In Deutsch­land leben frühe­ren Schät­zun­gen zufolge mehr als 1,4 Millio­nen Menschen mit Demenz, davon etwa zwei Drittel Frauen. Die Wissen­schaft­ler vom Versor­gungs­at­las des Zentral­in­sti­tuts für die kassen­ärzt­li­che Versor­gung (Zi) haben nun erstmals auf der Basis von ärztli­chen Abrech­nungs­da­ten aus den Jahren 2009 bis 2011 die medika­men­töse Thera­pie von mehr als einer Million Demenz­kran­ken analy­siert. Maßstab waren die Leitli­nien mehre­rer ärztli­cher Fachge­sell­schaf­ten.

Demenz­me­di­ka­mente: Selten verord­net

Einem Viertel der Demenz­pa­ti­en­ten verord­ne­ten Ärzte mindes­tens einmal pro Jahr ein Antide­men­ti­vum, wobei die Verord­nungs­zah­len zwischen 2009 und 2011 leicht anstie­gen. Patien­ten mit einer Alzhei­mer-Demenz erhiel­ten ein solches spezi­fi­sches Medika­ment erwar­tungs­ge­mäß häufi­ger als Patien­ten mit anderen Demenz­for­men. Wenn Fachärzte an der Behand­lung betei­ligt waren, erhöhte das die Wahrschein­lich­keit für die Patien­ten, ein Medika­ment gegen Demenz zu erhal­ten. Wurden die Patien­ten von Fach- und Hausarzt gemein­sam betreut, erhielt fast die Hälfte (48 Prozent) ein Antide­men­ti­vum. Behan­delte der Hausarzt hinge­gen allein, war die Verord­nungs­rate nur halb so hoch. Im inter­na­tio­na­len Vergleich liegen die deutschen Verord­nungs­ra­ten im unteren Bereich. Über die Gründe für diese Zurück­hal­tung der Ärzte bei der Verord­nung von Antide­men­tiva können die Autoren der Studie aller­dings nur Vermu­tun­gen anstel­len. Neben der begrenz­ten Wirksam­keit der Antide­men­tiva könnten sich auch die fehlende natio­nale Versor­gungs­leit­li­nie sowie die Verord­nungs­ein­schrän­kun­gen der Arznei­mit­tel-Richt­li­nie des Gemein­sa­men Bundes­aus­schus­ses auswir­ken.

Ost-West-Gefälle bei der Verord­nung von Antide­men­tiva.

Bei der Versor­gung mit Antide­men­tiva besteht ein Ost-West-Gefälle. Am häufigs­ten verord­ne­ten Ärzte Antide­men­tiva in Mecklen­burg-Vorpom­mern (32,1 Prozent) und Sachsen (30,5 Prozent), aber auch in Baden-Württem­berg (28,7 Prozent). Am niedrigs­ten waren die Raten in Bremen (13 Prozent). In Berlin, Hamburg und Nieder­sach­sen, erhielt nur jeder fünfte Patient ein Demenz­me­di­ka­ment. Deutli­che Unter­schiede verzeich­ne­ten die Forscher auch bei der Verord­nung einzel­ner Wirkstoffe. Unter­schiede in der Alters­struk­tur der Bevöl­ke­rung erklä­ren diese unter­schied­li­chen Verord­nungs­häu­fig­kei­ten nicht.

