Im niedersächsischen Wilstedt (Landkreis Rotenburg) regen sich in diesen Wochen die Gemüter: Zehn kolumbianischen Beschäftigten, die im Pflegebereich eines Heims für 48 Demenzerkrankte arbeiten, droht wegen abgelehnter Asylanträge die Abschiebung.
Kommt es zu derem Vollzug verlöre die Einrichtung nach eigenen Angaben bis zu einem Viertel ihrer Pflegekräfte. Mit Folgen für die demenzkranken Bewohnerinnen und Bewohner, denn mit einem kurzfristigen Ersatz des Personals ist angesichts eines leergefegten Arbeitsmarktes nicht zu rechnen.
Als wahrscheinliche Konsequenz hieraus ergäbe sich die Verteilung der Betroffenen auf andere, entferntere Pflegeeinrichtungen, im Extremfall droht der Einrichtung die Schließung.
83.000 haben bereits Petition zum Abschiebestopp gezeichnet
Der Fall hatte zuletzt für ein erhebliches Medienecho gesorgt, auch wegen der zwischenzeitlich von den Einrichtungsbetreibern initiierten Online-Petition zum Stopp der Abschiebung. Diese hat zum gegenwärtigen Stand (11. Dezember 2024) bereits mehr als 83.000 Mitunterzeichner gefunden – Tendenz weiter steigend.
Dieses doch sehr deutliche Votum brachte sogar (Noch-)Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf den Plan. Auf der Plattform X (vormals Twitter) ließ er verlauten, dass er zuvor von dem Fall noch nicht gehört habe und er sich aber „darum kümmern“ werde. Es klinge so, „als ob wir diese Kolumbianer sehr gut gebrauchen könnten“. Denn: Pflegepersonal fehle überall, so Lauterbach weiter.
Wie der Weser-Kurier berichtet, soll inzwischen ein Termin für die Übergabe der Online-Petition in Berlin durch die Verantwortlichen des Wilstedter Pflegeheims feststehen.
Ist Kolumbien ein sicheres Herkunftsland?
Ob ein Einsatz Lauterbachs an der Situation tatsächlich etwas ändern könnte, ist jedoch mehr als fraglich. Denn in der behördlichen Wahrnehmung scheint das südamerikanische Land deutlich friedlicher davon zu kommen, als es die Lektüre der Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes oder – kurioserweise – die der Briefing Notes des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erahnen lassen.
So stellte der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP), noch Ende November die Forderung auf, Kolumbien als ein sicheres Herkunftsland (vgl. § 29a AsylG) einzustufen. Womöglich hatte der Sonderbevollmächtigte bei seiner Äußerung schon das Migrationsabkommen im Sinn, dass derzeit zwischen Kolumbien und der Bundesrepublik ausgehandelt wird.
Der niedersächsischen Landesregierung scheinen jedenfalls die Hände gebunden zu sein. So erklärte Oliver Grimm, Sprecher des Landesinnenministeriums, dass die Entscheidung über Asylanträge ausschließlich beim BAMF läge. Sein Rat: Die Betroffenen könnten sich an die Härtefallkommission des Landes wenden, um so möglicherweise eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG zu erhalten. Ausgang: offen
Längst kein Einzelfall mehr
Ein Ereignis wie das in Wilstedt ist aber schon längst kein Einzelfall mehr: So kämpfte beispielsweise 2017 der zum Berlin gehörende Krankenhauskonzern Vivantes gegen die Abschiebung zweier albanischer Altenpflegekräfte. Und wie in Wilsted versuchte 2023 auch ein AWO-Pflegeheim in Kirchheim am Neckar die Ausreise ihres aus Gambia stammenden Altenpflegehelfers mittels einer Petition zu verhindern.
Ähnliche Fälle wurden auch aus Herford (georgische Pflegehelferin, Demenz-WG), München (kongolesischer Pflege-Azubi), Nieukerk (iranische Pflegefachkraft, Altenwohnheim), Sundern (armenische Pflegehelferin, Demenz-WG), Braunschweig (marokkanischer Pflegeassistent, Klinik) und Kißlegg (gambischer Pflegehelfer, Seniorenzentrum) berichtet.
In einer Zeit, in der verzweifelt um jeden einzelnen Beschäftigen in der Pflege gerungen wird, stößt das Vorgehen der Behörden in der Öffentlichkeit zunehmend auf Unverständnis. Dies gilt insbesondere, wenn die Betroffenen seit Jahren in der Bundesrepublik leben und bereits gesellschaftlich integriert sind.
Und noch widersinniger erscheint das Ganze gerade vor dem Hintergrund, dass Deutschland sich seit Jahren nur mäßig erfolgreich um die Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland bemüht.
Problem: Asylmigration vs. Arbeitsmigration
Doch der Teufel liegt wie so oft im Detail: Denn in Deutschland sind Asyl- und Arbeitsmigration strikt voneinander getrennt. So soll ein großflächiger Missbrauch des Asylsystems durch Personen, die eigentlich keinen Schutz bedürfen und aufrgund einer schlechten Wirtschaftslage ihrem Heimatland entfliehen, verhindert werden. Mitunter ist das auch der Grund, warum Asylbewerbern die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erst nach einer Mindestaufenthaltsdauer von drei Monaten möglich ist.
Ein weiteres Hindernis: Grundsätzlich ist es im deutschen Recht nicht vorgesehen, aus der Asylmigration in die Arbeitsmigration zu wechseln. Erst mittels einer jüngst erfolgten Gesetzesänderung (BGBl. 2023 I Nummer 390) hat der Bund die Möglichkeit eines „Spurwechsels“ in einem begrenzen Maße zugelassen: Hiernach können Fachkräfte, die vor dem Stichtag des 29. März 2023 einen Asylantrag gestellt haben, in eine Aufenthaltserlaubnis zur Erwerbstätigkeit wechseln.
Dies gilt jedoch nur für Fachkräfte mit einer beruflichen oder akademischen Ausbildung bzw. für Ausländer mit ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen. Darüber hinaus ist der Spurwechsel an die vorherige Rücknahme des Asylantrags geknüpft.
Im Falle der Wilstedter Pflegekräfte wird die „Spurwechsel“-Option aber wohl keine Rolle spielen, denn es handelt sich bei den Betroffenen um keine Fachkräfte.