Nach dem Ausbruch des neuartigen Coronavirus in der Millionenmetropole Wuhan im Dezember 2019 wurden auch rasch in Europa die ersten COVID-19-Infektionsfälle verzeichnet. Schnell wurde die Coronakrise zur Pandemie und löste weltweit verheerende wirtschaftliche Folgen aus.
Auch das deutsche Gesundheitswesen wurde hiervon auf unterschiedlichen Ebenen betroffen. Einerseits waren deutlich weniger elektive Behandlungen zu verzeichnen. Gleichzeitig entstand aber auch ein erheblicher Mehrbedarf an Medizinprodukten, die die gestiegenen hygienischen Anforderungen des medizinischen Personals erfüllten, um diese vor der Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch zu schützen und das Risiko einer möglichen Infektion vermeiden sollten.
Im Bereich der medizinischen Textilien handelte es sich dabei um vor allen Dingen um OP-Mäntel, OP-Abdeckungen und die Schutzbekleidung des medizinischen Personals, die in großer Stückzahl als Einwegartikel aus China zur Deckung des hiesigen Bedarfs bezogen wurden. Aufgrund der Corona-Lockdowns, der Unwuchten im Schiffsverkehr durch die Schließung von Häfen und dem erhöhten Eigenbedarf der Chinesen an medizinischen Schutzartikeln kam es unmittelbar nach dem Beginn der pandemischen Ereignisse zu erheblichen Lieferengpässen aus dem asiatischen Raum.
Ministerielle Absprachen
Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn kündigte daraufhin im Gespräch mit dem Branchenverband BVMed an, dass deutsche Unternehmen, die medizinische Schutzprodukte herstellen, bzw. ihre Produktion hierauf umstellen durch eine Abnahmegarantie begünstigt werden. Zu diesem Priorisierungsversprechen der heimischen Medizinproduktehersteller gegenüber der fernöstlichen Konkurrenz gehörte auch, dass Abnahmequantitäten und Preise festgeschrieben werden sollten.
Konzentriert hat sich diese Absprache im März des Jahres 2020 zunächst auf die Herstellung von medizinischen Schutzprodukten zum Einmalgebrauch. Im Sinne der nachhaltigen Schonung von Umweltressourcen machten daraufhin die Textil Service-Unternehmen, Reinigungen und Wäschereien darauf aufmerksam, dass Ihre textilen Mehrwegprodukte im medizinischen Kontext den Einmalartikeln nicht nur wirtschaftlich, sondern auch qualitativ überlegen sind.
Gestiegene Anfrage nach Mehrweg bei OP-Textilien
Gleichzeitig verzeichneten viele Wäscherei-Betriebe der Krankenhäuser Anfragen über die Möglichkeit des Bezuges von wiederaufbereitbaren Mehrwegtextilien für das medizinische Personal, damit die hygienischen Standards bei den ärztlichen und pflegerischen Prozeduren eingehalten werden konnten.
Mehrweg-Schutzkleidung und andere OP-Mehrweg-Textilien wurden darauf hin vermehrt in den textilen Versorgungskreislauf der Krankenhäuser einbezogen. Kurz nachdem jedoch die Pandemie in Asien abebbte, die fernöstlichen Produktkapazitäten im Herbst des Jahres 2020 wiederhergestellt waren, brach diese Nachfrage in weiten Teilen in sich zusammen. Das Pendel schlug wieder zugunsten der Einwegmaterialien aus. Mehrwegprodukte wurden von den Einrichtungen nicht in dem Maß berücksichtigt, wie es zunächst erschien. Billigimporte aus Fernost waren wieder auf der Tagesordnung.
Wo bleibt der deutsche Green Deal?
Unterstützung durch die Politik gab es in Deutschland keine. Im Gegensatz zu unseren europäischen Nachbarn. Spanien erhöhte beispielsweise die Kosten für die Vernichtung der Einweg-OP-Produkte drastisch, wodurch die Wettbewerbssituation für Mehrwegprodukte enorm verbessert worden ist. Italien ging noch einen Schritt weiter und verabschiedete ein Gesetz, nach dem der Bezug von Mehrweg-Textilien für den OP immer an erster Stelle geprüft werden muss. Nur wenn dieser aus gutem Grund nicht in Frage kommt, darf eine Ausschreibung für das Einwegprodukt erfolgen.
In Großbritannien ist vor geraumer Zeit sogar ein wissenschaftliches Programm gestartet, durch das die Überlegenheit von Mehrwegprodukten nicht nur für die Versorgungssicherheit, sondern auch für den Komfort der Anwenderseite belegt werden soll. Gestützt wird dieser Trend auch auf europäischer Ebene. Die EU–Plastikabgabe und die anstehende Neuregulierung des Chemie- und Umweltrechts stehen symbolisch für einen Paradigmenwechsel in der Umweltpolitik, der absehbar positive Effekte auch für die Mehrweg-Textilien in den Krankenhäusern haben wird. Die deutsche Politik sollte die internationalen Beispiele und die europarechtlichen Aspekte bei ihren regulatorischen Initiativen berücksichtigen.
Fazit
In der Corona-Zeit wurden moderne, mehrfach verwendbare Textilien für den operativen Betrieb vermehrt eingesetzt. Allerdings handelt es sich nach wie vor bei der Beschaffung von OP-Textilien um einen komplexen Entscheidungsprozess, bei dem eine Vielzahl von Kriterien zu beachten sind. Neben der Versorgungssicherheit, der Reinigungsqualität, der Umweltverträglichkeit, dem Logistikkonzept, dem Tragekomfort bildet die ökonomische Kalkulation in der Vergabepraxis noch immer bei der Umstellung von Einweg- auf Mehrweg-OP-Textilien das Hauptkriterium.
Eine adäquate Bewertung muss dabei eine prozess- und lebenszyklusorientierte Kostenrechnung des Einsatzes der OP-Textilien berücksichtigen (Total cost of ownership). Wird der Blick auf die reinen Kosten des Kaufes geworfen, schneiden die Mehrweg-Textilien gegenüber den Einweg-Textilien schlechter ab. Basiert hingegen die Beschaffungsentscheidung auf einer Gesamtkostenkalkulation wendet sich das Blatt.
Gerade die modernen, innovativen OP-Mehrwegtextilien haben durch ihre verlängerten Lebenszyklen die Marktchancen von Mehrweg-Schutzkleidung und den sonstigen Mehrweg-Textilien in Krankenhäusern verbessert. Das Vergaberecht der Krankenhäuser sollte diesen Aspekten deutlicher Rechnung tragen.
Miguel Pablo