Nach Eigenauskunft ist die Klinikum Lippe GmbH eines der größten kommunalen Krankenhäuser in Deutschland: Insgesamt 2.800 Mitarbeiter sind an den drei Standorten in Detmold, Lemgo und Bad Salzuflen tätig und arbeiten pro Jahr rund 100.000 Behandlungsfälle (stationär, teilstationär, ambulant) ab.
Das sind beeindruckende Angaben für den Klinikverbund, der auch Teil des Universitätsklinikums OWL der Universität Bielefeld ist – wären da nicht die vielen Schlagzeilen der letzten Zeit, die ein ganz anderes Schlaglicht werfen: Ob ein massiver Cyberangriff im November 2022, der öffentlich ausgetragene Streit um den entlassenen Chefarzt der Kinderklinik im Februar 2023 oder jüngst eine Anzeige gegen den Klinikchef wegen des Verdachts auf Untreue: Nur ein paar Beispiele für die zuletzt nicht besonders vertrauensbildenden Meldungen rund um das Klinikum Lippe.
Missachtet das Klinikum Lippe Überlastungsanzeigen?
Und dieser Tage wird die Ansammlung schlechter Nachrichten noch um einen weiteren Punkt ergänzt: Denn seit Dezember muss sich das Arbeitsgericht in Detmold mit der Klage einer Pflegefachfrau gegen das Klinikum Lippe auseinandersetzen. Darin wirft die Pflegfachfrau ihrem Arbeitgeber vor, Beschwerden über Arbeitsüberlastung und Personalmangel nicht ernst zu nehmen.
Die Pflegefachkraft, die laut Medienberichten in der Palliativstation am Standort Lemgo arbeitet, soll sich nach eigener Aussage gemeinsam mit ihren Kollegen in diesem und im vergangenen Jahr 47 Mal bei der Klinikleitung gemeldet haben, um eine personelle Unterbesetzung anzuzeigen: Statt der vorgesehenen zwei Pflegefachkräfte sei vielfach nur eine Pflegefachkraft für die bis zu neun Patienten zuständig gewesen.
Die Konsequenz daraus war, dass die Patienten nicht immer in angemessener Weise versorgt werden konnten. Insbesondere für notwendige psychologische Gespräche blieb keine Zeit mehr, wie von der Klägerin berichtet wird. Sie schildert auch, dass sie gelegentlich die Entscheidung treffen musste, welche Patienten sie priorisiert behandelt.
Des Weiteren soll es durch die Unterbesetzung häufiger vorgekommen sein, dass die Pausenzeiten nicht eingehalten werden konnte. Auch das wurde mehrfach bei der Klinikleitung angezeigt. Diese soll aber die sogenannten Überlastungsanzeigen aber nicht ernst genommen haben.
Ergebnis im März erwartet
Mit der Klage vor dem Arbeitsgericht Detmold strebt die Pflegefachfrau eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für sich und ihre Kolleginnen und Kollegen an.
Und die scheint im Klinikum Lippe dringend geboten zu sein: Denn auch an den anderen Standorten wird von ähnlich gelagerten Sachverhalten berichtet, teils begleitet mit schweren Vorwürfen.
Im Gerichtssaal machte der Richter jedenfalls schnell klar, dass die Klage ein wichtiges Thema sei. Nach kurzer Befragung beider Seiten kam er zu dem Schluss, dass eine außergerichtliche Einigung schwierig sei.
Bis Januar hat die Klinikleitung, die sich im Gericht durch einen Anwalt vertreten ließ, Zeit, um auf die Vorwürfe reagieren. Im März folgt dann ein nächster Termin.
Stellungnahme des Herausgebers
Nach Ansicht von Prof. Dr. Volker Großkopf, Professor für Rechtswissenschaften an der Katholische Hochschule NRW und Herausgeber der Fachzeitschrift Rechtsdepesche, ist der vorliegende Fall gleich in mehrfacher Sicht bedeutsam.
