Lachgas: Patient kann nicht mehr laufen
Rechtsdepesche: Bei Ihnen im Klinikum Köln-Merheim kommen zunehmend Menschen mit Schäden nach dem Konsum von Lachgas. Wie schwer ist der Missbrauch überhaupt zu diagnostizieren, in welchem Zustand kommen diese Patienten in die Notaufnahme und äußern die Geschädigten überhaupt, dass sie Lachgas konsumiert haben?
Prof. Dr. Volker Limmroth: Die meisten erzählen das natürlich nicht. Sie kommen mit Kribbeln, Taubheitsgefühlen – wenn es leichte Fälle sind. Bei schweren Fällen können sie nicht mehr laufen und verstehen nicht, warum. Den ersten schweren Fall – sozusagen unser Indexfall – hatten wir im September 2023.
Der wurde von seinen Angehörigen in die Notaufnahme getragen, weil er nicht mehr laufen konnte. Wir haben an das Guillain-Barré-Syndrom gedacht und ein paar andere Differential-Diagnosen. Es war aber kein Guillain-Barré-Syndrom, das war uns schnell klar.
Dann haben wir einen Kernspin vom Rückenmark gemacht und große, helle Herde gesehen, insbesondere im Halsmark. Da wurde uns klar: OK, das ist kein typischer Herd wie bei einer MS (Multiple Sklerose), das sieht aus wie eine Funikuläre Myelose. Also wie ein schwerer Vitamin B12-Mangel. Und den hatte er dann auch.
Wir sehen ab und zu schwere B12-Mangel bei älteren Patienten, aber bei jungen Patienten nie. Das ist eigentlich eine typische Erkrankung des Alters.
Drei Tage nach dem ersten Vorfall nehmen wir eine junge Frau auf mit der gleichen Symptomatik. Da wussten wir dann schon: B12-Mangel durch Lachgas. Da brauchte die Diagnose dann nur eine halbe Stunde und nicht zwei Tage, wie bei unserem Index-Fall.
Inzwischen fragen wir die jungen Leute, die zu uns kommen und plötzlich nicht mehr laufen können, auch nicht mehr, ob sie Lachgas genommen haben, sondern nur: Wieviel Lachgas nimmst du und wann hast du es das letzte mal genommen? Im letzten Dreivierteljahr ist keine Woche vergangen, wo wir nicht einen solchen Fall hatten.
Anstieg der Fallzahlen
Rechtsdepesche: Sie verzeichnen also einen deutlichen Anstieg der Fallzahlen bei sich seit letztem Herbst?
Limmroth: Genau!
Rechtsdepesche: Was für Menschen kommen zu Ihnen, können Sie die Gruppe der Betroffenen grob skizzieren?
Limmroth: Das sind überwiegend Menschen im Alter zwischen 16 und 30, die meisten stammen eher aus bildungsfernen Schichten. Menschen, die vielleicht eher das Bedürfnis haben, aus ihrem Leben fliehen zu wollen, weil sie in schlechten Verhältnissen leben.
Es erwischt aber auch gebildete Menschen aus der Partyszene, die das nur am Wochenende machen und „mal gucken wollen“, wie das so funktioniert mit dem Lachgas-Rausch. Die sind aber in der Regel sehr schnell geläutert, wenn sie merken, dass das keine gute Idee für ihren Organismus ist, ganz besonders nicht für das zentrale Nervensystem.
„Narkosemittel gehört nicht auf eine Party“
Rechtsdepesche: Wie würden Sie als Mediziner die Wirkung von Lachgas beschreiben und ab welcher Dosis ist es gefährlich? Kann man überhaupt sagen, dass es ein Quantum gibt, das unbedenklich ist?
Limmroth: Als Mediziner bin ich der Meinung, dass ein Narkosemittel grundsätzlich nicht in die Hände von Menschen auf Parties gehört. Das gehört überhaupt nicht in den freien Verkauf, das hat da nix zu suchen. Es ist ein Unding, dass das auf politischer Ebene nicht richtig angegangen wird. Andere Länder haben das längst aus dem Verkehr gezogen.
