Der „Maskenrichter“ von Weimar
Christian Dettmar hat als „Maskenrichter“ Schlagzeilen gemacht und ist damit in gewissen Kreisen zu so etwas wie einem Helden geworden. Bei seinem ersten Termin am Bundesgerichtshof wurde er von seinen Anhängern klatschend empfangen.
Nun ist das Verfahren vorbei und der 60-Jährige wegen Rechtsbeugung zu einer zweieinhalbjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. An zwei Schulen in Weimar hatte er Leitung und Lehrkräften untersagt, die damals geltenden Infektionsschutzmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus umzusetzen.
Vor Gericht beteuerte er, dass er das Wohl der Kinder schützen wollte. Weil er als Familienrichter allerdings nicht die Zuständigkeit für eine solche Anordnung hatte, kam sein Eilbeschluss letztlich nie durch. Damit nicht genug: Der Fall brachte ihm am Ende eine Anklage und schließlich die Verurteilung wegen Rechtsbeugung ein.
Sichergestellte E‑Mails, Chatverläufe und Dokumente, die vor Gericht minutiös aufbereitet wurden, gewährten nicht nur Einblicke in die Gedankenwelt des Maskenrichters, sondern belegten Schritt für Schritt, wie er sein Richteramt für seine Zwecke missbraucht hat.
Christian Dettmar marschierte mit Querdenkern
Die Auswertung der Beweismittel ergab, dass sich Christian Dettmar schon seit März 2020 „intensiv und kritisch“ mit der Coronapandemie sowie den staatlichen Maßnahmen zu deren Eindämmung auseinandergesetzt hat. In einer E‑Mail, die er an alle Mitarbeit des Amtsgerichts Weimars verschickte, vertrat er die Meinung, dass man sich nicht in einer Pandemie, sondern in einer „maximalen kollektiven Hysterie“ befände.
Seine Geisteshaltung zeigte sich auch in der Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit: So verlangte er beispielsweise von Verfahrensbeteiligten, dass diese während der Verhandlung ihre Corona-Schutzmasken abnehmen.
Auch privat vertrat er seine Position klar. So nahm er an Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung teil, die 2021 regelmäßig stattfanden und zu jener Zeit medienwirksam als Corona- bzw. Montagsspaziergänge bezeichnet wurden. Wegen ihrer Verbindungen zur Querdenker-Szene standen diese Demonstrationen in der öffentlichen Kritik.
Zudem war er Gründungsmitglied eines im Januar 2021 gebildeten corona-kritischen Netzwerks von Richtern und Staatsanwälten, über welches er später Sachverständige beauftragen sollte, die Gutachten nach seinen Vorgaben erstellten. Im Protokoll des Gründungs-Meetings des Netzwerks, das Dettmar auf seinem Handy speicherte, ist folgende Passage enthalten:
„Drei Mitglieder wollen für den Bereich des Familienrechts erörtern, ob im Rahmen von konkreten Verfahren rund um das Thema „Kindeswohlgefährdung“ nicht ggf. ein medizinisches Gutachten eines externen Experten eingeholt werden kann, welches sich konkret mit den Folgen der gegenwärtigen Maßnahmen und der Maskenpflicht befassen würde“.
Langwierige Planung einer Kinderschutzklage
Damit fiel der Startschuss für den Plan einer Kinderschutzklage, deren Umsetzung er später wie ein Maestro orchestrierte. Seitdem befasste er sich ausführlich mit der Möglichkeit eines Verfahrens wegen Kindeswohlgefährdung gemäß § 1666 BGB, das er von seiner Position aus als Familienrichter am Amtsgericht Weimar entscheiden könnte.
Dazu lud er sich aus dem Internet Mustervorlagen für entsprechende Anregungsschreiben eines solchen Verfahrens herunter und bearbeitete sie in Teilen.
Um seinen Plan umzusetzen, brauchte er allerdings eine Familie, die bereit war, eine derartige Anregung bei seinem Gericht vorzulegen. Damit er sichergehen konnte, dass die Angelegenheit auch tatsächlich auf seinem Schreibtisch landete, akquirierte er über Bekannte gezielt Familien, deren Nachnahmen mit Buchstaben beginnen, die in seine Zuständigkeit fielen.
