Unter den Kabinettsmitgliedern des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) dürfte er – nicht nur infolge seiner Omnipräsenz in den Medien, besonders den Talkshows, infolge der Coronapandemie – der mit Abstand Bekannteste sein: Karl Lauterbach, studierter Mediziner, langjähriger Institutsleiter an der Uniklinik Köln und Harvard-Gastdozent, wird neuer Gesundheitsminister und somit Nachfolger von Jens Spahn (CDU). Der 58-Jährige, der seit 2005 seinen Bundestags-Wahlkreis Leverkusen/Köln IV ununterbrochen direkt gewinnen konnte, jedoch politisch erst 2001 von der CDU zur SPD gewechselt war und auch parteiintern nicht ungeteilt beliebt ist – siehe seine krachend erfolglose Bewerbung um den SPD-Vorsitz 2019 und sein vergleichsweise schlechter NRW-Listenplatz 23 zur Bundestagswahl –, galt schon lange als mögliche Besetzung fürs Gesundheitsministerium.
In den vergangenen Tagen gab es zahlreiche Stimmen, ihn für den Posten zu berufen. Auf Twitter trendete der Hashtag #WirWollenKarl von Sympathisanten und Unterstützern des Politikers. Und tatsächlich: „Er wird es!“ hatte Kanzler in spe Scholz am Montag die Spekulationen bestätigt und beendet.
Doch wie sind die Reaktionen auf die spektakuläre Berufung? Laut des Rundblicks der „Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen“ stellt sich heraus: Nicht nur in seiner Eigenschaft als hartnäckiger „Corona-Mahner“ und Verfechter eines vorsichtigen Kurses in der Bewältigung der Pandemie, sondern auch als neuer Minister polarisiert Lauterbach die Massen. Das zeigt sich schon auf den Wortmeldungen im Facebook-Account der Rechtsdepesche: „Endlich ein Fachmann! Am Ende werden jetzt auch noch sinnvolle Maßnahmen umgesetzt.
Das wäre nämlich mehr als nötig“, freut sich eine Userin. „Karl Lauterbach ist eine gute Wahl. Mein Wunsch ist hierbei in Erfüllung gegangen!“ schreibt eine weitere. „Gute Nacht, Deutschland“, wünscht hingegen eine weitere Wortmeldung. „Ach Du Sch…“, fasst es ein anderer User zusammen.
Das Gesundheitswesen ist in Aufregung und Vorfreude. „Lieber Karl Lauterbach, herzlichen Glückwunsch zu dieser wichtigen und schwierigen, doch auch sehr schönen Aufgabe. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg und eine glückliche Hand. Denn es geht um unser Land. Die Bewältigung dieser Pandemie bleibt eine Gemeinschaftsaufgabe“, hatte sich sein geschäftsführender Amtsvorgänger Jens Spahn direkt nach der Berufung ebenfalls per Twitter zu Wort gemeldet. „Es freut mich, dass ein Arzt Gesundheitsminister wird“, sagte die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, der schleswig-holsteinischen SHZ-Zeitungsgruppe.
Man kenne und schätze Lauterbach schon lange. „Die Berufung von Karl Lauterbach zum neuen Gesundheitsminister ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Coronapandemie“, sekundierte Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchow-Bundes, der niedergelassene Ärzte vertritt. In das Lob von fachlicher Seite stimmte auch Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), mit ein: „Mit Herrn Lauterbach steht künftig ein versierter Kenner des komplexen Gesundheitswesens an der Spitze des Ministeriums. Wir bieten unsere Mitarbeit, Vorschläge und Expertise an.“ Von Seiten der CSU gratulierte deren Vorsitzender Markus Söder – der in Bayern mit sehr hohen Corona-Zahlen zu kämpfen hat –, und attestierte Scholz eine gelungene Wahl. Nun erhoffe er sich von Lauterbach eine „gute Zusammenarbeit in ernsten Zeiten“, so der bayerische Ministerpräsident.
Kritischere Worte findet Jörg Wilamasena für die Berliner taz. Er fragt sich, ob er den Wechsel von Theorie zu Praxis bewältigt: Zwar habe sich der zuvor innerparteilich nicht sehr beliebte Lauterbach durch seine Expertise in der Coronapandemie Respekt erarbeitet. „Allerdings wird Lauterbach einen Rollenwechsel vollziehen müssen. Statt als Mahner von der Talkshow-Seitenlinie wird er nun im Zentrum der Pandemiebekämpfung stehen.“ Er verwies etwa auf das Umschwenken Lauterbachs sowohl zu einer Impfpflicht, als auch bei der Notwendigkeit von Booster-Impfungen. Ähnlich argumentiert auch sein Kölner Kollege Martin Gätke vom „Express“: „Lauterbach – ausgerechnet er – muss Ruhe in die erhitzte Corona-Lage bringen, nüchterner werden. Er darf nicht zu viel versprechen und ankündigen, was er am Ende nicht halten kann“, findet der Redakteur.
Experte im Gesundheitswesen
Vernichtend sind die Reaktionen bei der Linken und der AfD. „Der Bock wird zum Gärtner“, schimpft Oskar Lafontaine, SPD-Kanzlerkandidat von 1990 und Überläufer zur heutigen Linkspartei. Er erinnerte an Lauterbachs Vor-Corona-Forderung, jede dritte oder besser noch jede zweite deutsche Klinik zu schließen; durch den Wechsel von Spahn zu Lauterbach werde ein Pharma-Lobbyist durch einen anderen ersetzt. Seine Partnerin und Parteikollegin Sarah Wagenknecht ist ebenfalls wenig amüsiert: „Unser neuer Gesundheitsminister wird uns mit seinen klaren Ansagen zweifellos bestens durch die Coronapandemie bringen“, schreibt sie sarkastisch, ebenfalls mit Hinblick auf dessen Umschwenken bei der Booster-Impfung. „Schlimmer hätte es für Deutschland nicht kommen können“, subsummiert AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Und ihre frisch Corona-positiv diagnostizierte Parteikollegin Beatrix von Storch meint: „Lauterbach wird Gesundheitsminister? Wenn man Satire und Realität nicht mehr unterscheiden kann“.
Und der FDP-Vize Wolfgang Kubicki, in der Coronapandemie als Anhänger einer freiheitlich-eigenverantwortlichen Gangart ein häufiger Antipode Lauterbachs, hatte zu guter Letzt eine scherzhafte Gratulation parat. „Die deutsche Talkshowszene wird jetzt häufiger auf ihn verzichten müssen. So hat alles auch sein Gutes.“