ erneut in Köln stattfinden.