Leiharbeit (Zeitarbeit) hat in der Coronapandemie speziell in der Pflege stark zugenommen. Das erhöhte Arbeitsaufkommen ließ sich nur durch kurzfristige Aufstockung der Belegschaft bewältigen. Laut dem Krankenhausbarometer des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) musste im Jahr 2020 jedes zweite Krankenhaus auf Zeitsarbeitsfirmen zurückgreifen.
„Leiharbeit spaltet Belegschaften im Krankenhaus“
Für die Kliniken bringt die Leiharbeit Probleme mit sich: Neben der mangelnden Qualitätskontrolle durch immer wieder neue Mitarbeiter sehen Krankenhäuser speziell die höheren Kosten als Belastung. Laut Vivantes-Chef Johannes Danckert gibt Vivantes jedes Jahr einen hohen einstelligen Millionenbetrag aus, der de facto nur als Vermittlungsgebühr an die Leih- und Zeitarbeitsfirmen fließe.
Dr. Gerald Gaß, Vorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, sieht die Kliniken im Nachteil: „Die deutlich höheren Kosten für die Leiharbeit werden nicht in den Pflegebudgets abgebildet. Die Krankenhäuser arbeiten hart daran, Gehälter und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Konkurrenz der Zeitarbeit treibt sie dabei unbestreitbar an. Unter diesen Bedingungen können die Kliniken aber das Rennen um die besten Arbeitsbedingungen und Gehälter nur verlieren.“
Die DKG fordert eine Begrenzung des Stundensatzes in der Leiharbeit einschließlich aller Kosten auf das 1,5‑fache der üblichen Vergütung fest angestellter Pflegekräfte. Zur Not müsse Leiharbeit verboten werden. Auch Friedrich München, Geschäftsführer der Sächsischen Krankenhausgesellschaft, spricht sich für eine Deckelung der Vergütung auf das 1,5‑fache des Angestelltenlohns aus.
Auch das Verhältnis zwischen Stammbelegschaft und Zeitarbeitskräften sehen die Kliniken als problematisch an. Dazu Gaß: „Wir registrieren, wie Belegschaften durch Leiharbeit mehr und mehr gespalten werden. Leasingkräfte können nur zu bestimmten Wunschschichten eingesetzt werden.
Der Stammbelegschaft bleiben unbeliebte Zeiten wie Wochenenden, Feiertage oder Nachtschichten. In der Folge wandern immer mehr Beschäftigte in die Leiharbeit ab, sodass sich eine Spirale entwickelt, deren Ende ohne Eingriffe nicht absehbar ist.“
Helmut Wallrafen, Geschäftsführer der Sozial-Holding Mönchengladbach, sieht die Festangestellten als Benachteiligte, die die Privilegien der Leiharbeiter abfangen müssten. Seine Lösung: Leiharbeiter sollten gesetzlich verpflichtet werden, an 365 Tagen 24 Stunden täglich zur Verfügung zu stehen – genauso wie die Stammbelegschaften.
Haben es Zeitarbeitskräfte wirklich besser?
So richtig neu ist die Diskussion ja nicht: Schon mit der Konzertierten Aktion Pflege wurde ein Maßnahmenpaket beschlossen, das unter anderem die Reduzierung der Leiharbeit durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege zum Ziel hatte.
Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist der entscheidende Punkt. Denn das Erstaunliche ist, dass die Pflegebranche der einzige Bereich ist, in dem Leiharbeit als Vorteil für die Beschäftigten gesehen wird: In allen anderen Wirtschaftszweigen gelten Zeitarbeitskräfte als benachteiligt.
Im Gegensatz zu Festangestellten kennen sie ihren Einsatzort oft erst am Einsatztag, längere Fahrstrecken – oft nur mit Auto möglich – sind normal. Sie müssen sich ständig auf neue Kollegen, Abläufe und nicht zuletzt Patienten einstellen. Auch die soziale Absicherung ist mit einer Festanstellung nicht vergleichbar: In der Leiharbeit besteht kein Anspruch auf Beschäftigung.
Wenn eine Schicht ausfällt, werden Leiharbeiter kurzfristig benachrichtigt – eine Vergütung für diese Zeit gibt es nicht. Leasingkräfte müssen Fortbildungen selbst bezahlen, erhalten weder Urlaubs- noch Weihnachtsgeld und sind im Krankheitsfall nicht abgesichert. Auch bei Sonderzahlungen wie dem Corona-Bonus werden sie nicht berücksichtigt.
Die Vorteile der Leiharbeit – ein höherer Stundenlohn und die Möglichkeit, sich die Einsatzzeiten auszusuchen – müssen also den Nachteilen gegenübergestellt werden.
