Die Sorge der Experten, die aus Kliniken und Gesundheitsunternehmen stammten und für das BVMed-Medienseminar zur „Versorgung pflegeintensiver Patienten nach dem GKV-FQWG“ usammenkamen: Durch die Regelungen der neuen Gesundheitsreform (Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung – GKV-FQWG), die am 1. Januar 2015 in Kraft tritt, könnten kostenintensive Patienten zu den Verlierern gehören
Die Gefahren für die Versorgungsqualität am Beispiel der Inkontinenz erläuterte Raimund Koch, Leiter Gesundheitspolitik beim Hersteller Paul Hartmann. Rund 1,2 Millionen Patienten werden in Deutschland durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im ambulanten Bereich mit saugenden Inkontinenzprodukten versorgt. Hinzu kommen rund 300.000 Menschen mit Inkontinenz in Pflegeheimen. Die Qualitätskriterien für die Inkontinenzversorgung wurden im Hilfsmittelverzeichnis seit 1993 nicht mehr aktualisiert, bemängelt Koch. Sein Vorwurf: „Mit den aktuellen Verträgen kommen einzelne Krankenkassen ihrer Leistungspflicht bei hochbetagten und pflegebedürftigen Versicherten nicht nach.“ Denn die aktuelle Monatspauschale liege bei den Versorgungsverträgen infolge von Ausschreibungen zwischen 13 und 18 Euro. Damit sei eine qualitativ hochwertige Versorgung nicht möglich. Häufig sei diese nur durch die wirtschaftliche Aufzahlung des Versicherten gewährleistet. Das aber sei vom Gesetzgeber so nicht gewollt gewesen. „Die Versicherten haben Anspruch auf die aufzahlungsfreie Versorgung mit Hilfsmitteln zu Lasten der GKV“, so Koch. Er plädierte für eine öffentliche Diskussion über die Vernachlässigung der Versorgungspflicht einzelner Krankenkassen, um den betroffenen Patienten eine bessere Lobby zu geben.
Über die Versorgung von Querschnittsgelähmten mit ableitenden Inkontinenzhilfen informierte Dr. Jörn Bremer, Leitender Oberarzt des Querschnittgelähmtenzentrums der BDH Klinik in Greifswald. Die bestehenden Empfehlungen zur Versorgung mit ableitenden Inkontinenzhilfsmitteln würden die Variationsbreite der Betroffenen nicht berücksichtigen. So seien individuelle „Mischversorgungen“ mit ableitenden und aufsaugenden Inkontinenzhilfen nicht vorgesehen. „Die Qualitätsanforderungen sind so niedrig, dass gesundheitliche Schäden in Kauf genommen werden – zugunsten kurzfristiger Kostenersparnisse“, so Bremers Vorwurf. Er forderte eine klare Definition von Versorgungsqualität mit Hilfsmitteln und die Erhebung des objektiven Bedarfs an Hilfsmitteln. In der aktuellen Ausschreibungspraxis sieht er „gefährliche Tendenzen für die Hilfsmittelversorgung“. Das Versorgungsproblem beispielsweise von Querschnittsgelähmten werde durch die Versorgungspauschalen größer.
Die Kritik an der Ausschreibungspraxis der Krankenkassen teilte auch Susanne Vetter, Geschäftsführende Gesellschafterin des Herstellers Kubivent, für den Bereich der Vermeidung und Behandlung von Liegegeschwüren (Dekubitus). In Deutschland gibt es jährlich rund 400.000 Dekubitus-Fälle. Die Dekubitus-Behandlungskosten liegen bei ca. 2,5 Milliarden Euro. Zur Dekubitus-Versorgung ist neben dem Hilfsmittel auch die beratende Dienstleistung des Sanitätshauses durch dafür ausgebildete Fachkräfte von großer Bedeutung. Das Problem des heutigen Versorgungszustands: „Dekubitus-Versorgungen sind zunehmend Gegenstand von Ausschreibungen. Der steigende Kostendruck führt dazu, dass es keine speziellen Versorgungen im Bereich der Prophylaxe mehr gibt“, so Susanne Vetter. Die Ausschreibungen führten zu immer mehr Einheitsversorgung in der Therapie. „Die Auswertung des Untersuchungsberichts der AOK Hessen zeigt, dass bereits heute die Versorgungsqualität durch Ausschreibungen sinkt.“ Das Problem liege in den fehlenden gesetzlichen Anreizen, um die Dekubitus-Vorsorge und Behandlung in Deutschland zu verbessern. Das neue Gesetz rücke den Berufstätigen 30 bis 45-Jährigen in den Fokus des Beitragswettbewerbs der Krankenkassen. Der Fokus müsse aber auf einer qualitativ hochwertigen Versorgung pflegeintensiver Patienten liegen. „Wir brauchen eine patientenindividuelle Versorgung statt Pauschalen.“
1 Kommentar
Grundsätzlich ist, dem Gedanken aus Ihrer Überschrift, zuzustimmen. Aber wie so oft im Leben, kann man nachhaltige Verfahrensgrundlagen nicht an wenigen Schlagworten festmachen. Natürlich ist es unbestritten, dass die Qualität der Hilfsmittel geprüft gehört.
Eine zeitgemäße Hilfsmittelversorgung bedarf jedoch weit mehr Veränderungen.
Gern würden wir, als privatwirtschaftlich geführtes Institut die Grundideen eines sozialintelligenten Managements einfließen lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Helge Joachim Blankenstein
Institut Impuls