Mit mehr als 328.000 Unterschriften ist sie die meistunterstützte Petition in der Geschichte des Bundestages. Nun kam die erste Stunde der Wahrheit. Die vom Nachrichtenmagazin „Stern“ lancierte Petition „Gesundheitsreform für eine bessere Pflege zum Schutz der Pflegebedürftigen“ war am Montag vergangene Woche (1.3.2021), Thema in der Sitzung des Petitionsausschusses. Dort stellten sich der Antragsteller, „Stern“-Redakteur Bernhard Albrecht, sowie Dr. Bernadette Klapper, Bereichsleiterin Gesundheit bei der Robert-Bosch-Stiftung und gelernte Pflegekraft, der Debatte mit den Ausschussmitgliedern. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn diskutierte mit, der persönlich zur Anhörung erschienen war.
Stern-Redakteur Albrecht: „Was Pflegekräfte leisten, wird fatal unterschätzt“
„Eine Drittelmillion Menschen hat die Petition mitgezeichnet. Sie wollen, dass Pflegekräfte echte Wertschätzung erfahren, dass sich ihre oft unwürdigen Arbeitsbedingungen endlich nachhaltig verbessern, dass sie anständig entlohnt werden – 36 Jahre, nachdem das Wort Pflegenotstand geboren wurde“, appellierte Albrecht. Er verwies auf den Fall eines 34-Jährigen, der im Krankenhaus wegen einer Herzmuskelentzündung starb, die infolge von Unterbesetzung auf der Station stundenlang unentdeckt blieb. „Was Pflegekräfte leisten, wird fatal unterschätzt. Sie haben einen geschulten Blick.“ Doch die Zeit, die fehle ihnen, so Albrecht.
Pflegestärkungs-Aktionen wie die Konzertierte Aktion Pflege machten den Fehler, einseitig mehr Personal in der Pflege anzustreben, anstatt zu überlegen, wo das System an sich verbesserungswürdig sei. „Es gibt nicht zu wenige Pflegekräfte, sondern sie sind falsch verteilt.“ Man brauche einen Systemwechsel, „weil es keine Insellösung für die Pflege gibt“. Er verwies auf nachbarschaftlich orientierte Pflegekonzepte oder das System der „Magnet-Krankenhäuser“ in den USA. Diese zeichnen sich durch besonders gute Bedingungen für Pflegekräfte aus, zögen in der Folge Personal an und entsprechend verbesserten sich die medizinischen Resultate.
In der konstruktiven, lebhaften und durchaus sehenswerten Debatte kamen mehrere Unteraspekte des Themas zur Sprache. Etwa das ambulante, als vorbildlich gesehene niederländische „Buurtzorg“-Pflegekonzept, sowie das jüngste Scheitern des Bundestarifvertrags für die Altenpflege. Oder auch die neue generalistische Ausbildung in der Pflege oder die Aufregung um die „Ehrenpflegas“-Kampagne des Bundesfamilienministeriums.
Spahn: Konzertierte Aktion Pflege trägt erste Früchte
Spahn hob die bisherigen Erfolge der Konzertierten Aktion Pflege hervor, und skizzierte einige Herausforderungen. „Es war ein Hauptziel der Zusammenführung der Ausbildungsberufe, um mehr Perspektiven, Wechsel- und Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, sich umzuschauen und sich zu akademisieren.“ Er hob auch die Abschaffung des Schulgelds hervor. „Pflege ist ein Beruf mit Zukunft, der auch in der öffentlichen Debatte eine zunehmend positive Rolle spielt.“ Die Absenkung von Anforderungen oder das Motto „wer nichts wird, wird Pflegekraft“ könnten nicht Teil der Lösung sein. „Pflege kann nicht jeder. Man muss wollen UND können. Um über all dies positiv zu reden, das können wir nur, wenn die Pflege selbst mitredet“, so Spahn.
Die Konzertierte Aktion Pflege zahle sich aus seiner Sicht langsam aus; er sehe Fortschritte unter anderem bei Bürokratieabbau, Digitalisierung, Investitionen und Personalbemessung. Der Personalmangel in der Pflege sei im Übrigen auch eine Art „Henne-Ei-Problem“, so Spahn. Viele vormals Pflegende würden in ihren Beruf zurückkehren wollen, wenn es mehr Kolleginnen und Kollegen und weniger Stress gäbe. Mehr Verstärkung durch Kollegen und weniger Stress gebe es aber eben nur, wenn mehr Pflegende zurückkehren. „Wir müssen beginnen, und haben begonnen, diese Spirale andersherum zu drehen.“
In einer der nachfolgenden Sitzungen wird sich der Petitionsausschuss nochmals mit der Petition befassen. Die komplette Ausschusssitzung ist in der Mediathek des Bundestags-TV-Angebots eingestellt; die Debatte zur Pflegepetition beginnt dabei bei der Hälfte der Sitzungsaufzeichnung, nach 1:02 Stunden.