Negativität statt Wertschätzung. Hohe Arbeitsbelastung, kaum Nachwuchs und immer mehr Kündigungen: Die Situation in der Pflege ist seit Jahren angespannt. Die genannten Probleme stellen aber nur die Spitze des Eisbergs dar.
Die Mitarbeitenden in der Pflege werden immer älter. Laut Statistischem Bundesamt ist fast ein Drittel aller Pflegenden zwischen 50 und 60 Jahren alt. Das erhöht den Ersatzbedarf an Mitarbeitenden drastisch. Zudem nimmt die Zahl der Teilzeit-Beschäftigten zu.
Hinzu kommt die große Herausforderung, mit wenig Geld jeden Tag Arbeit im Interesse der Pflegebedürftigen zu leisten.
Bild der Pflege meist negativ
Gerade diese Probleme und belastenden Arbeitssituationen in der Pflege prägen die öffentliche Diskussion über den Beruf. Pflegekräfte würden ihre Tätigkeit meist negativ darstellen und dabei die eigene Expertise nicht ausreichend würdigen, glaubt das Bundesministerium für Gesundheit und hat deshalb eine neue Studie in Auftrag gegeben.
Die hat zum Ziel, Wertschätzung, Selbstwertgefühl und Arbeitszufriedenheit für die Pflegeberufe zu fördern.
„Die gesellschaftliche Wertschätzung eines Berufs hängt stark von der Fähigkeit ab, eigenes Handeln und dafür benötigte Kompetenzen in der Öffentlichkeit zu beschreiben“, schreibt das Ministerium in einer Pressemitteilung zur neuen Studie. Eine positive Selbstdarstellung komme deshalb nur selten vor.
So ist Außenstehenden kaum bekannt, welche Anforderungen der Pflegeberuf stellt, wie komplex er ist und welche positiven Erlebnisse Beteiligte haben können.
Projektleiter der Studie, Prof. Dr. Klaus Müller von der Frankfurt University of Applied Sciences, erklärt es im Interview mit dem Pflegenetzwerk Deutschland so: „Wenn ich sage ‚Ich begleite Menschen auf die Toilette‘, dann ist damit eine andere emotionale Schwingung verbunden, als wenn ich sage ‚Ich ermögliche Menschen ein selbstbestimmtes Leben.“
Wertschätzung durch Kompetenzkommunikation
Die aktuelle Studie der Bundesregierung zielt also vor allem darauf ab, den Beruf und die nötigen Kompetenzen nach außen besser zu kommunizieren. Die zu Beginn des Artikels genannten Probleme werden dadurch zunächst nicht direkt verbessert. Trotzdem glauben die Forschenden, dass durch eine gute Kompetenzkommunikation der gesellschaftliche Wert und die Sichtbarkeit des Pflegeberufs gefördert werden können.
Auch das Selbstwertgefühl der Pflegekräfte werde gesteigert, die so auch aktiver am öffentlichen Pflegediskurs teilnehmen würden.
Die Studie läuft noch bis Ende April 2023. Erste Einblicke in die Ergebnisse liefert aber jetzt schon Prof. Dr. Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Forschung (DIP), der ebenfalls an der Studie beteiligt ist.
Im Interview mit dem Pflegenetzwerk Deutschland erklärt er, dass über 90 Prozent der befragten Pflegekräfte zurückgemeldet hätten, dass sie sich im aktuellen medialen Diskurs über die Pflege nicht vertreten fühlen.
„Die Chancen, die in dem Beruf stecken, werden gar nicht thematisiert, die Arbeitsvielfalt, die wir eigentlich haben, wird nicht sichtbar“, erklärt er weiter. So sei die Kommunikation letztlich das, worüber Pflegende die Wertschätzung in ihrem Beruf erfahren.
Woraus ergibt sich Wertschätzung?
Isfort hat mit seinem Forschungsteam am DIP in der Vergangenheit noch weitere Punkte herausarbeiten können, durch die sich Pflegende mit ihrer Arbeit besser fühlen. Im Projekt PflegeWert haben sie mehrere Anerkennungs-Ebenen herausgearbeitet:
- Selbstwertschätzung
- Wertschätzung durch Kundinnen und Angehörige
- Wertschätzung durch Team und Vorgesetzte
- Wertschätzung als Bestandteil der Organisationsstruktur
- Wertschätzung durch Gesellschaft und Umwelt
Um positive Gefühle und Zufriedenheit bei Pflegekräften nachhaltig und dauerhaft zu erhöhen, sei es also notwendig, dass sie andauernd Wertschätzung auf diesen Ebenen erfahren. Mit insgesamt sieben konkreten Handlungen können das vor allem Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber umsetzen.
Auf Ebene der Selbstwertschätzung sei es ratsam „Pflege-Erfolgsbesprechungen“ zu halten und eine angemessene „Sprache in der Pflege“ zu finden. Dadurch solle der Blick auf gute Ergebnisse und geleistete Arbeit gelenkt werden. Die „gespürte“ Wertschätzung werde so auch tatsächlich ausgesprochen.
Die Wertschätzung durch Bewohnerinnen und Bewohner sowie Angehörige könne ein „wertschätzendes Rückmeldemanagement“ langfristig steigern.
Die Mitarbeitenden sollen explizit über Dankschreiben, Spenden und Präsente informiert werden – normalerweise geschehe das meist per Zufall. So werde vermieden, dass Pflegende hauptsächlich negatives Feedback erfahren.
Kontinuierliche Anerkennung
Wertschätzung durch Team und Vorgesetzte werde erreicht mit „Mitarbeiterentwicklungsgesprächen“ und „wertschätzendem Führen“. Lob von Führungskräften solle dabei nicht nur spontan erfolgen, sondern systematisiert in regelmäßigen Gesprächen.
Es bringe aber nichts, vereinzelt Maßnahmen umzusetzen. Die gesamte Organisationskultur müsse diese Idee mittragen, damit so Wertschätzung als Bestandteil der Organisation wahrgenommen werde.
Ein „wertschätzenden Gesundheitsmanagement“ könne das umsetzen, in dem Mitarbeitenden Entwicklungsmöglichkeiten geboten und sie entsprechend ihrer Fähigkeiten gefördert werden.
Wichtig für die Pflegenden sei aber nicht nur Feedback aus dem direkten Arbeitsumfeld, sondern auch, dass sie Respekt und Achtung durch Gesellschaft und Umwelt erfahren.
So wünschen sich viele von Leitung und Führungskräften, dass diese „Öffentlichkeitsarbeit“ leisten. Führungskräfte sollen sich so vor allem im regionalen Umfeld für eine Anerkennung des Pflegeberufs und den guten Ruf der Einrichtung einsetzen.