v.l.n.r.: Manfred Beeres, Dr. Meinrad Lugan, Joachim M. Schmitt Bild: BVMed

Die Sorge der Exper­ten, die aus Klini­ken und Gesund­heits­un­ter­neh­men stamm­ten und für das BVMed-Medien­se­mi­nar zur „Versor­gung pflege­inten­si­ver Patien­ten nach dem GKV-FQWG“ usammen­ka­men: Durch die Regelun­gen der neuen Gesund­heits­re­form (Gesetz zur Weiter­ent­wick­lung der Finanz­struk­tur und der Quali­tät in der gesetz­li­chen Kranken­ver­si­che­rung – GKV-FQWG), die am 1. Januar 2015 in Kraft tritt, könnten kosten­in­ten­sive Patien­ten zu den Verlie­rern gehören

Die Gefah­ren für die Versor­gungs­qua­li­tät am Beispiel der Inkon­ti­nenz erläu­terte Raimund Koch, Leiter Gesund­heits­po­li­tik beim Herstel­ler Paul Hartmann. Rund 1,2 Millio­nen Patien­ten werden in Deutsch­land durch die Gesetz­li­che Kranken­ver­si­che­rung (GKV) im ambulan­ten Bereich mit saugen­den Inkon­ti­nenz­pro­duk­ten versorgt. Hinzu kommen rund 300.000 Menschen mit Inkon­ti­nenz in Pflege­hei­men. Die Quali­täts­kri­te­rien für die Inkon­ti­nenz­ver­sor­gung wurden im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis seit 1993 nicht mehr aktua­li­siert, bemän­gelt Koch. Sein Vorwurf: „Mit den aktuel­len Verträ­gen kommen einzelne Kranken­kas­sen ihrer Leistungs­pflicht bei hochbe­tag­ten und pflege­be­dürf­ti­gen Versi­cher­ten nicht nach.“ Denn die aktuelle Monats­pau­schale liege bei den Versor­gungs­ver­trä­gen infolge von Ausschrei­bun­gen zwischen 13 und 18 Euro. Damit sei eine quali­ta­tiv hochwer­tige Versor­gung nicht möglich. Häufig sei diese nur durch die wirtschaft­li­che Aufzah­lung des Versi­cher­ten gewähr­leis­tet. Das aber sei vom Gesetz­ge­ber so nicht gewollt gewesen. „Die Versi­cher­ten haben Anspruch auf die aufzah­lungs­freie Versor­gung mit Hilfs­mit­teln zu Lasten der GKV“, so Koch. Er plädierte für eine öffent­li­che Diskus­sion über die Vernach­läs­si­gung der Versor­gungs­pflicht einzel­ner Kranken­kas­sen, um den betrof­fe­nen Patien­ten eine bessere Lobby zu geben.

Dr. Jörn Bremer.
Dr. Jörn Bremer, Leiten­der Oberarzt in der BDH-Klinik Greifs­wald. Bild: BVMed

Über die Versor­gung von Querschnitts­ge­lähm­ten mit ablei­ten­den Inkon­ti­nenz­hil­fen infor­mierte Dr. Jörn Bremer, Leiten­der Oberarzt des Querschnitt­ge­lähm­ten­zen­trums der BDH Klinik in Greifs­wald. Die bestehen­den Empfeh­lun­gen zur Versor­gung mit ablei­ten­den Inkon­ti­nenz­hilfs­mit­teln würden die Varia­ti­ons­breite der Betrof­fe­nen nicht berück­sich­ti­gen. So seien indivi­du­elle „Misch­ver­sor­gun­gen“ mit ablei­ten­den und aufsau­gen­den Inkon­ti­nenz­hil­fen nicht vorge­se­hen. „Die Quali­täts­an­for­de­run­gen sind so niedrig, dass gesund­heit­li­che Schäden in Kauf genom­men werden – zuguns­ten kurzfris­ti­ger Kosten­er­spar­nisse“, so Bremers Vorwurf. Er forderte eine klare Defini­tion von Versor­gungs­qua­li­tät mit Hilfs­mit­teln und die Erhebung des objek­ti­ven Bedarfs an Hilfs­mit­teln. In der aktuel­len Ausschrei­bungs­pra­xis sieht er „gefähr­li­che Tenden­zen für die Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung“. Das Versor­gungs­pro­blem beispiels­weise von Querschnitts­ge­lähm­ten werde durch die Versor­gungs­pau­scha­len größer.

Susanne Vetter.
Susanne Vetter, Geschäfts­füh­re­rin der Kubivent Sitz- und Liege­pols­ter GmbH, Fellbach. Bild: BVMed

Die Kritik an der Ausschrei­bungs­pra­xis der Kranken­kas­sen teilte auch Susanne Vetter, Geschäfts­füh­rende Gesell­schaf­te­rin des Herstel­lers Kubivent, für den Bereich der Vermei­dung und Behand­lung von Liege­ge­schwü­ren (Dekubi­tus). In Deutsch­land gibt es jährlich rund 400.000 Dekubi­tus-Fälle. Die Dekubi­tus-Behand­lungs­kos­ten liegen bei ca. 2,5 Milli­ar­den Euro. Zur Dekubi­tus-Versor­gung ist neben dem Hilfs­mit­tel auch die beratende Dienst­leis­tung des Sanitäts­hau­ses durch dafür ausge­bil­dete Fachkräfte von großer Bedeu­tung. Das Problem des heuti­gen Versor­gungs­zu­stands: „Dekubi­tus-Versor­gun­gen sind zuneh­mend Gegen­stand von Ausschrei­bun­gen. Der steigende Kosten­druck führt dazu, dass es keine spezi­el­len Versor­gun­gen im Bereich der Prophy­laxe mehr gibt“, so Susanne Vetter. Die Ausschrei­bun­gen führten zu immer mehr Einheits­ver­sor­gung in der Thera­pie. „Die Auswer­tung des Unter­su­chungs­be­richts der AOK Hessen zeigt, dass bereits heute die Versor­gungs­qua­li­tät durch Ausschrei­bun­gen sinkt.“ Das Problem liege in den fehlen­den gesetz­li­chen Anrei­zen, um die Dekubi­tus-Vorsorge und Behand­lung in Deutsch­land zu verbes­sern. Das neue Gesetz rücke den Berufs­tä­ti­gen 30 bis 45-Jähri­gen in den Fokus des Beitrags­wett­be­werbs der Kranken­kas­sen. Der Fokus müsse aber auf einer quali­ta­tiv hochwer­ti­gen Versor­gung pflege­inten­si­ver Patien­ten liegen. „Wir brauchen eine patien­ten­in­di­vi­du­elle Versor­gung statt Pauscha­len.“