Lebenserwartung im Fokus: Einschlägige Kampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zur Reduzierung des Raucherquote scheinen die Motivation zum Verzicht aus das Zigarettenrauchen nicht nachhaltig zu erhöhen. Die Öffentlichkeitsarbeit fokussiert sich dabei seit vielen Jahren auf zwei Säulen: das Verhindern des Einstiegs in das Rauchen einerseits und der Aufruf zum kompletten Rauchstopp andererseits.
Die seit einigen Jahren im Markt erhältlichen Alternativen, die ohne Tabakverbrennung auskommen und daher schadstoffreduziert sind, darunter E‑Zigaretten und Tabakerhitzer, spielen heute noch keine große Rolle als mögliche dritte Säule zur Verringerung der gesundheitlichen Folgen des Rauchens. Einen interessanten Beitrag zur Debatte liefert nun eine Forschergruppe rund um die Schweizer Analystin Romana Rytsar vom Forschungszentrum von Philip Morris International.
Das interdisziplinäre Team hat mithilfe eines komplexen Algorithmus modelliert, welche gesundheitlichen Auswirkungen durch den Ausstieg via Rauchstopp oder einen Umstieg von der Zigarette zu schadstoffreduzierten Alternativprodukten zu erwarten gewesen wären.
Lebenserwartung: Bewertung der Zigarettenalternativen
Es steht außer Zweifel, dass der Rauchstopp aus der medizinischen Perspektive die Ideallösung zur Minimierung der mit dem Rauchen assoziierten Erkrankungen aufweist. Daneben konnte nunmehr aber auch nachvollziehbar gemacht werden, dass auch der Umstieg auf schadstoffreduzierte Alternativen – zwar in geringerem Grad, aber immer noch erheblich – zur Verringerung der gesundheitlichen Folgen des Rauchens beitragen kann.
Auf validierter epidemiologischer Datenbasis wurde der Effekt einer hypothetischen Einführung von Alternativprodukten auf die Mortalität bei 30- bis 79-Jährigen durch vier durch das Rauchen verursachte Krankheiten (Lungenkrebs, COPD, Herzinfarkt, Schlaganfall) berechnet. Die Berechnungen haben sich auf den zwanzigjährigen Zeitraum von 1995 bis 2015 bezogen. Ausgewertet wurden zwei Messgrößen: Reduktion in Mortalität und, davon abgeleitet, wiedergewonnene Lebensjahre.
Ausgehend von der Annahme, dass schadstoffreduzierte Produkte im betrachteten Zeitraum nicht eingeführt waren – wurde zunächst die Anzahl der Todesfälle durch Zigarettenrauchen zwischen 1995 und 2015 auf 852000, und die der verlorenen Lebensjahre auf 8,61 Millionen geschätzt. Dr. Alexander Nussbaum, Mitglied des Forscherteams und Head of Scientific & Medical Affairs bei der Philip Morris GmbH ergänzt: „Hätten im Laufe des Jahres 1995 alle Raucher:innen den Tabak- und Nikotinkonsum komplett eingestellt, wäre die Zahl der Todesfälle über zwanzig Jahre um 217000 zurückgegangen.
2,88 Millionen Lebensjahre hätten somit gewonnen werden können. Neben Aussagen über dieses Idealszenario liefert die vorliegende Modellierung aber erstmalig auch Erkenntnisse darüber, wie sich Alternativen mit Potenzial zur Schadensminderung (Harm Reduction) auswirken könnten.“
Umstieg auf verbrennungslose Produkte ist mit geringerem Risiko behaftet
Die bei der Tabakverbrennung entstehenden toxischen Schadstoffe sind die Hauptursache für die Gesundheitsgefährdung durch das Zigarettenrauchen. Für den Umstieg von herkömmlichen Zigaretten auf verbrennungsfreie Alternativen wird inzwischen in Studien eine signifikante Reduzierung der potenziell schädlichen Chemikalien gemessen.
Das Forscherteam nahm für seine Berechnungen insofern eine Schadenreduktion gegenüber dem Weiterrauchen von 80 bzw. 95 Prozent für Tabakerhitzer bzw. E‑Zigaretten an. Neben dem Idealszenario Rauchstopp fußen die Berechnungen auf vier Umstiegsszenarien, die unterschiedliche Annahmen über die Dynamik und Vollständigkeit des Wechsels zu E‑Zigaretten und Tabakerhitzern berücksichtigen.
