Lebenserhaltende Maßnahmen
Vor Gericht kämpft eine Tochter dafür, dass ihrer Mutter nicht die lebens­er­hal­ten­den Maßnah­men abgestellt werden. Bild: © Sandor Kacso | Dreamstime.com

Lebens­er­hal­tende Maßnah­men sollen abgestellt werden: Tochter wehrt sich

Eine Frau wird in einer Klinik behan­delt – die genauen Umstände sind nicht bekannt – und wird lebens­er­hal­ten­den Maßnah­men unter­zo­gen. Diese lebens­er­hal­ten­den Maßnah­men sollen nun aller­dings abgeschal­tet werden, nachdem der gericht­lich vorläu­fig bestellte Betreuer der Frau sich dafür ausge­spro­chen hatte.

Das wollte die Tochter der Frau nicht hinneh­men. Deshalb wandte sie sich mit einem Antrag auf Erlass einer einst­wei­li­gen Anord­nung an das zustän­dige Betreu­ungs­ge­richt.

Mit dem Antrag versucht sie die anste­hende Beendi­gung der lebens­er­hal­ten­den Maßnah­men zu verhin­dern. Ihrer Meinung nach solle das Betreu­ungs­ge­richt die Entschei­dung des Betreu­ers für das Abstel­len der lebens­er­hal­ten­den Maßnah­men noch mal kontrol­lie­ren.

Betrof­fene bekommt etwas mehr Zeit

Das Betreu­ungs­ge­richt (AG Reckling­hau­sen) hat ein Einschrei­ten gegen die bereits angekün­digte Zustim­mung des Betreu­ers zunächst abgelehnt.

Aus diesem Grund wandte sich die Tochter mit ihrem Antrag an die nächste Instanz – den Verfas­sungs­ge­richts­hof Nordrhein-Westfa­len.

Dieser hat veran­lasst, dass die lebens­er­hal­ten­den Maßnah­men tatsäch­lich nicht zum verein­bar­ten Zeitpunkt abgestellt werden sollen. Zumin­dest solange, bis eine rechts­kräf­tige Entschei­dung über den Antrag der Tochter vorliegt.

Lebens­er­hal­tende Maßnah­men recht­li­cher Rahmen

Nach Ansicht des Verfas­sungs­ge­richts­hofs, habe das AG Reckling­hau­sen gegen den Justiz­ge­währ­an­spruch der Antrag­stel­le­rin (Artikel 4 Absatz 1 LV in Verbin­dung mit Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 20 Absatz 3 GG) versto­ßen.

Justiz­ge­währ­an­spruch (vgl. 1 BvR 1542/06):

„Der sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbin­dung mit dem Rechts­staats­prin­zip ergebende Justiz­ge­währ­an­spruch umfasst das Recht auf Zugang zu den Gerich­ten und eine grund­sätz­lich umfas­sende tatsäch­li­che und recht­li­che Prüfung des Streit­ge­gen­stan­des sowie eine verbind­li­che Entschei­dung durch den Richter“.

Nach § 1829 Absatz 1 Satz 1 BGB bedarf die Einwil­li­gung des Betreu­ers in einen ärztli­chen Eingriff die Geneh­mi­gung des Betreu­ungs­ge­richts, wenn die Gefahr besteht, dass der oder die Betreute durch die Maßnahme stirbt.

Ohne eine solche Geneh­mi­gung darf die Maßnahme nur dann durch­ge­führt werden, wenn mit einem Aufschub der Maßnahme eine Gefahr nach § 1829 Absatz 1 Satz 2 BGB verbun­den ist.

Nach § 1829 Absatz 2 BGB kann das Betreu­ungs­ge­richt die Entschei­dung des Betreu­ers wider­ru­fen, wenn der oder die Betreute aufgrund des Unter­blei­bens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt.

Sollten sich Arzt und Betreuer einig darüber sein, dass die Ertei­lung, die Nicht­er­tei­lung oder der Wider­ruf der Einwil­li­gung dem Willen des Patien­ten nach § 1827 BGB (Patien­ten­ver­fü­gung) entspricht, ist keine Geneh­mi­gung des Betreu­ungs­ge­richts notwen­dig.

Schutz des Patien­ten vor Missbrauch der Betreu­er­be­fug­nisse

Nach der Recht­spre­chung des Bundes­ge­richts­hofs gibt es mehrere Möglich­kei­ten, durch die Patien­ten vor einem etwaigen Missbrauch der Betreu­er­be­fug­nisse geschützt werden.

