Maskenrichter
Der BGH bestä­tigt das Urteil wegen Rechts­beu­gung gegen den „Masken­rich­ter“ von Weimar. Bild: © Piotr Wytrążek | Dreamstime.com

Der „Masken­rich­ter“ von Weimar

Chris­tian Dettmar hat als „Masken­rich­ter“ Schlag­zei­len gemacht und ist damit in gewis­sen Kreisen zu so etwas wie einem Helden gewor­den. Bei seinem ersten Termin am Bundes­ge­richts­hof wurde er von seinen Anhän­gern klatschend empfan­gen.

Nun ist das Verfah­ren vorbei und der 60-Jährige wegen Rechts­beu­gung zu einer zweiein­halb­jäh­ri­gen Bewäh­rungs­strafe verur­teilt. An zwei Schulen in Weimar hatte er Leitung und Lehrkräf­ten unter­sagt, die damals gelten­den Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­men zur Eindäm­mung des Corona­vi­rus umzuset­zen.

Vor Gericht beteu­erte er, dass er das Wohl der Kinder schüt­zen wollte. Weil er als Famili­en­rich­ter aller­dings nicht die Zustän­dig­keit für eine solche Anord­nung hatte, kam sein Eilbe­schluss letzt­lich nie durch. Damit nicht genug: Der Fall brachte ihm am Ende eine Anklage und schließ­lich die Verur­tei­lung wegen Rechts­beu­gung ein.

Sicher­ge­stellte E‑Mails, Chatver­läufe und Dokumente, die vor Gericht minutiös aufbe­rei­tet wurden, gewähr­ten nicht nur Einbli­cke in die Gedan­ken­welt des Masken­rich­ters, sondern beleg­ten Schritt für Schritt, wie er sein Richter­amt für seine Zwecke missbraucht hat.

Chris­tian Dettmar marschierte mit Querden­kern

Die Auswer­tung der Beweis­mit­tel ergab, dass sich Chris­tian Dettmar schon seit März 2020 „inten­siv und kritisch“ mit der Corona­pan­de­mie sowie den staat­li­chen Maßnah­men zu deren Eindäm­mung ausein­an­der­ge­setzt hat. In einer E‑Mail, die er an alle Mitar­beit des Amtsge­richts Weimars verschickte, vertrat er die Meinung, dass man sich nicht in einer Pande­mie, sondern in einer „maxima­len kollek­ti­ven Hyste­rie“ befände.

Seine Geistes­hal­tung zeigte sich auch in der Ausübung seiner richter­li­chen Tätig­keit: So verlangte er beispiels­weise von Verfah­rens­be­tei­lig­ten, dass diese während der Verhand­lung ihre Corona-Schutz­mas­ken abneh­men.

Auch privat vertrat er seine Position klar. So nahm er an Demons­tra­tio­nen gegen die Corona-Maßnah­men der Regie­rung teil, die 2021 regel­mä­ßig statt­fan­den und zu jener Zeit medien­wirk­sam als Corona- bzw. Montags­spa­zier­gänge bezeich­net wurden. Wegen ihrer Verbin­dun­gen zur Querden­ker-Szene standen diese Demons­tra­tio­nen in der öffent­li­chen Kritik.

Zudem war er Gründungs­mit­glied eines im Januar 2021 gebil­de­ten corona-kriti­schen Netzwerks von Richtern und Staats­an­wäl­ten, über welches er später Sachver­stän­dige beauf­tra­gen sollte, die Gutach­ten nach seinen Vorga­ben erstell­ten. Im Proto­koll des Gründungs-Meetings des Netzwerks, das Dettmar auf seinem Handy speicherte, ist folgende Passage enthal­ten:

„Drei Mitglie­der wollen für den Bereich des Famili­en­rechts erörtern, ob im Rahmen von konkre­ten Verfah­ren rund um das Thema „Kindes­wohl­ge­fähr­dung“ nicht ggf. ein medizi­ni­sches Gutach­ten eines exter­nen Exper­ten einge­holt werden kann, welches sich konkret mit den Folgen der gegen­wär­ti­gen Maßnah­men und der Masken­pflicht befas­sen würde“.

