Lieferengpässe
Weltweit in der Zirku­la­tion: Medika­mente Bild: Jukka Niitty­maa / Pixabay

Rechts­de­pe­sche: Wir werden die Rahmen­be­din­gun­gen für den patent­freien Arznei­mit­tel­markt ändern. Wir lockern Rabatt- sowie Festbe­trags­re­geln und sorgen dafür, dass zuver­läs­sige europäi­sche Herstel­ler bei Vertrags­ab­schluss bevor­zugt werden“, so Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Lauter­bach. Wie beurtei­len Sie diese Maßnah­men?

Andreas Aumann: Die Politik versucht den Eindruck zu vermit­teln, dass sie den Ernst der Lage erkannt hat. Aller­dings handelt es sich bei den bisher vorge­schla­ge­nen Lösungs­maß­nah­men zur Vermei­dung von Liefer­eng­päs­sen leider nur um Teillö­sun­gen oder – wie bei der befris­te­ten Ausset­zung der Festbe­träge – um Nebel­ker­zen. Ein Ausset­zen der Festbe­träge bei Kinder­arz­nei­mit­teln für gerade einmal drei Monate wird das struk­tu­rell bedingte Problem von Liefer­eng­päs­sen in diesem Bereich nicht lösen. Die letzten Veröf­fent­li­chun­gen sind daher ernüch­ternd. Sämtli­che Maßnah­men sollen sich zunächst nur auf bestimmte Arznei­mit­tel­ka­te­go­rien beschrän­ken wie Kinder­arz­nei­mit­tel, Onkolo­gika und Antibio­tika. Die Liefer­pro­ble­ma­tik betrifft aber die gesamte Grund­ver­sor­gung. Insge­samt werden die Maßnah­men sehr viel Bürokra­tie und zusätz­li­che Kosten mit sich bringen, gerade wenn es um eine mögli­che Bevor­ra­tung geht, welche die Probleme nicht löst. Unsere Vorschläge haben wir im „Master­plan Pharma“ erläu­tert.

Lieferengpässe
Andreas Aumann ist seit dem 1. Januar 2020 Presse­spre­cher und Geschäfts­feld­lei­ter Kommu­ni­ka­tion beim Bundes­ver­band der Pharma­zeu­ti­schen Indus­trie e.V. Bild: BPI

Liefer­eng­pässe: Deutsche Produk­tion macht Prozesse besser steuer­bar

Rechts­de­pe­sche: Wo kommen die meisten Rohstoffe für Medika­mente her? Verla­gern sich im Zuge der kriegs­be­ding­ten „Zeiten­wende“ auch die Trans­port­wege?

Aumann: Die Lage ist nicht ganz leicht zu beschrei­ben, es bestehen Abhän­gig­kei­ten zu Handels­part­nern im Ausland. Mit einer Produk­tion in Deutsch­land bzw. Europa lässt sich die Wahrschein­lich­keit einer zuver­läs­si­gen, verbes­ser­ten, konti­nu­ier­li­chen Versor­gung der Bevöl­ke­rung mit Arznei­mit­teln erhöhen. Aufgrund der engma­schi­gen behörd­li­chen Überwa­chung „vor Ort“ sind die Prozesse viel besser kontrol­lier- bzw. steuer­bar.

Es kann gegebe­nen­falls schnel­ler seitens der Unter­neh­men mit erfor­der­li­chen Anpas­sun­gen reagiert werden – bei gleich­zei­tig kürze­ren Trans­port­we­gen. Damit kann ein Beitrag zur Gewähr­leis­tung der öffent­li­chen Gesund­heit geleis­tet und der im Rahmen der Daseins­vor­sorge vorhan­dene Anspruch der Menschen auf eine Versor­gung mit lebens­wich­ti­gen Arznei­mit­teln besser durch­ge­setzt werden. Vor allem aber würde ein erhöh­ter Produk­ti­ons­an­teil in Europa dazu führen, dass wieder mehr Anbie­ter auf dem Markt verfüg­bar sind.