Zum einen geschieht dies durch eine wechsel­sei­tige Kontrolle zwischen Arzt und Betreuer bei einer Entschei­dungs­fin­dung hinsicht­lich des Patien­ten­wil­lens.

Zum anderen können insbe­son­dere der Ehegatte, Lebens­part­ner, Verwandte oder Vertrau­ens­per­so­nen des Betreu­ten jeder­zeit eine betreu­ungs­ge­richt­li­che Kontrolle der Betreu­er­ent­schei­dung in Gang setzen. Davon machte die Tochter im vorlie­gen­den Fall Gebrauch.

Der verfas­sungs­recht­li­che Justizgewähranspruch verlangt mithin eine förmliche, rechtsmittelfähige Entschei­dung, die auch einen Negativ­at­test zum Gegen­stand haben kann, wenn sich eine Geneh­mi­gungs­pflicht gemäß § 1829 Absatz 4 BGB nicht ergibt.

Diesen Anfor­de­run­gen wird das Schrei­ben des AG Reckling­hau­sen, in dem der Antrag der Tochter abgelehnt wurde, nicht gerecht.

Weitere medizi­ni­sche Maßnah­men poten­zi­ell möglich

Bei seinem Beschluss hat der Verfas­sungs­ge­richts­hof auch die schwere gesund­heit­li­che Situa­tion der Mutter und ihren in einer Patientenverfügung zum Ausdruck gebrach­ten Willen berücksichtigt, dass keine lebensverlängernden Maßnah­men mehr bei ihr angewen­det werden sollen, wenn alle diagnos­ti­schen Möglichkeiten aller Fachrich­tun­gen vollständig ausgeschöpft sind.

Dass diese Situa­tion unzwei­fel­haft einge­tre­ten ist, lässt sich nach Akten­lage nicht mit der gebote­nen Sicher­heit feststel­len.

Fazit

Während der gesetz­li­che Betreuer in Abspra­che mit den Ärzten die Beendi­gung der Maßnah­men befür­wor­tete, versuchte die Tochter, diese Entschei­dung gericht­lich anzufech­ten. Der Verfas­sungs­ge­richts­hof Nordrhein-Westfa­len hat darauf­hin entschie­den, die Maßnah­men vorläu­fig fortzu­set­zen, bis eine abschlie­ßende rechts­kräf­tige Entschei­dung vorliegt. Der Verfas­sungs­ge­richts­hof kam zu dem Schluss, dass eventu­ell nicht alle diagnos­ti­schen Möglich­kei­ten ausge­schöpft wurden.

FAQ

Was sind lebens­er­hal­tende Maßnah­men?

Lebens­er­hal­tende Maßnah­men umfas­sen medizi­ni­sche Eingriffe und Behand­lun­gen, die dazu dienen, das Leben eines schwer­kran­ken Patien­ten zu verlän­gern. Dazu gehören unter anderem künst­li­che Beatmung, künst­li­che Ernäh­rung, Flüssig­keits­zu­fuhr und andere inten­siv­me­di­zi­ni­sche Maßnah­men. Diese Maßnah­men kommen meist dann zum Einsatz, wenn die Vital­funk­tio­nen des Patien­ten ohne medizi­ni­sche Hilfe nicht mehr aufrecht­erhal­ten werden können. Ob und in welchem Umfang diese Maßnah­men angewen­det werden, hängt häufig vom Gesund­heits­zu­stand des Patien­ten, dessen mutmaß­li­chem oder geäußer­tem Willen sowie von recht­li­chen Entschei­dun­gen ab.

Wie lange dürfen lebens­er­hal­tende Maßnah­men durch­ge­führt werden?

Lebens­er­hal­tende Maßnah­men werden so lange durch­ge­führt, bis entwe­der der medizi­ni­sche Zustand des Patien­ten eine Fortset­zung nicht mehr erfor­dert oder eine rechts­kräf­tige Entschei­dung getrof­fen wird, sie zu beenden. Entschei­dend sind dabei der Wille des Patien­ten, der in einer Patien­ten­ver­fü­gung festge­legt sein kann, und die recht­li­che Bewer­tung durch den gesetz­li­chen Betreuer und das Betreu­ungs­ge­richt. Im vorlie­gen­den Fall wurden die Maßnah­men vorläu­fig fortge­setzt, bis eine endgül­tige Entschei­dung durch den Verfas­sungs­ge­richts­hof getrof­fen wurde.

VGH Nordrhein-Westfa­len vom 12. April 2024 – VerfGH 44/24.VB‑2