Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wirkt nach dem Termin optimistisch: „Wir werden in diesem Herbst und Winter alles dafür tun, dass Kinder die Arzneimittel bekommen, die sie benötigen. Wir sind deutlich besser aufgestellt als im letzten Jahr.“
Ob der Optimismus echt ist, weiß nur er selbst.
Spitzengespräch mit Pharmaindustrie, Apotheken- und Ärzteschaft
Mitte September hatte das Bundesgesundheitsministerium zu einem Spitzengespräch geladen, bei dem ein 5‑Punkte-Plan vorgestellt wurde, der Engpässe bei Kinderarzneimitteln diesen Winter verhindern soll. Dabei sollen Apotheken, Arztpraxen und Pharmaindustrie miteinbezogen werden.
Erste Maßnahme sind dabei regelmäßige Statusgespräche zwischen Bund und den Pharmaunternehmen für Kinderarzneimittel. Durch den verbesserten Informationsaustausch soll eine gleichmäßige Versorgung sichergestellt werden.
Zwar sei die Produktion jetzt schon signifikant gestiegen – teilweise um bis zu 100 Prozent – falls es trotzdem zu Engpässen kommen sollte, seien kurzfristige Importe möglich.
Mehr Entscheidungsspielraum für Apotheken
Die Apotheken erhalten die Entscheidungsfreiheiten., für die sich die ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) schon seit längerem einsetzt. Der 5‑Punkte-Plan sieht vor, den Austausch von Kinderarzneimitteln der sogenannten Dringlichkeitsliste auszuweiten und weiter zu erleichtern. Für die Herstellung von Rezepturen und für den Austausch der Darreichungsform wird bei diesen Kinderarzneimittel eine Retaxation ausgeschlossen.
ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening kommentiert nach dem Treffen: „Um flexibel auf Lieferengpässe zu reagieren, brauchen unsere Apothekenteams maximale Entscheidungsfreiräume. Wir als Expertinnen und Experten für das Arzneimittel wollen im Falle eines Engpasses entscheiden, ob wir möglicherweise eine Individual-Rezeptur herstellen oder – wenn verfügbar – doch ein Fertigarzneimittel abgeben. Ich freue mich sehr, dass das Ministerium nun endlich erkannt hat, dass man mit der Expertise unserer Teams die Versorgung verbessern kann.“
Die ABDA will allerdings grundsätzlich weg von der Dringlichkeitsliste: Die in Frage kommenden Fertigarzneimittel seien aufgrund der Liste „weder von der Apotheke noch von der ABDA/ABDATA oder dem Großhandel zuverlässig bestimmbar.“
Lauterbach warnt vor Hamsterkäufen
Eine Maßnahme, die sogar zweimal im 5‑Punkte-Plan auftaucht, ist die Vermeidung von Hamsterkäufen. Lauterbach appellierte dabei an die Vernunft der Eltern: „Ein kleiner Haushaltsvorrat ist immer sinnvoll. Das Horten ist es nicht.“
Deshalb sollen laut Plan Kinder- und Hausarztpraxen Eltern darauf hinweisen, keine unnötigen Vorräte für Kinderarzneimittel anzulegen.
Darüber hinaus will die Bundesregierung „gemeinsam mit der Ärzteschaft und Apothekerschaft und den anwesenden Pharmafirmen eine sachlich-realistische Kommunikation [unterstützen], um unnötige Bevorratung zu vermeiden.“
Problem ist nicht neu
Abgesehen davon, dass die Warnung vor Hamsterkäufen meistens das Gegenteil von dem bewirkt, was sie beabsichtigt, ist das Problem nicht neu: Seit Jahren kommt es immer wieder zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln, was zumindest zum Teil daran liegt, dass mehr und mehr Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagert haben, wo sie billiger produzieren können.
Jetzt versucht man gegenzusteuern: Als Anreiz für Unternehmen werden die Festbeträge bei den dringlichen Kinderarzneimitteln weiter ausgesetzt – eine Maßnahme, die schon mit dem im Juli beschlossenen Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) eingeführt wurde.
Laut Andreas Burkhardt, Deutschlandchef des Generika-Weltmarktführers Teva, habe das den Unternehmen geholfen, die Folgen der Inflation zu bewältigen, sei aber kein ausreichender Anreiz, um neue Anbieter in den Markt zu bringen: Da die Festbeträge bis jetzt nur ausgesetzt seien, hätten die Unternehmen nicht genug Planungssicherheit, um neue Produktionskapazitäten aufzubauen.
Arzneimittelengpässe: Greifen die Maßnahmen rechtzeitig?
Schon vor seiner Einführung hatten Vertreter der Pharmaindustrie das ALBVVG als nicht ausreichend bezeichnet. Thomas Weigold, Geschäftsführer Sandoz Deutschland und Vorstand bei Pro Generika, hatte im Mai kritisiert, dass kein Unternehmen auf Basis des ALBVVG seine Lieferketten stabilisieren und Produktionskapazitäten ausbauen könne: „Während die österreichische Regierung längst reagiert und die letzte Penicillin-Produktion in der westlichen Welt gerettet hat, ist Deutschland untätig geblieben.“
Aber die globalen Lieferketten sind nicht erst unter der Ampel-Koalition entstanden: Schon die große Koalition unter Merkel hat bei der Abwanderung der Arzneimittelproduktion nicht regulierend eingegriffen – was anscheinend den Vertretern der CDU/CSU entfallen ist, die im letzten Winter einen Beschaffungsgipfel forderten, mit der ausdrücklichen Forderung an die Ampel, ihre „Untätigkeit“ zu beenden.
Statt der ermüdenden Diskussionen darüber, wer die Schuld an der Situation trägt, sollte man besser gemeinsam an einer Strategie arbeiten, die Produktion zurück nach Deutschland zu holen. Im Bezug auf die Autoindustrie hat sich besonders die CDU schließlich nie schwergetan, Anreize für die Hersteller zu schaffen.
Selbst unter idealen Bedingungen wird die Stabilisierung der Lieferketten Jahre dauern. Nach diesem Winter bleibt also genug zu tun – auch wenn durch die Steigerung der Produktion die Versorgung mit Kinderarzneimitteln in diesem Jahr hoffentlich besser ist.