Unser Gesundheitsminister ist da nicht wirklich aktiv. Der will jetzt den Verkauf erschweren, insbesondere für Menschen unter 18 Jahren. Damit ist es aber überhaupt nicht getan. Es ist ein Skandal, dass Kinder das kaufen können! Und der größere Skandal ist, dass es an jedem Büdchen in der Nachbarschaft von Schulen zu kaufen ist. Dieses Narkotikum gehört nur in die Hände von Medizinern!
Es ist ein sehr volatiles Gas, das sehr bindungsfreudig ist, deswegen geht es über die Blutbahn sofort ins Gehirn, geht also durch die Blut-Hirn-Schranke.
Der Effekt ist innerhalb von 20 bis 30 Sekunden da. Der Glutamat-Stoffwechsel wird unterbrochen, deswegen entstehen Halluzinationen und De-Realisierungsphänomene, die alle so witzig finden. Lachgas wird relativ schnell verstoffwechselt. Deshalb ist der ganze Spuk nach etwa 5 bis 10 Minuten auch schon wieder vorbei.
In dem Moment ist der B12-Stoffwechsel verändert. Wenn Sie das mehrmals pro Woche machen und das über 3 bis 6 Monate, dann unterbrechen Sie Ihren B12-Stoffwechsel so eklatant, dass sie Symptome bekommen werden.
„Verkauf am Kiosk ist Realsatire“
Rechtsdepesche: Haben junge Menschen ein höheres Risiko für Langzeitschäden als beispielsweise ältere Personen?
Limmroth: Nein, da ist kein großer Unterschied. Wobei möglicherweise Jugendliche, deren zentrales Nervensystem noch nicht komplett ausgereift ist, tatsächlich vulnerabler sind. Lachgas ist nicht die Partydroge der über 50-Jährigen. Empfänglich dafür sind die jungen Leute. Es ist billig, überall verfügbar am Kiosk, legal.
Solch eine Kartusche kostet 2 bis 3 Euro und liegt zwischen Gummibärchen und Coladosen. Und das an jedem Kiosk! Das damit legal Geld verdient werden kann, ist wirklich Realsatire.
Selbst die für ihre liberale Drogenpolitik bekannte Niederlande hat es längst vom Markt genommen. Und: Selbst bei jungen Menschen, die Lachgas gar nicht so häufig benutzen, ist zu beobachten, dass sie die Droge mit anderen legalen Substanzen konsumieren, zum Beispiel mit Cannabis oder Alkohol.
Lachgas selbst können sie nicht nachweisen, das bedeutet: Es wird auch ein zunehmendes Problem beim Autofahren im Straßenverkehr. Das wird leider komplett übersehen. Es gab bei hohen Dosen auch schon zwei Todesfälle durch Herz-Rhythmus-Störungen, die nicht rechtszeitig reanimiert werden konnten. Lachgas wird völlig unterschätzt in seiner Dimension.
Therapieren mit Vitamin B12
Rechtsdepesche: Wie behandeln Sie die Patienten in Köln-Merheim?
Limmroth: Die Patienten werden mit Vitamin B12 therapiert. Natürlich werden zusätzlich aufgrund der Beschwerden sämtliche apparativen Diagnostiken (zum Beispiel MRT, Elektrophysiologie) durchgeführt, um andere Erkrankungen des Nervensystems auszuschließen. Ein Gegenmittel ist leider nicht vorhanden, da zählt allein der Verzicht auf Lachgas.
Rechtsdepesche: Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person: Prof. Dr. med. Volker Limmroth gehört wiederholt zu den besten deutschen Ärzten. Er ist seit vielen Jahren in der Top-Mediziner umfassenden „Ärzteliste“ des Magazins FOCUS Gesundheit und des Magazins STERN als Spezialist für Multiple Sklerose, Chronische Schmerzen und Parkinson aufgeführt. In Köln-Merheim befinden sich neben der Klinik für Neurologie unter Leitung von Prof. Volker Limmroth die Neurochirurgische Klinik, die Sektion Neuroradiologie der Radiologischen Klinik, die RehaNova, die Rheinischen Kliniken Köln sowie alle anderen Abteilungen, die ein Haus der Maximalversorgung auszeichnen.