In den Szenarien mit einem graduelleren Umstieg lag die geschätzte Abnahme der Todesfälle zwischen 39.800 und 81.000. Die geschätzte Zunahme an Lebensjahren im Vergleich zum Weiterrauchen lag bei 0,50 bis 1,05 Millionen Jahren, was 17,5 bis 37,5 Prozent des Effekts des sofortigen Rauchstopps im Jahr 1995 entspricht.
Sozioökonomischer Status und die Rauchquote
Verschiedene Studien brachten in der Vergangenheit hervor, dass die Raucherquote in Abhängigkeit von der sozialen Bevölkerungsgruppe stark variieren. Nach einer im Jahr 2018 veröffentlichten Untersuchung der Universität Düsseldorf, die im regelmäßigen Rhythmus der „Deutschen Befragung zum Rauchverhalten“ (DEBRA) stattfand, korreliert die Raucherquote mit der Einkommensklasse: Je niedriger das im Haushalt verfügbare Nettoeinkommen war, desto größer ist der Raucheranteil ausgefallen.
Gleichzeitig steht aber auch die Lebenserwartung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Raucherstatus. Dies führt zu verstärkten gesundheitsbezogenen Ungleichheiten in der Gesellschaft. Zudem nimmt die Motivation für den Ausstieg aus dem Tabakkonsum mit der geringeren Graduierung des sozioökonomischem Status ab. So gaben in der Studie „Barrieren des Rauchstopps“ 43 Prozent der Raucherinnen und Raucher mit geringerem Einkommen an, noch nie einen ernsthaften Rauchstoppversuch unternommen zu haben.
Bei Raucherinnen und Rauchern mit hohem Einkommen waren es hingegen nur 16 Prozent. Dieser Erkenntnis folgend teilte das Team rund um Romana Rytsar die Individuen in der Modellierungsstudie in zwei Gruppen mit unterschiedlichen Einkommens- und Bildungsverhältnissen ein. Unterstellt, dass alle Raucherinnen und Raucher im Jahr 1995 auf Tabakerhitzer oder E‑Zigaretten umgestiegen wären, hätten die Rückgänge der Todesfälle in der höheren sozioökonomischen Gruppe schätzungsweise bei 60000 und in der niedrigeren sozioökonomischen Gruppe bei 122000 gelegen.
Bei einem graduelleren Umstieg hätten sich in der ersten Gruppe die Todesfälle um 26000 reduziert, in der zweiten um 53000. Die Rückgänge der Todesfälle bzw. die gewonnenen Lebensjahre wären in der niedrigeren sozioökonomischen Gruppe etwa 2- bzw. 1,5‑mal höher gewesen, aufgrund der Größe, des höheren Durchschnittsalters und der höheren Raucherprävalenz dieser Gruppe.
Ausblick
Neben der Ideallösung des Rauchstopps sind die verbrennungsfreien Alternativen als Werkzeuge zur Verringerung der Auswirkungen durch das Rauchen für die individuelle und öffentliche Gesundheit in Betracht zu ziehen. Auf der Basis der rückwärtsgerechneten Modellierung hätte in dem kalkulierten Zwanzigjahres-Zeitraum insgesamt bis zu einer Million der durch die Folgen des Rauchens verlorenen Lebensjahre, weiter erlebt werden können.
Vor dem Hintergrund dieses gewaltigen Volumens an potenziellem Lebenszeitwiedergewinn sollten die Kampagnen zur Aufklärung über die Risiken des Zigarettenrauchens und zur Änderung des Rauchverhalten zukünftig zusätzlich auch Informationen über die schadstoffreduzierten Alternativprodukte beinhalten. „Unsere Modellierung liefert einen neuen Beitrag zur Bewertung einer möglichen Rolle von Schadensminderung beim Rauchen in Deutschland“, so Dr. Alexander Nussbaum.
„Zudem können die Berechnungen den deutschen Gesundheits- und Regulierungsbehörden als Grundlage für Kosten-Nutzen-Bewertungen von Maßnahmen zur Verringerung der gesundheitlichen Auswirkungen des Rauchens dienen.“