In einem Altenheim war am 27. März 2020 ein Bewohner positiv auf das Coronavirus getestet worden. Ein anderer Bewohner wies Symptome auf, alle weiteren wurden in ihren Zimmern isoliert. Der Betreiber des Heims hatte zuvor am 2. März 2020 sowie am 20. März 2020 zwei Dienstbesprechungen durchgeführt, in denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über das Infektionsschutzgesetz und die Gefahren einer Corona-Infektion unterrichtet wurden.
Aus den Besprechungen resultierte eine schriftliche Dienstanweisung. Der Betreiber stellte dem Personal zudem eine persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung, bestehend aus dem MRSA-Anzug, einem Mund-Nasen-Schutz, einer Haube, einer Brille und Überschuhen.
Kündigung: Pflegerin verweigert Schutzausrüstung
Am Tag der positiven Testung des Bewohners ordnete der Betreiber eine weitere Besprechung an, in der erneut auf die Dienstanweisung hingewiesen wurde. Um 16 Uhr an diesem Tag traf der Pflegedienstleiter eine Pflegerin ohne entsprechende Schutzkleidung in der Küche des Wohnbereichs 2 an. Er forderte sie auf, die vollständige Schutzausrüstung anzulegen. Als später die Bereichsleitung in Küche kam, hatte die Pflegerin noch immer nicht die Schutzkleidung angelegt.
Noch am Abend des 27. März entschloss sich der Vorstand des Heims dazu die Pflegerin fristlos zu kündigen und setzte darüber unter anderem die Bereichsleitung und die Mitarbeitervertretung in Kenntnis. Grund war die vorsätzliche Nichteinhaltung der laut Infektionsschutzgesetz angewiesenen Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen. Die Mitarbeitervertretung begrüßte die Entscheidung: Eine übliche Abmahnung sei bei der bereits bekannten eigenwilligen Dienstauffassung der Pflegerin nicht angezeigt, da sie wissentlich und willentlich andere in Gefahr gebracht habe.
Sieben Personen im Altenwohnheim starben
Es erwiesen sich später 15 Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnbereichs 2 als mit dem Coronavirus infiziert. Sieben davon starben infolge der Infektion. In dem Wohnbereich lebten demente Bewohnerinnen und Bewohner mit Bewegungsdrang, die weder dauerhaft in ihren Zimmern festgehalten noch dazu bewegt werden konnten, außerhalb des Zimmers Maske zu tragen.
Auch die Pflegerin infizierte sich mit dem Coronavirus. Der Betreiber des Altenheims kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich – vorsorglich auch ordentlich – zum 30. September 2020. Vor Gericht klagt die Frau gegen diese Entscheidung. Sie gab an, an den Dienstbesprechungen nicht teilgenommen zu haben. Außerdem habe sie in den Zimmern und auf den Fluren des Wohnbereichs immer die vollständige persönliche Schutzausrüstung getragen.
Als sie vom Pflegedienstleiter in der Küche des Wohnbereichs aufgefordert wurde, ihre Schutzausrüstung anzulegen, habe sie gerade Pause gemacht. Der Wohnbereich verfügte über keinen eigenen Sozialbereich für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zudem habe nach Aussage der Pflegerin auch der Pflegedienstleiter in dieser Situation keine Maske getragen.
Die Frau begehrte nun vor Gericht die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung sowie die Zahlung der monatlichen Vergütung für April, Mai, Juni, Juli, August und September 2020 (jeweils 3.455,10 Euro). Außerdem beantragt sie die Ausstellung eines Zwischenzeugnisses.
Klage abgewiesen, Kündigung ist rechtens
Die Klägerin hatte in erster und zweiter Instanz keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht Karlsruhe hat die Klage abgewiesen und der Widerklage des beklagten Heims stattgegeben. Die Beklagte hatte eine Zahlung von 3.677 Euro begehrt. Die außerordentliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2020 aufgelöst.
Die Kündigung ist nach Auffassung des Gerichts nicht unwirksam. Der Beklagte fällt unter den Geltungsbereich des Kirchlichen Gesetzes über Mitarbeitervertretung in der Evangelischen Landeskirche Baden (MVG). Der Beklagte hat nach § 45 Absatz 1 MVG das Mitberatungsverfahren eingehalten, in dem er die Mitarbeitervertretung über die beabsichtigte Kündigung im Vorfeld in Kenntnis setzte, wonach die Mitarbeitendenvertretung das Mitberatungsverfahren tatsächlich auch begann.
Auch aus materiellrechtlichen Gründen ist die Kündigung nicht unwirksam. Sie erfüllt die in § 626 Absatz 1 BGB genannten Voraussetzungen, die an eine außerordentliche Kündigung gestellt werden. Für den Beklagten war es bei Berücksichtigung aller Umstände und der beiderseitigen Interessen unzumutbar, das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zum Auslauf der vertraglichen Kündigungsfrist aufrechtzuerhalten.
Schwerwiegende Pflichtverletzung der Pflegerin
Ob die Kündigungsvoraussetzung in solch einem Fall gegeben sind, muss also in zwei Schritten festgestellt werden. In einem ersten Schritt muss geprüft werden, ob der Kündigungssachverhalt an sich dazu geeignet ist, als wichtiger Grund die fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ist dies der Fall, muss im nächsten Schritt geklärt werden, ob das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortgesetzt werden kann. Hierbei werden die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die beiderseitigen Interessen der Parteien berücksichtigt.
In diesem Fall ist von einer schwerwiegenden Pflichtverletzung der Klägerin auszugehen, die somit einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellt. Die Pflegerin wurde wiederholt von der Pflegedienstleitung und Bereichsleitung dazu aufgefordert, ihre Schutzausrüstung anzulegen. Als Arbeitnehmerin war die Frau auch in ihrer Pause dazu verpflichtet, die Verhaltensanweisungen ihrer Vorgesetzten einzuhalten (§ 106 GewO).
Zudem musste sie nach § 241 Absatz 2 BGB Rücksicht auf das berechtigte Interesse der Beklagten nehmen, die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner zu schützen. Die Klägerin kam allerdings vorsätzlich Maßnahmen nicht nach, die dem Schutz von Leib und Leben der durch das Coronavirus besonders gefährdeten Heimbewohnerinnen und Heimbewohner dienten.
Auch trotz fehlender Abmahnung ist die Kündigung nicht unwirksam. Auch wenn die Klägerin nach 11,5‑jähriger Betriebszugehörigkeit grundsätzlich ein gewisses Maß an Rücksichtnahme verlangen kann, trat dieses berechtigte Interesse hinter dem Interesse des Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurück.
Die Klägerin handelte vorsätzlich entgegen der Dienstanweisungen und hat gesundheits- und lebenserhaltende Schutzmaßnahmen nicht eingehalten. Damit hatte sie den Beklagten unter Zugzwang gesetzt, der schnell und eindeutig reagieren musste.
LAG Baden-Württemberg vom 10.12.2021 – 12 Sa 46/21