Wenn ein Anbie­ter aufgrund techni­scher Schwie­rig­kei­ten dann nicht liefern kann, sind genügend weitere Unter­neh­men vorhan­den, die einsprin­gen können. Dies ist bei der aktuell gegebe­nen Markt­kon­zen­tra­tion insbe­son­dere bei der Herstel­lung vieler Wirkstoffe durch wenige Anbie­ter vor allem in Asien immer selte­ner der Fall.

Rechts­de­pe­sche: Inwie­weit gibt es Pläne, die Produk­tion von Arzneien aus Asien nach Europa/Deutschland zu verle­gen?

Aumann: Im Falle beson­ders versor­gungs­re­le­van­ter Arznei­mit­tel wie etwa Antibio­tika, die aktuell fast ausschließ­lich in China produ­ziert werden, ist der Aufbau einer eigenen europäi­schen Produk­tion bzw. Rückver­la­ge­rung der Produk­tion sehr sinnvoll. Eine solche Rückver­la­ge­rung bedeu­tet aber auch, dass Inves­ti­tio­nen notwen­dig sind. Eine Arznei­mit­tel­pro­duk­tion in Europa wird automa­tisch zu höheren Preisen führen. Doch die damit gewon­nene größere Versor­gungs­si­cher­heit sollte uns das wert sein.

Es ist regula­to­risch und pharma­zeu­tisch nicht trivial, Stand­orte zu verle­gen. Bei nahezu allen Prozes­sen müssen pharma­zeu­ti­sche Herstel­ler erneut alle behörd­li­chen Aufla­gen erfül­len (Audits, Prozesse, Stabi­li­täts­da­ten etc.). Wir sprechen hier von Jahren, nicht Monaten. Der Aufbau von Produk­ti­ons­an­la­gen dauert etwa fünf Jahre. Die Fertig­pro­dukt­her­stel­lung, das heißt die Herstel­lung des Arznei­mit­tels, ist nach Durch­füh­rung der techni­schen und regula­to­ri­schen Aufga­ben in Europa mit ausrei­chen­der Vorlauf­zeit, um die techni­schen Voraus­set­zun­gen für die Produk­tion zu erfül­len, reali­sier­bar.

Die grund­le­gen­den Struk­tu­ren sind größten­teils noch vorhan­den, politisch könnten dabei verstärkte Förde­run­gen unter­stüt­zen. Bei der Wirkstoff-Herstel­lung hat Deutschland/Europa durch deren Abwan­de­rung in andere Teile der Welt sehr viel verlo­ren. Dieser Prozess ist nur schwer rever­si­bel. Das „Zurück­ho­len“ der Wirkstoff­pro­duk­tion ist nur bedingt reali­sier­bar. Selbst bei idealen Vorzei­chen ist eine schnelle Verla­ge­rung eine länger­fris­tige Aufgabe.

Es ist ein umfas­sen­des Konzept erfor­der­lich, das struk­tu­rell an den Ursachen für die Abwan­de­rung und Ausla­ge­rung der Wirkstoff­pro­duk­tion ansetzt. Dies bedeu­tet, dass hier nicht nur indus­trie­po­li­tisch angesetzt werden kann – so würden Subven­tio­nen allein die struk­tu­rel­len Probleme nicht beheben. Es muss gleich­zei­tig auch der Nachfra­ger­markt in den Blick genom­men werden – denn ohne einen attrak­ti­ven Markt wird man keine Produk­tion anlocken können.

Rechts­de­pe­sche: Das bedeu­tet?

Aumann: Dies bedeu­tet konkret, dass insbe­son­dere auch der Preis- und Kosten­druck in natio­na­len Gesund­heits­sys­te­men in den Blick genom­men werden müsste – dies scheut man jedoch grund­sätz­lich und in Zeiten knapper Kassen beson­ders. Es ist jedoch so, dass eine stabile Versor­gung auch über „regio­nale“ Produk­tion und die Vergü­tungs­si­tua­tion im Kranken­ver­si­che­rungs­sys­tem eng mitein­an­der verknüpft sind.