„Auf keinen Fall Befangenheitsprobleme“
Dass sein Verhalten für einen Familienrichter wohl merkwürdig ist, ahnte Dettmar schon zu dieser Zeit. Auf die Nachfrage, ob er zur nächsten Montags-Demo mitkommt, antwortete er einer Freundin: „Montag ist Grundsatzüberlegung. Rechne nämlich in Kürze mit Maskenfall im Rahmen einer Kindeswohlgefährdung. Da will ich mir auf keinen Fall ein Befangenheitsproblem einhandeln“.
Über sein Netzwerk bekam er schließlich Kontakt zu einem maßnahmekritischen Kinderarzt, der für ihn eine Familie mit zwei Söhnen ausfindig machte, die als Anregende für ein Verfahren wegen Kinderwohlgefährdung gegen die Corona-Maßnahmen zur Verfügung standen.
Das entsprechende Dokument des Anregungsschreibens wurde vom Kinderarzt an Dettmar übersendet, der die Anregung wiederum selbst korrigierte und mit Änderungsvorschlägen in eine neue Korrekturschleife überführte. So ging er sicher, dass die Angelegenheit mit Sicherheit und zeitnah bei ihm im Amtsgericht vorliegen würde.
Sachverständige wurden schon im Vorfeld ausgesucht
Während er auf den Eingang der Anregung beim Amtsgericht wartete, suchte er Sachverständige für sein Verfahren. Auch hier ging Dettmar so vor, dass am Ende alles seinen Vorstellungen entsprach.
In einer E‑Mail an eine Frau, die später tatsächlich eine Sachverständige zu seinen Gunsten wurde, schrieb er:
„Gerne würde ich Sie als Sachverständige für ein Verfahren bei mir gewinnen […]. Um Folgendes handelt es sich: Mir ist angekündigt worden, dass bei mir demnächst ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung (§ 1666 BGB) angeregt wird. Die Kindeswohlgefährdung soll darin liegen, dass das Kind in verschiedenen schulischen Zusammenhängen Masken tragen muss. Die betroffenen Eltern verfolgen das Ziel, es dem Dritten […], von dem die Gefährdung ausgeht – hier der Freistaat Thüringen – untersagen zu lassen, so etwas anzuordnen.“
Nachdem die Frau sich dazu bereiterklärte ein Gutachten in seinem Sinne zu erstellen, kümmerte sich Dettmar um weitere Sachverständige, die gleiches für ihn taten. Im Wesentlichen sollten es drei Sachverständigengutachten sein, die seine Entscheidung stützten.
Am Morgen des 15. März 2021 ging das Anregungsformular der Familie, an dem Dettmar selbst mitwirkte, beim Amtsgericht Weimar ein. Im Anregungsschreiben fordert die Mutter
„die Beendigung einer derzeit bestehenden nachhaltigen Gefährdung des körperlichen, seelischen und geistigen Wohls ihrer Söhne […], wie darüber hinaus aller weiteren Schulkinder […], die aufgrund von schulinternen Anordnungen zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes während und außerhalb des Unterrichts sowie zur Wahrung räumlicher Distanz zu anderen Personen besteht“.
Nachdem ihm die Gutachten der Sachverständigen nach seinen Wünschen zugegangen waren, erließ er zum 8. April 2021 eine einstweilige Anordnung, die genau seiner zielgerichteten Planung und Absicht entsprach. In dem Beschluss untersagte er den Leitungen der Schulen und den Lehrkräften ihren Schülerinnen und Schülern folgende Dinge vorzuschreiben:
- im Unterricht und auf dem Schulgelände Gesichtsmasken zu tragen,
- Mindestabstände untereinander oder zu anderen Personen einzuhalten,
- an Schnelltests zur Feststellung des Virus SARS-CoV‑2 teilzunehmen.
Außerdem ordnete er an, den Präsenzunterricht an der Schule aufrechtzuerhalten. In den Entscheidungsgründen seines Beschlusses führt Dettmar aus, dass insbesondere die Maskenpflicht und die Mindestabstände untereinander, die Schülerinnen und Schüler in ihrem geistigen, körperlichen und seelischen Wohl nicht nur gefährden, sondern gegenwärtig schon schädigen. Schulen würden darüber hinaus im Pandemie-Geschehen keine wesentliche Rolle spielen.