Matthias Hiepko, Geschäftsführer und CEO der avanti GmbH, hat eine klare Meinung zur aktuellen Debatte: „Ohne die schnelle und planbare Hilfe unserer Fachpflegekräfte aus der Zeitarbeit müssten noch mehr Stationen zeitweise schließen. Die Quote der Pflegekräfte, die bei Personaldienstleistern angestellt ist, liegt weiterhin unter zwei Prozent. Mich erstaunt immer wieder, wieso es Kritik gibt an den deutlich besseren Arbeitsbedingungen, die wir den Pflegekräften bieten. Sollte doch eigentlich jeden freuen, der es gut mit der Pflege meint.“
Kommentar: Leiharbeiter als Sündenbock
Fest steht, dass die Problematik rund um Zeitarbeitskräfte im Gesundheitswesen seit Jahren bekannt ist, genauso wie die Erkenntnis, dass es die schlechten Löhne und Arbeitsbedingungen sind, die immer mehr Menschen von der Festanstellung in den Bereich der Zeitarbeit wechseln lassen.
Mit anderen Worten: Die Fachkräfte wandern nicht deshalb von der Festanstellung in die Leiharbeit, weil die Bedingungen überdurchschnittlich gut wären – vielmehr sind diese in der Festanstellung so unterirdisch, dass vielen Pflegenden die Leiharbeit als bessere Lösung erscheint.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders unfair, dass die Befürworter eines Verbotes so tun, als sei der Wunsch nach planbaren Arbeitszeiten unsozial.
Auf der Suche nach dem Sündenbock werden Festangestellte und Zeitarbeitskräfte gegeneinander ausgespielt – obwohl sie alle nur eine unhaltbare Situation ausbaden, für die sie nicht verantwortlich sind. Leider laufen aber die Forderungen der Kliniken darauf hinaus, die Bedingungen der Leiharbeit so lange zu verschlechtern, bis sie genauso schlecht sind – oder zumindest nicht wesentlich besser – wie die der Festanstellung.
Denn in diesen Lösungsvorschlägen wird weder die fehlende soziale Sicherheit berücksichtigt, noch die größere Flexibilität, die von Leiharbeitern verlangt wird.
Man darf nicht vergessen, dass Leiharbeit im Kern arbeitnehmerfreundlich ist: Diese Arbeitskräfte verursachen keine Sozialkosten und können von jetzt auf gleich abbestellt werden – auch daher kommt der höhere Stundenlohn. Und solange Zeitarbeit ein Mittel ist, kurzfristige Personalspitzen zu überbrücken, rechnet das sich durchaus.
Inzwischen bleiben die Krankenhäuser auf Kosten sitzen, die sie von der Politik zurückfordern. Ob es möglich gewesen wäre, die Millionen, die die Kliniken aus eigenem Budget an Vermittlungsprovisionen zahlen, schon früher als Gehaltserhöhung an die Belegschaften weiterzugeben – da das Geld ja offensichtlich mobilisiert werden kann, wenn man keine Wahl hat? Das ist die falsche Frage.
Denn die Politik hat es jahrelang versäumt, den Pflegenotstand wirksam zu adressieren. Wie es so schön heißt: „Der Markt wird es regeln.“ Und das tut er auch: Gesuchte Fachkräfte gehen dorthin, wo sie die besten Arbeitsbedingungen haben – das sind aktuell nicht die Kliniken. Ein Verbot der Leiharbeit ist eine zu einfache Lösung für ein Problem, das nicht erst seit gestern besteht.
2 Kommentare
Würden die Kliniken so gut bezahlen, wie die Leihfirmen, gäbe es keinen Grund diese zu verbieten. Die Kliniken sollten keine Abschaffung der „Konkurrenz“ als Gesetz fordern, sie sollten gesetzlich dazu verpflichtet werden so gut zu zahlen, wie die Leihfirmen. Die Lösung liegt nicht im kaputtsparen, die Lösung liegt im investieren. Bei der Deutschen Bank muss ich auch €9 zusätzlich zahlen, wenn mir ein Bankangestellter bei einer Überweisung am Automaten hilft. Die Pflege muss Lohntechnisch in die freie Wirtschaft gerückt werden, der Himmel weiß, von Seiten der Dokumentationspflicht und des Papierkram, sind wir dort schon lange angekommen. Sollte dieser Schritt von der Politik gemacht werden, wird es, meiner Ansicht nach, zu einem Abwandern von mindestens 2/3 der Pflegekräfte in andere Berufe geben. Die Menschen geben sich nicht mit weniger zufrieden, wenn sie einmal erfahren haben, was ihre Arbeit wert sein KANN!
Berit Meisenkothen
Krankenschwester in der Intensivmedizin
In diesem Artikel sind einige Sachliche Fehler:Kann der Arbeitnehmer in der Arbeitnehmerüberlassung nicht vermittelt werden, erhält er trotzdem sein Gehalt. Auch Urlaub und Weihnachtsgeld wird gezahlt. Urlaub wird vergütet Fortbildung kosten werden von einigen Zeitarbeit Firmen übernommen, sogar Fachwriterbildungen angeboten. Schönes Wochenende, Stephan