Langwie­rige Planung einer Kinder­schutz­klage

Damit fiel der Start­schuss für den Plan einer Kinder­schutz­klage, deren Umset­zung er später wie ein Maestro orches­trierte. Seitdem befasste er sich ausführ­lich mit der Möglich­keit eines Verfah­rens wegen Kindes­wohl­ge­fähr­dung gemäß § 1666 BGB, das er von seiner Position aus als Famili­en­rich­ter am Amtsge­richt Weimar entschei­den könnte.

Dazu lud er sich aus dem Inter­net Muster­vor­la­gen für entspre­chende Anregungs­schrei­ben eines solchen Verfah­rens herun­ter und bearbei­tete sie in Teilen.

Um seinen Plan umzuset­zen, brauchte er aller­dings eine Familie, die bereit war, eine derar­tige Anregung bei seinem Gericht vorzu­le­gen. Damit er sicher­ge­hen konnte, dass die Angele­gen­heit auch tatsäch­lich auf seinem Schreib­tisch landete, akqui­rierte er über Bekannte gezielt Familien, deren Nachnah­men mit Buchsta­ben begin­nen, die in seine Zustän­dig­keit fielen.

Maskenrichter marschiert auf Demo mit
Der Masken­rich­ter marschierte auch bei Demons­tra­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen der Querden­ker­be­we­gung gegen staat­li­che Maßnah­men in der Corona­pan­de­mie mit (Symbol­bild). Bild: Wirestock | Dreamstime.com

„Auf keinen Fall Befan­gen­heits­pro­bleme“

Dass sein Verhal­ten für einen Famili­en­rich­ter wohl merkwür­dig ist, ahnte Dettmar schon zu dieser Zeit. Auf die Nachfrage, ob er zur nächs­ten Montags-Demo mitkommt, antwor­tete er einer Freun­din: „Montag ist Grund­satz­über­le­gung. Rechne nämlich in Kürze mit Masken­fall im Rahmen einer Kindes­wohl­ge­fähr­dung. Da will ich mir auf keinen Fall ein Befan­gen­heits­pro­blem einhan­deln“.

Über sein Netzwerk bekam er schließ­lich Kontakt zu einem maßnah­me­kri­ti­schen Kinder­arzt, der für ihn eine Familie mit zwei Söhnen ausfin­dig machte, die als Anregende für ein Verfah­ren wegen Kinder­wohl­ge­fähr­dung gegen die Corona-Maßnah­men zur Verfü­gung standen.

Das entspre­chende Dokument des Anregungs­schrei­bens wurde vom Kinder­arzt an Dettmar übersen­det, der die Anregung wiederum selbst korri­gierte und mit Änderungs­vor­schlä­gen in eine neue Korrek­tur­schleife überführte. So ging er sicher, dass die Angele­gen­heit mit Sicher­heit und zeitnah bei ihm im Amtsge­richt vorlie­gen würde.

Sachver­stän­dige wurden schon im Vorfeld ausge­sucht

Während er auf den Eingang der Anregung beim Amtsge­richt wartete, suchte er Sachver­stän­dige für sein Verfah­ren. Auch hier ging Dettmar so vor, dass am Ende alles seinen Vorstel­lun­gen entsprach.

In einer E‑Mail an eine Frau, die später tatsäch­lich eine Sachver­stän­dige zu seinen Gunsten wurde, schrieb er:

„Gerne würde ich Sie als Sachver­stän­dige für ein Verfah­ren bei mir gewin­nen […]. Um Folgen­des handelt es sich: Mir ist angekün­digt worden, dass bei mir demnächst ein Verfah­ren wegen Kindes­wohl­ge­fähr­dung (§ 1666 BGB) angeregt wird. Die Kindes­wohl­ge­fähr­dung soll darin liegen, dass das Kind in verschie­de­nen schuli­schen Zusam­men­hän­gen Masken tragen muss. Die betrof­fe­nen Eltern verfol­gen das Ziel, es dem Dritten […], von dem die Gefähr­dung ausgeht – hier der Freistaat Thürin­gen – unter­sa­gen zu lassen, so etwas anzuord­nen.“

Nachdem die Frau sich dazu bereit­erklärte ein Gutach­ten in seinem Sinne zu erstel­len, kümmerte sich Dettmar um weitere Sachver­stän­dige, die gleiches für ihn taten. Im Wesent­li­chen sollten es drei Sachver­stän­di­gen­gut­ach­ten sein, die seine Entschei­dung stütz­ten.

