Die physische Belastung einer Intensivkrankenschwester variiert je nach Tätigkeit erheblich. Studien haben jedoch grobe Zahlen festgehalten: Beim Transfer und Umlagern von Patienten müssen Pflegekräfte durchschnittlich bis zu 50 kg heben.
Zusätzlich tragen sie täglich etwa 5 bis 20 kg an Ausrüstung und Versorgungsgütern. Das Wechseln von Bettwäsche und die Pflege der Matratzen fallen mit weiteren 20 kg ins Gewicht.
Angesichts dieser Zahlen ist es nicht überraschend, dass 5 bis 10 Prozent der arbeitsbedingten Erkrankungen im Gesundheitswesen auf Rückenleiden, einschließlich Bandscheibenvorfällen, zurückzuführen sind.
Diese Statistiken stammen vom Berufsgenossenschaftlichen Institut für Arbeitsschutz (BGIA/IFA). (Statistik: Arbeitsunfallgeschehen 2021)
Obwohl die genauen Zahlen je nach Quelle und Art der Rückenleiden variieren, ist offensichtlich, dass ergonomische Maßnahmen, unterstützende Hilfsmittel und Schulungen dringend erforderlich sind, um Rückenschäden im Gesundheitswesen zu vermeiden.
Tatsächlich gibt es auch normative Anforderungen, wie beispielsweise in der „ISO 11228–1 Ergonomie – Manuelles Handhaben von Lasten – Teil 1 Heben und Tragen 05/2003“, die von einem maximal zulässigen Lastgewicht von 23 kg ausgeht.
Doch ist es wirklich so einfach, im Pflegealltag rückenschonend zu arbeiten?
Mit Blick auf den demografischen Wandel und dem damit einhergehenden erhöhten Übergewicht vieler Patienten geht die durchschnittliche Hebebelastung im Pflegealltag oft darüber hinaus.
Wie macht man es richtig?
Um diese Frage zu beantworten, haben wir uns fachmännischen Rat eingeholt und mit ExpertInnen für Bewegungsförderung in der Pflege aus dem Clemenshospital und der Raphaelsklinik Münster gesprochen – Bärbel Overkamp, Katharina Lampen und Tanja Kortmann arbeiten nach dem Viv-Arte© Pflegekonzept (VAP).
Von der Pflege zum Bewegungsförderungsteam
Bärbel war in diesem Bereich eine Vorreiterin für ihr Krankenhaus. Nach ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin nutzte sie ein Stipendium, um sich an der Viv-Arte-Bewegungsschule der Uniklinik Ulm zum VAP-Advisor und Teacher für kinästhetische Mobilisation weiterzubilden.
Kurz nach der Ausbildung hatte sie bereits erkannt, dass präventive und rehabilitative Mobilisation eine echte Herausforderung darstellt. Um langfristig, gesund und mit Freude in diesem Beruf arbeiten zu können, sind der Erwerb und die kontinuierliche Weiterentwicklung von Bewegungskompetenz entscheidend.
Nach den ersten Schulungsmodulen und Praxisbegleitungen zeigte sich auch bei den Kollegen, dass der Bedarf in der Praxis sehr hoch ist und Organisation sowie Koordination eine große Rolle spielen. Der Benefit für die Stationsteams ist durch direkte Multiplikatoren am größten, daher schlossen sich Bärbel ihre Kolleginnen und Freundinnen Katharina und Tanja an.
Da alle drei auch Praxisanleiterinnen sind, können sie nicht nur examinierte KollegInnen, sondern auch Angehörige und Auszubildende bei der Bewegung im Pflegealltag unterstützen.
Warum ist ein Bewegungsförderungsteam so wichtig?
Alle drei sind sich einig, dass in der Grundausbildung viel zu wenig auf die Möglichkeiten der Mobilisation eingegangen wird. Oft fehlt es den Pflegenden an Bewusstsein dafür, welche Möglichkeiten es für die rückenschonende Frühmobilisation von schwerstkranken Patienten gibt.
Dafür braucht es am Bett Experten, die sowohl theoretisch beraten als auch direkt anleiten, indem sie Kollegen neue Wege aufzeigen und ihnen praktische Möglichkeiten für zukünftige Mobilisationen vermitteln.