„Dieser Fall ist bereits deshalb richtungsweisend, als das hier eine Pflegefachperson vor aller Öffentlichkeit die Missstände in ihrer Einrichtung anprangert. Dies kommt nicht oft vor und ist in etwa vergleichbar mit dem Fall des Seniorenheims in Schliersee, wo eine Pflegekraft als Whistleblowerin die dort herrschenden Zustände dargelegt hat“, so Großkopf.
„Dabei seien grundsätzlich alle Pflegekräfte dazu aufgefordert etwaige Missstände zu benennen, sei es aufgrund des Berufsethos oder der rechtlichen Garantenstellung heraus“, erklärte Großkopf.
„Ein weiterer spannender Aspekt dieses Falles ist, dass Pausen nicht genommen werden konnten – und hier gibt es das Arbeitszeitgesetz in Deutschland, welches verpflichtend nach sechs Arbeitsstunden eine Pause anordnet; bei bis zu neun Stunden müssen dann 30 Minuten Pause, ab neun Stunden mindestens 45 Minuten Pause genommen werden. Und diese Pause muss auch gegen den Willen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber gewährt werden.“
Die Nichtgewährung der Pause würde für den Arbeitgeber gegebenenfalls zu zwei Konsequenzen führen: Zum einen ist die tatsächlich geleistete Arbeitszeit nachzuvergüten, falls die Pause aus dem Arbeitsentgelt abgezogen wurde. Zum anderen droht wegen der Nichtgewährung ein Bußgeld nach § 22 ArbZG, bei behaarlich Wiederholung sogar eine Geld- oder Freiheitsstrafe gemäß § 23 ArbZG.
„Es bleibt an dieser Stelle äußerst spannend, wie das Gericht entscheiden wird“, so Prof. Dr. Großkopf. Und weiter: „Ich hoffe, dass das Gericht am Ende zu einer Entscheidung kommen wird, die sowohl die Sicherheit der Patienten als auch den Schutz des eingesetzten Personal – insbesondere vor einem weiteren Ausbrennen – stärkt.“
4 Kommentare
Respekt an die Pflegefachfrau! Nach wie vor tolerieren wir zu oft eine nicht ausreichende Pflege der uns anvertrauten Patienten. Eine gesetzeskonforme Pause nehmen wir bzw. wird uns sowieso nicht geboten. Ich bin mal gespannt was passiert
Wir schreiben alle Gefährdungsanzeigen, ich habe noch nie erlebt das mein Arbeitgeber darauf reagiert hätte. Ich hoffe das das Gericht endlich Recht spricht. Fast alle die in der Pflege arbeiten brauchen endlich auch Hilfe.
Bei uns wird auch nur so reagiert, dass die Leitung mitteilen lässt, dass sie keine Überlastungsabzeigen wünscht
Ich habe den Eindruck bekommen, dass auch die Kontrollinstanzen wegschauen! Wie soll eine indische Pflegefachkraft ihre Rechte umsetzen, wenn sie die Abläufe etc. kaum versteht. Ich habe jetzt ein Sterbefall miterlebt (Bewohner wurde nicht mit verordneten Med. versorgt bei einer schweren Covdinfektion.…); eine aufmerksame Ärztin hat einen unklaren Tod des Bewohners bescheinigt und daraufhin die Polizei in der Einrichtung war – zu Recht. Aber die Kontrollinstanzen wie MDK, Heimaufsicht kümmern sich nicht, obwohl Bewohner immer wieder Beschwerden aussenden. Jeder schaut weg, keiner will sich „ins Gefecht“ stürzen.….. und die Leute, die viel Geld für solche Mißstände zahlen werden bei Unruhe mit Sedativa ruhig gestellt. Seit nun mehr fast 40 Jahren arbeite ich in diesem Job – noch nie hat sich etwas – primär für den Bewohner verbessert – nur die Struktur„qualität“ ist verbessert – nun werden Pflegebedürftige eben nicht mehr in Kellerräumen untergebracht – armes Deutschland!