West-Ost-Gefälle bei der Verord­nung von Antipsy­cho­tika

Bei der Verord­nung von Antipsy­cho­tika fanden die Wissen­schaft­ler hinge­gen ein deutli­ches West-Ost-Gefälle. In Bremen, Baden-Württem­berg und Rhein­land-Pfalz behan­del­ten die Ärzte ein Drittel der Patien­ten mit diesen Medika­men­ten. Demge­gen­über verord­ne­ten die Ärzte in Berlin, Branden­burg und Mecklen­burg-Vorpom­mern nur ein Viertel der Patien­ten mit diesen Substan­zen. Auch Schlaf- und Beruhi­gungs­mit­tel (Hypnotika/Sedativa) verord­ne­ten Ärzte in den neuen Bundes­län­dern sehr viel selte­ner. Hier lagen die Raten unter sechs Prozent, nur halb so hoch wie in den alten Bundes­län­dern. Bei Antide­pres­siva gibt es sowohl ein West-Ost- als auch ein Nord-Süd-Gefälle bei den Bundes­län­dern. „Hier sind vertiefte Unter­su­chun­gen erfor­der­lich, um die Ursachen für diese Unter­schiede zu identi­fi­zie­ren“, betont Dr. Mandy Schulz Erstau­torin aus dem Team des Versor­gungs­at­las. Unabhän­gig davon sehen die Wissen­schaft­ler aber schon heute bei der medika­men­tö­sen Thera­pie Optimie­rungs­be­darf.

Alter, Geschlecht und die Rolle der Lebens­part­ner

Patien­tin­nen und Patien­ten aus den Alters­grup­pen zwischen 70 und 84 Jahren, die von Haus- und Facharzt gemein­sam betreut werden, haben, wie die Studie des Versor­gungs­at­las zeigt, die höchste Chance, mit Antide­men­tiva behan­delt zu werden. Aller­dings haben Frauen generell eine um 19 Prozent gerin­gere Chance als Männer, ein Antide­men­ti­vum zu erhal­ten. Demge­gen­über liegt die Wahrschein­lich­keit, dass sie ein Antide­pres­si­vum erhal­ten, um 74 Prozent höher. Aller­dings bestehen solche Unter­schiede zwischen den Geschlech­tern in punkto Arznei­mit­tel­the­ra­pie nicht durch­gän­gig. Geht es um Antide­men­tiva, erhal­ten Frauen in den Alters­grup­pen zwischen 60 und 74 Jahren diese Medika­mente etwas häufi­ger als die gleich­alt­ri­gen Männer. Ab dem 70. Lebens­jahr beginnt sich dies zu ändern: Nun sind die Verord­nungs­ra­ten bei den Männern höher als bei den Frauen. „Die Ursachen dafür liegen nicht nur im Bereich der medizi­ni­schen sondern auch im Bereich der sozia­len und familiä­ren Rahmen­be­din­gun­gen“, vermu­tet Dr. Jens Bohlken, Berlin, ebenfalls Erstau­tor der Studie vom Referat Demenz des Bundes­ver­ban­des Deutscher Nerven­ärzte. „Die Angehö­ri­gen der Patien­ten spielen beim Zeitpunkt der ärztli­chen Diagno­se­stel­lung und bei den Thera­pie­ent­schei­dun­gen oft eine wichtige Rolle“, betont der prakti­zie­rende Neuro­loge und Psych­ia­ter. So konsul­tiere beispiels­weise der ältere Demenz­pa­ti­ent häufig erst auf Drängen seiner oft jünge­ren Ehefrau einen Arzt. Bei Frauen im höheren Alter könne es hinge­gen gesche­hen, dass die Thera­pie mit Antide­men­tiva erst gar nicht einge­lei­tet wird, wenn die Patien­tin­nen allein­ste­hend oder verwit­wet sind. „Fehlen engagierte Angehö­rige, kann sich dies auf die medika­men­töse Thera­pie durch­aus auswir­ken“, kommen­tiert Bohlken.

Über die Studie: Bei ihrer Unter­su­chung werte­ten die Forscher des Versor­gungs­at­las vertrags­ärzt­li­che Abrech­nungs­da­ten aus den Jahren 2009 bis 2011 aus. Erfasst in diesen Daten ist jeder gesetz­lich Versi­cherte mit mindes­tens einem Arztkon­takt im Abrech­nungs­raum. Der Titel: „Medika­men­töse Behand­lung von Patien­ten mit Demenz unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung regio­na­ler Versor­gungs­un­ter­schiede.“ Erstau­toren der Studie sind Dr. Mandy Schulz vom Versor­gungs­at­las des Zi und Dr. Jens Bohlken vom Referat Demenz des Bundes­ver­ban­des Deutscher Nerven­ärzte. Die Studie ist auf dem Portal des Versor­gungs­at­las verfüg­bar: www.versorgungsatlas.de