In den letzten Tagen hat die Pflegekammer Niedersachsen verstärkt Kritik am Gesetzesentwurf der niedersächsischen CDU und SPD geäußert, nach dem Pflegekräfte und Ärzte künftig während einer Epidemie zum Dienst behördlich verpflichtet werden können, um sich an den Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie zu beteiligen. Auch der Marburger Bund Niedersachsen sprach sich deutlich gegen eine Zwangsrekrutierung von medizinischem Personal aus.
Die Kritik zeigte Wirkung. Im Rahmen einer Anhörung im Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung des Niedersächsischen Landtags am 4. Juni haben die Fraktionen nun ihren Verzicht hinsichtlich der vorgeschlagenen Regelungen geäußert. Ein Gesetz, welche Pflegekräfte und Ärzte künftig in Krisenzeiten zwangsverpflichtet, kommt also nicht.
Bessere Bedingungen statt Dienstverpflichtung
Hans Martin Wollberg, Erster Vorsitzender des Marburger Bundes Niedersachsen begrüßt die Korrektur der Koalition. „Eine Regelung zur Zwangsverpflichtung von medizinischem Personal in Niedersachsen einzuführen, wäre der falsche Weg gewesen.“ Vor allem sähe er darin ein „völlig falsches Signal“, da die Mitarbeiter im Gesundheitswesen gerade auch in der jetzigen Coronapandemie eine beeindruckende Einsatzbereitschaft und ein hohes Engagement zur Hilfeleistung an den Tag gelegt hätten. Ein solcher Gesetzbeschluss sei eher kontraproduktiv und demotivierend für das Gesundheitspersonal.
Der Marburger Bund sprach dem Gesetzesvorschlag dazu auch eine rechtliche Fragwürdigkeit zu. Eine Dienstverpflichtung durch die Behörde stelle einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeits- und Grundrechte des Gesundheitspersonals dar. Dies betreffe hauptsächlich das Recht der Berufsfreiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Letzteres würde vor allem durch die fehlende Schutzausrüstung nicht gewährleistet werden können. „Unter diesem Aspekt schaffen gesetzliche Regelungen zur Einführung möglicher Zwangsmaßnahmen erst recht kein Vertrauen“, betont Andreas Hammerschmidt, Zweiter Vorsitzender des Marburger Bundes Niedersachsen.
Auch die Pflegekammer Niedersachsen hatte dem Gesetzesentwurf in der gemeinsamen Sitzung eine Absage erteilt. Bereits Ende Mai äußerte ein Mitglied der Kammerversammlung, Dennis Beer, seine Bedenken bezüglich der Pläne von CDU und SPD. Dienstverpflichtungen bei gleichbleibenden Arbeitsbedingungen würden nur dazu führen, den Pflegeberuf noch unattraktiver zu gestalten, als dies bereits der Fall ist. Stattdessen sollte man mehr auf die Pflegenden hören, sie wertschätzen und die beruflichen Gegebenheiten verbessern. Schließlich sei die Bereitschaft, das Privatleben in Krisenzeiten hinter den Beruf zu stellen und neue Aufgaben klagefrei anzunehmen, selbstverständlich gegeben, wie die letzten Wochen zeigten.
Einführung eines Freiwilligenregisters für Krisenzeiten
Ein anderes Mitglied der Kammerversammlung, Elisabeth Gleiß, schließt sich dem an. Die Pflegekammer Niedersachsen schlägt stattdessen den Aufbau eines Freiwilligenregisters im Vorfeld von Krisen vor, mit dem im Notfall gezielt freiwilliges Personal gefunden und eingesetzt werden könne. Derzeit verfüge die Pflegekammer Niedersachen bereits über ein Melderegister mit mehr als 90.000 gemeldeten Pflegefachkräften.
Tatsächlich kündigte die Koalition an, ein solches Register ins Leben zu rufen – sehr zur Freude auch des Marburger Bundes. „Dies ist wesentlich sinnvoller als die zunächst beabsichtigte Regelung, die nicht nur politisch, sondern auch verfassungsrechtlich völlig fragwürdig gewesen wäre“, so Hammerschmidt.
Quelle: Pflegekammer Niedersachsen, Marburger Bund Niedersachsen