79-jähriger, multimorbider, demenzkranker Patient mit Weglauftendenzen
Pfleger wegen Totschlags verdächtig: Ein 79-jähriger demenzkranker Mann wurde wegen Wassereinlagerungen im Körper und Atemnot infolge seiner Herzinsuffizienz in ein Krankenhaus eingeliefert.
Während Untersuchungen verhielt sich der Mann wenig kooperativ, beschwerte sich mit lauter Stimme über seine Atemprobleme und forderte vom Personal, auf sein Zimmer gebracht zu werden.
Von einer Entwässerung mittels eines Blasenkatheters wurde abgesehen, weil sich der Patient zuvor den Katheter eigenmächtig gezogen hatte, was zu Blutungen führte.
Bei der Untersuchung konnten zahlreiche gesundheitliche Einschränkungen bei dem Mann festgestellt werden. Unter anderem eine dekompensierte Herzinsuffizienz mit Vorhofflimmern, chronischer Alkohol- und Nikotinmissbrauch, Bluthochdruck, eine Leberzirrhose, eine chronische Stauungsdermatitis, eine Prostatahyperlepsie und eine Refluxösophagitis.
Zudem hatte er aufgrund seiner Demenz Weglauftendenzen, seine geistige Leistungsfähigkeit baute immer weiter ab und sein Tag-Nacht-Rhythmus war gestört, weshalb er nachts wach und unruhig war.
Pfleger allein auf Station
In der Nacht nach der Einlieferung des Mannes war der später angeklagte Pfleger allein auf Station für etwa 30 Patienten zuständig.
Der Pfleger wurde als ruhig, hilfsbereit und freundlich sowie fachlich als hoch kompetent und stressresistent eingeschätzt.
Während des Nachtdienstes versuchte der 79-jährige Patient viermal die Station zu verlassen und ließ sich nur unter Protest vom Pfleger zurück in sein Zimmer bringen. Zudem hob er den Arm gegen den Pfleger, wurde aber nicht tätlich.
Der Patient urinierte und kotete im Laufe der Nacht auf den Boden, weshalb der Pfleger mehrfach wischen musste.
Über die Schwierigkeiten informierte der Pfleger schließlich den diensthabenden Arzt, versicherte diesem aber, dass er die Lage im Griff habe.
Gegen Mitternacht wurde jedoch ein ebenfalls dementer, 85-jähriger Patient mit gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus auf dieselbe Station gebracht. Der Pfleger wehrte sich gegen die Aufnahme des neuen Patienten, wegen der dadurch deutlich höhere Arbeitsbelastung, allerdings vergeblich.
Zwischen 2:00 und 4:55 Uhr verstarb der 79-jährige Patient. Die Staatsanwaltschaft hatte den Pfleger daraufhin angeklagt den Patienten im genannten Zeitraum getötet zu haben, in dem er ihn vorsätzlich ohne rechtfertigenden Grund erwürgt habe.
Das Landgericht Köln konnte sich in erster Instanz nicht von einem Totschlag überzeugen. Einzelheiten zum Tötungsgeschehen konnten nicht festgestellt werden. Tatzeugen gab es nicht. Der Pfleger wurde vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen.
Sachverständige geht von Totschlag aus
Die Staatsanwalt ging gegen diese Entscheidung in Revision vor dem Bundesgerichtshof. Die Revision ist begründet, weil dem Freispruch eine Beweiswürdigung zugrundeliegt, die rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
Dem Tatrichter des LG Köln seien Rechtsfehler unterlaufen, die zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt hatten.
Vor dem Landgericht wurde insgesamt von zwei Experten Sachverständigengutachten eingeholt. Die Sachverständige der Staatsanwaltschaft ist davon ausgegangen, dass komprimierte Gewalteinwirkung auf den Hals des Patienten Grund für dessen Tod war. Nach dieser Einschätzung hätte es Totschlag sein können.
Der Sachverständige der Strafverteidigung hingegen ging von einem natürlichen Tod des Mannes aus. Beide Sachverständige kamen zu der Ansicht, dass die übrigen Verletzungen am Körper des Patienten durch Stürze hätten verursacht sein können.
Das Landgericht hatte fälschlicherweise offen gelassen, welcher sachverständigen Expertise zu folgen sei.
Es hätte jedoch erörtern müssen, wie sich die Vorgänge im Patientenzimmer des Tatopfers entwickelt haben. In die Beweiswürdigung hätten so noch weitere Punkte mitaufgenommen werden müssen.
Beweiswürdigung des Gerichts unvollständig
Auch wenn der Pfleger zuvor stets ruhig und kompetent agiert hatte, hätte das Landgericht in den Blick nehmen müssen, dass es womöglich nach einer Reihe von Ärgernissen im Laufe der Nacht zu einem Augenblicksversagen gekommen sein könnte.
Um abschließend festzustellen, ob sich dadurch die Verletzungen am Hals erklären lassen, hätte zuvor geklärt werden müssen, welche Verletzungen selbst verursacht und welche fremdverschuldet sind. Notfalls durch ein weiteres Gutachten.
Wenn auch dadurch endgültig nicht festgestellt werden kann, ob es Totschlag war oder nicht, erst dann stellt sich die Frage, ob ein Urteil durch Ausschluss aller in Betracht kommenden Alternativen möglich ist.
Die Beweiswürdigungsmängel führen zur Aufhebung der Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Würdigung zu einer Verurteilung des Angeklagten gelangt wäre.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle: BGH vom 19.07.2023 – 2 StR 48/22