Urkundsbeamtin weigerte sich zu unterschreiben
Den Beschluss ließ er an die Mutter, die Verfahrensbeiständin der Kinder, das Jugendamt, den Freistaat Thüringen und die Schulleitungen zustellen. Der Freistaat Thüringen, vertreten durch das Bildungsministerium, reagierte prompt und rügte den Beschluss. Dettmar sei als Familienrichter nicht zuständig für eine solche Anordnung.
Auch in seinem eigenen Amtsgericht regte sich Widerstand gegen Dettmar. Ein sogenannter Erlassvermerk – dieser ist nötig, damit der Beschluss als existend und bindend angesehen wird – muss zusätzlich immer auch von einer Urkundsbeamtin oder einem Urkundsbeamten unterschrieben werden.
Die Justizbeamtin seiner Geschäftsstelle weigerte sich jedoch diesen zu unterschreiben. Wie aus einer SMS von Dettmar an einen Freund deutlich wird, war sie grundsätzlich anderer Meinung als er und hatte Angst vor den Konsequenzen des Beschlusses. Allerdings konnte ein Justizsekretär einer anderen Geschäftsstelle gefunden werden, der vertretungsweise unterschrieb. Weiter schrieb Dettmar an den Freund: „Jetzt wird ein Tanz losgehen. Bildungsministerium hat Stellung genommen.“
Dettmars Beschluss hielt Prüfung nicht stand
Ein Tanz, den er nicht durchhalten konnte. Das thüringische Bildungsministerium legte offiziell Beschwerde gegen den Beschluss ein, woraufhin das Oberlandesgericht Thüringen eingeschaltet wurde.
Dieses hob Dettmars Beschluss nach einem Monat auf und stellte fest, dass das Familiengericht in der Sache tatsächlich gar keine Zuständigkeit habe. Entsprechend sei Dettmars Entscheidung für die Schulen nicht bindend.
Das Familiengericht habe keine Befugnis gegenüber Behörden – hier das Bildungsministerium als oberste Schulaufsichtsbehörde – eine Durchsetzung des Kindeswohls zu erlassen. Das wäre Sache des Verwaltungsgerichts. Das Verfahren wurde eingestellt. Später wurde die Entscheidung auch vom BGH bestätigt.
Für Dettmar war die Sache damit nicht vorbei. Das LG Erfurt hat ihn wegen Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.
Verurteilung des „Maskenrichters“ wegen Rechtsbeugung
„Der Angeklagte hat durch die von ihm von vornherein geplante und zielgerichtete Entscheidung als voreingenommener Richter einen elementaren Verfahrensverstoß begangen, der die Unrechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung zur Folge hat“, hieß es in der Begründung des Landesgerichts.
Gegen das Urteil gingen sowohl der angeklagte Richter als auch die Staatsanwaltschaft in Revision. Ersterer sah Rechtsfehler in der Entscheidung zu seinem Nachteil, zweitere sah Fehler zum Vorteil des Angeklagten. Keinem der beiden Einwände stimmte der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zu – er bestätigte das Urteil des Landesgerichts.
Dettmar hat, nach Auffassung des obersten Strafgerichts, sein Richteramt zielgerichtet benutzt und missbraucht, um ein von ihm vorgefertigtes Urteil zu fällen. Diese Absicht hierzu habe er schon 2021 gefasst und im Anschluss darauf hingearbeitet, dass ein entsprechendes Verfahren in seinen Zuständigkeitsbereich am Familiengericht gelangt.
Um die gewünschte Entscheidung treffen zu können, hat er zudem Sachverständige bestimmt, von denen er wusste, dass diese Gutachten zu seinen Gunsten verfassen würden. Dieses Verhalten habe das Landgericht zutreffend als Rechtsbeugung gewertet, so der Bundesgerichtshof.
Für die Verurteilung sei es unerheblich, aus welchen Motiven er vorging oder ob die so beschafften Gutachten inhaltlich korrekt seien. Der Verfahrensverstoß an sich sei so schwer, dass der Beschluss damit rechtswidrig sei.
Für den „Maskenrichter“ aus Weimar ist damit endgültig schluss: Neben der ihm auferlegten zweijährigen Bewährungsstrafe, die er ableisten muss, verliert er auch sein Richteramt. Eine Pension wird es für ihn damit auch nicht geben.
Quelle: BGH vom 20. November 2024 – 2 StR 54/24.