Am Morgen des 15. März 2021 ging das Anregungs­for­mu­lar der Familie, an dem Dettmar selbst mitwirkte, beim Amtsge­richt Weimar ein. Im Anregungs­schrei­ben fordert die Mutter

„die Beendi­gung einer derzeit bestehen­den nachhal­ti­gen Gefähr­dung des körper­li­chen, seeli­schen und geisti­gen Wohls ihrer Söhne […], wie darüber hinaus aller weite­ren Schul­kin­der […], die aufgrund von schul­in­ter­nen Anord­nun­gen zum Tragen eines Mund- und Nasen­schut­zes während und außer­halb des Unter­richts sowie zur Wahrung räumli­cher Distanz zu anderen Perso­nen besteht“.

Nachdem ihm die Gutach­ten der Sachver­stän­di­gen nach seinen Wünschen zugegan­gen waren, erließ er zum 8. April 2021 eine einst­wei­lige Anord­nung, die genau seiner zielge­rich­te­ten Planung und Absicht entsprach. In dem Beschluss unter­sagte er den Leitun­gen der Schulen und den Lehrkräf­ten ihren Schüle­rin­nen und Schülern folgende Dinge vorzu­schrei­ben:

  1. im Unter­richt und auf dem Schul­ge­lände Gesichts­mas­ken zu tragen,
  2. Mindest­ab­stände unter­ein­an­der oder zu anderen Perso­nen einzu­hal­ten,
  3. an Schnell­tests zur Feststel­lung des Virus SARS-CoV‑2 teilzu­neh­men.

Außer­dem ordnete er an, den Präsenz­un­ter­richt an der Schule aufrecht­zu­er­hal­ten. In den Entschei­dungs­grün­den seines Beschlus­ses führt Dettmar aus, dass insbe­son­dere die Masken­pflicht und die Mindest­ab­stände unter­ein­an­der, die Schüle­rin­nen und Schüler in ihrem geisti­gen, körper­li­chen und seeli­schen Wohl nicht nur gefähr­den, sondern gegen­wär­tig schon schädi­gen. Schulen würden darüber hinaus im Pande­mie-Gesche­hen keine wesent­li­che Rolle spielen.

Urkunds­be­am­tin weigerte sich zu unter­schrei­ben

Den Beschluss ließ er an die Mutter, die Verfah­rens­bei­stän­din der Kinder, das Jugend­amt, den Freistaat Thürin­gen und die Schul­lei­tun­gen zustel­len. Der Freistaat Thürin­gen, vertre­ten durch das Bildungs­mi­nis­te­rium, reagierte prompt und rügte den Beschluss. Dettmar sei als Famili­en­rich­ter nicht zustän­dig für eine solche Anord­nung.

Auch in seinem eigenen Amtsge­richt regte sich Wider­stand gegen Dettmar. Ein sogenann­ter Erlass­ver­merk – dieser ist nötig, damit der Beschluss als existend und bindend angese­hen wird – muss zusätz­lich immer auch von einer Urkunds­be­am­tin oder einem Urkunds­be­am­ten unter­schrie­ben werden.

