Auf den ersten Blick mutet der Befund über Krankenhausinfektionen paradox an: Seit dem erstmaligen Auftreten von Corona im Frühjahr 2020 sind Infektionen mit multiresistenten Erregern, den sogenannten Krankenhauskeimen, in deutschen Kliniken offenbar deutlich auf dem Vormarsch. Und das trotz aller Hygiene‑, Desinfektions- und Vorsichtsmaßnahmen auf den Stationen, die in Verbindung mit Sars-Cov‑2 zusätzlich Einzug gehalten haben. Das geht aus dem Barmer-Krankenhausreport 2020 hervor, den die gesetzliche Krankenkasse im September vorgestellt hat und diesmal „Krankenhausinfektionen während der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020“ als Schwerpunktthema hat.
Wie die Studie ergab, habe es zwischen der 13. Kalenderwoche 2020 – als die erste Corona-Welle in Deutschland Fahrt aufgenommen hatte – und der 50. Kalenderwoche des gleichen Jahres etwa 34.000 zusätzliche Infektionsfälle an Kliniken mit multiresistenten Keimen gegeben. „Darüber hinaus sind von diesen Fällen schätzungsweise 600 bis 1.300 Patienten aufgrund dieser Infektion verstorben“, heißt es in der Studie weiter.
Ursache der Krankenhausinfektionen: gebundene Ressourcen fehlten an anderer Stelle
Die Studien-Autoren vermuten als Ursache, dass die Corona-Schutzmaßnahmen Ressourcen bei den Beschäftigten gebunden hätten, die dann an anderer Stelle fehlten. „Es scheint, als sei es nicht mehr möglich gewesen, die hohen Hygienestandards in allen Bereichen vollständig einzuhalten. Dies könnte auch auf strukturelle Umsetzungsprobleme hindeuten, die bereits vor der Pandemie bestanden und nun zu Tage getreten sind.“
Als multiresistente Keime werden Bakterien bezeichnet, die Resistenzen gegen sämtliche gängigen Antibiotika entwickelt haben. Weil die gängigen Medikamente ausfallen, gestaltet sich die Behandlung besonders schwierig, falls sich ein Patient mit einem solchen Erreger infiziert. Auch sind schwere Verläufe weitaus häufiger, da sich die Ausbreitung des Bakteriums im Körper nicht mehr so einfach mit Antibiotika stoppen lässt.
Geschwächte Patienten sind leichte Opfer
Der „prominenteste“ multiresistente Keim dürfte der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) ein. Typische MRSA-Erkrankungen sind:
- Wundinfektionen,
- Hautentzündungen (Karbunkel, Furunkel etc.),
- Entzündungen des Herzmuskels und der Lungen,
- Osteomyelitis,
- (sekundäre) Meningitis,
- Blutvergiftung (Sepsis),
- Toxisches Schock-Syndrom (TSS).
In Krankenhäusern stellen multiresistente Erreger schon deshalb eine besondere Gefahr dar, weil durch operative Eingriffe offene Wunden entstehen und die Bakterien hierdurch leichter in den Körper eindringen können. Zudem sind die Patienten, die sich in Krankenhäusern befinden, regelmäßig von sich aus körperlich geschwächt, weshalb die Mikroerreger hier auf wenig Widerstand treffen.
Plus bei Krankenhausinfektionen von 17,5 Prozent während „zweiter Welle“
Auch außerhalb von Corona sind Krankenhausinfektionen ein Dauerproblem: Zwischen 400.000 und 600.000 Menschen infizieren sich jährlich in Kliniken an Krankenhauskeimen; bei 10.000 bis 15.000 Fällen verläuft diese Infektion tödlich. Bis zu 30 Prozent der innerhalb von Krankenhäusern erworbenen Infektionen wären durch konsequente Präventions- und Hygienemaßnahmen vermeidbar, lautet eine gängige Schätzung.
Laut des Barmer-Krankenhausreports hat Corona die Lage deutlich verschlimmert. Während es im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2019 bei 5,6 Prozent aller stationären Patienten zu Krankenhausinfektionen gekommen ist, stieg dieser Wert während der ersten Welle (KW 13 bis 23 / 2020) um 0,55 Prozentpunkte (was einem Plus von 9,8 Prozent entspricht) an. In der erheblich stärkeren zweiten Corona-Welle gegen Jahresende (KW 42 bis 50 / 2020) betrug das relative Plus sogar 17,5 Prozent.
Hygiene soll größere Rolle in Ausbildung spielen
Um die Übertragung von Krankenhauskeimen zu reduzieren, empfehlen die Studienautoren, das Thema Krankenhaushygiene schon intensiv in der Ausbildung von medizinischen Kräften zu etablieren. Zweitens müssten verlässliche Hygieneverfahren und ‑strukturen in Krankenhäusern her, einschließlich des Einsatzes von Hygienefachkräften. Auch neue Innovation könnten hierbei helfen.
Außerdem soll die Einhaltung der Hygieneregeln nicht mehr nur intern, sondern auch von extern kontrollierbar sein. Bekannt gewordene Krankenhausinfektionen müssten transparent dargestellt werden – bisher seien sie nicht einmal in den Abrechnungsdaten für die Krankenkassen enthalten.