Menschen bewegen und Perspektiven geben ist das Motto des VAP. Das gilt für die Patienten, aber eben auch für die Pflegekräfte. Zudem muss ein Bewusstsein für die Bedeutung einfacher, motivierender Kommunikation geschaffen werden, und all dies ist schneller und besser realisierbar, wenn man im Team zusammenarbeitet und von Fachexperten beraten wird.
Ist ein Bewegungsförderungsteam in Kliniken gängige Praxis?
Leider nein. Auch Bärbel berichtet, dass es ein langer Weg war, die Entscheidungsträger für die Notwendigkeit solcher Fachexperten zu sensibilisieren.
Dennoch gehen die Ludgeruskliniken in Münster nun als Vorreiter voran. Jedoch wächst der Bedarf an Schulungen sowie Zeit für Beratung stetig. Deshalb sollten weitere Multiplikatoren geschult und gefördert werden.
Sind Rückenprobleme in der Praxis trotz fachmännischer Begleitung noch ein Problem?
Die Rückmeldung ist eindeutig: Die Überlastung ist nach wie vor zu hoch. Viele Kollegen und Kolleginnen geben sowohl Rücken- als auch Gelenkschmerzen als Folge zu hoher körperlicher Belastung an.
Bärbel beschreibt, dass häufig Fehlhaltungen eingenommen werden, die nicht nur den Rücken, sondern auch den ganzen Körper belasten, obwohl man beispielsweise schon durch Eigenbewegung anstatt festem Stand punktuelle Belastungen reduzieren kann.
“Stehen die Füße ständig fest – gibt´s dem Rücken bald den Rest!”, visualisiert Katharina. Richtiges Bewegen, das sowohl für Patienten als auch für das Gesundheitspersonal gesundheitsfördernd ist, muss einfach in den Arbeitsalltag integriert werden, ergänzt Tanja.
Gibt es eine Tendenz zur Besserung?
Auf jeden Fall, berichten die drei. Das Interesse ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Viele ergreifen jedoch zu spät die Eigeninitiative, nämlich erst dann, wenn sie bereits Beschwerden und gesundheitliche Einschränkungen haben.
Gerade deshalb müssten noch mehr Kliniken ihr eigenes Personal weiterbilden, um möglichst viele interne Schulungsangebote anbieten zu können.
Auffällig ist, dass die Probleme gerade in Bereichen mit sehr pflegebedürftigen Patienten gehäuft auftreten, wo es zudem an passenden Hilfsmitteln zur Unterstützung fehlt.
Wie lassen sich Hebefallen vermeiden?
Die Tipps der Fachexpertinnen sind klar und einfach: Mehr Bewusstsein und entsprechende Schulungsangebote schaffen. Oft hilft es auch, genauer hinzuschauen, die Probleme zu definieren und diese bereits in der Ausbildung anzusprechen. Anleitung und Begleitung direkt am Bett sind essentiell, um zu zeigen, wie man rückenschonend und gleichzeitig patientenfördernd arbeiten kann.
Welche Hilfsmittel zur Unterstützung sind sinnvoll?
Entlastungssysteme für das Pflegepersonal und Hilfsmittel, die Bewegungsabläufe ergonomisch unterstützen, gibt es bereits und diese wären durchaus sinnvoll. Doch oft liegt es nicht an den fehlenden Hilfsmitteln, berichten Bärbel,Tanja und Katharina.
Es sind meist die Rahmenbedingungen, die vieles erschweren: Zu wenig Platz zum Bewegen, mangelnde Sitzgelegenheiten und fehlende Individualisierungsmöglichkeiten. Diese Aspekte wurden jedoch aufgrund der finanziellen Lage in vielen Krankenhäusern in den letzten Jahren vernachlässigt.
Unser Wunsch / Fazit
„Pflege, die beweglich bleibt“, betont Bärbel. “Wir müssen gut auf uns Acht geben, um die Gesundheit der Pflegeempfänger und unsere eigene zu fördern.” „Die Haltung – sowohl körperlich als auch innerlich – entscheidet darüber, wie wir Menschen wirklich wieder auf die Beine bringen“, ergänzt Katharina.
„Man muss dranbleiben, und auch für seine Bildung einstehen und diese einfordern“, erklärt Tanja. Aber man muss sich auch bewusst sein: Nur wer selbst seine Bewegung und Fitness fördert, kann anderen zur Mobilität verhelfen.