Die Justiz­be­am­tin seiner Geschäfts­stelle weigerte sich jedoch diesen zu unter­schrei­ben. Wie aus einer SMS von Dettmar an einen Freund deutlich wird, war sie grund­sätz­lich anderer Meinung als er und hatte Angst vor den Konse­quen­zen des Beschlus­ses. Aller­dings konnte ein Justiz­se­kre­tär einer anderen Geschäfts­stelle gefun­den werden, der vertre­tungs­weise unter­schrieb. Weiter schrieb Dettmar an den Freund: „Jetzt wird ein Tanz losge­hen. Bildungs­mi­nis­te­rium hat Stellung genom­men.“

Dettmars Beschluss hielt Prüfung nicht stand

Ein Tanz, den er nicht durch­hal­ten konnte. Das thürin­gi­sche Bildungs­mi­nis­te­rium legte offizi­ell Beschwerde gegen den Beschluss ein, worauf­hin das Oberlan­des­ge­richt Thürin­gen einge­schal­tet wurde.

Dieses hob Dettmars Beschluss nach einem Monat auf und stellte fest, dass das Famili­en­ge­richt in der Sache tatsäch­lich gar keine Zustän­dig­keit habe. Entspre­chend sei Dettmars Entschei­dung für die Schulen nicht bindend.

Das Famili­en­ge­richt habe keine Befug­nis gegen­über Behör­den – hier das Bildungs­mi­nis­te­rium als oberste Schul­auf­sichts­be­hörde – eine Durch­set­zung des Kindes­wohls zu erlas­sen. Das wäre Sache des Verwal­tungs­ge­richts. Das Verfah­ren wurde einge­stellt. Später wurde die Entschei­dung auch vom BGH bestä­tigt.

Für Dettmar war die Sache damit nicht vorbei. Das LG Erfurt hat ihn wegen Rechts­beu­gung gemäß § 339 StGB zu einer zweijäh­ri­gen Freiheits­strafe auf Bewäh­rung verur­teilt.

Verur­tei­lung des „Masken­rich­ters“ wegen Rechts­beu­gung

„Der Angeklagte hat durch die von ihm von vornher­ein geplante und zielge­rich­tete Entschei­dung als vorein­ge­nom­me­ner Richter einen elemen­ta­ren Verfah­rens­ver­stoß began­gen, der die Unrecht­mä­ßig­keit der getrof­fe­nen Entschei­dung zur Folge hat“, hieß es in der Begrün­dung des Landes­ge­richts.

Gegen das Urteil gingen sowohl der angeklagte Richter als auch die Staats­an­walt­schaft in Revision. Erste­rer sah Rechts­feh­ler in der Entschei­dung zu seinem Nachteil, zweitere sah Fehler zum Vorteil des Angeklag­ten. Keinem der beiden Einwände stimmte der 2. Straf­se­nat des Bundes­ge­richts­hofs zu – er bestä­tigte das Urteil des Landes­ge­richts.

Dettmar hat, nach Auffas­sung des obers­ten Straf­ge­richts, sein Richter­amt zielge­rich­tet benutzt und missbraucht, um ein von ihm vorge­fer­tig­tes Urteil zu fällen. Diese Absicht hierzu habe er schon 2021 gefasst und im Anschluss darauf hinge­ar­bei­tet, dass ein entspre­chen­des Verfah­ren in seinen Zustän­dig­keits­be­reich am Famili­en­ge­richt gelangt.

Um die gewünschte Entschei­dung treffen zu können, hat er zudem Sachver­stän­dige bestimmt, von denen er wusste, dass diese Gutach­ten zu seinen Gunsten verfas­sen würden. Dieses Verhal­ten habe das Landge­richt zutref­fend als Rechts­beu­gung gewer­tet, so der Bundes­ge­richts­hof.

Für die Verur­tei­lung sei es unerheb­lich, aus welchen Motiven er vorging oder ob die so beschaff­ten Gutach­ten inhalt­lich korrekt seien. Der Verfah­rens­ver­stoß an sich sei so schwer, dass der Beschluss damit rechts­wid­rig sei.

Für den „Masken­rich­ter“ aus Weimar ist damit endgül­tig schluss: Neben der ihm aufer­leg­ten zweijäh­ri­gen Bewäh­rungs­strafe, die er ableis­ten muss, verliert er auch sein Richter­amt. Eine Pension wird es für ihn damit auch nicht geben.

Quelle: BGH vom 20. Novem­ber 2024 – 2 StR 54/24.