Daher wird es unumgäng­lich sein, hier die „Komfort­zone“ zu verlas­sen – schon allein, um die noch in Deutschland/Europa bestehende Wirkstoff­her­stel­lung vor weite­rer Abwan­de­rung zu sichern.

Daher müssen nunmehr dringend Korrek­tu­ren vorge­nom­men werden, um im Arznei­mit­tel­be­reich einen nachhal­ti­gen Wettbe­werb mit dem Ziel des Erhalts der Anbie­ter­viel­falt zu sichern und dadurch eine konti­nu­ier­li­che Arznei­mit­tel­ver­sor­gung zumin­dest in versor­gungs­re­le­van­ten Berei­chen zu gewähr­leis­ten.

Um mit einer Produk­tion in Deutsch­land bzw. Europa die Versor­gungs­si­cher­heit mit Arznei­mit­teln zu erhöhen, bedarf es unter anderem auch der Modifi­ka­tion der bestehen­den Ausschrei­bungs­re­ge­lun­gen für Rabatt­ver­träge. Bei der Zuschlags­er­tei­lung müssen die Kranken­kas­sen verpflich­tet werden, in einem echten Mehrbie­ter­mo­dell mindes­tens einen Bieter mit deutscher bzw. EU-Produk­tion bei insge­samt drei Zuschlä­gen zu berück­sich­ti­gen, wobei Ein-Partner-Zuschläge bei entspre­chen­der Angebots­lage grund­sätz­lich unter­sagt sind.

Darüber hinaus sollten Wirkstoffe/Arzneimittel, die in den letzten zwei Jahren mehrfach einen Versor­gungs­eng­pass aufge­wie­sen haben, für die Dauer von zwei bis drei Jahren nicht mehr ausge­schrie­ben werden. Damit stünden die Arznei­mit­tel aller Anbie­ter zur Versor­gung der Bevöl­ke­rung zur Verfü­gung. Diese Anreize können im Ergeb­nis die Versor­gung in Deutsch­land verbes­sern.

Liefer­eng­pässe: Ohne Inves­ti­tio­nen geht es nicht

Rechts­de­pe­sche: Wie lässt sich Ihrer Meinung nach die medika­men­töse Grund­ver­sor­gung langfris­tig sicher­stel­len, ohne dass wahlweise Apothe­ken oder Endver­brau­cher die Kosten tragen?

Aumann: Wie oben bereits erläu­tert wird eine Arznei­mit­tel­pro­duk­tion in Europa mit Mehrkos­ten verbun­den sein und automa­tisch zu höheren Preisen führen. Doch die damit gewon­nene größere Versor­gungs­si­cher­heit sollte uns das wert sein. Es darf nicht mehr allein um den günstigs­ten Preis gehen, vielmehr sollten wir uns als Gesell­schaft fragen: Was ist uns eine sichere Arznei­mit­tel­ver­sor­gung wert?

Niemand kann von der pharma­zeu­ti­schen Indus­trie erwar­ten, dass Arznei­mit­tel unter Herstel­lungs­kos­ten angebo­ten werden. Es muss sich folglich grund­le­gend etwas ändern. Unsere Vorschläge liegen seit gerau­mer Zeit vor, wir schla­gen deshalb vor, Kosten­dämp­fungs­maß­nah­men wie etwa das Preis­mo­ra­to­rium zu strei­chen und die Rabatt­ver­träge so anzupas­sen, dass pharma­zeu­ti­sche Unter­neh­men wirtschaft­lich arbei­ten können.

Zur Person: Andreas Aumann ist seit dem 1. Januar 2020 Presse­spre­cher und Geschäfts­feld­lei­ter Kommu­ni­ka­tion beim Bundes­ver­band der Pharma­zeu­ti­schen Indus­trie e.V. Außer­dem ist er Mitglied des BPI-Manage­ment­boards für den Bereich Kommu­ni­ka­tion.