Pflege
Bärbel Overkamp, Katha­rina Lampen und Tanja Kortmann arbei­ten nach dem Viv-Arte<sup>©</sup> Pflege­kon­zept (VAP) Bild: Reactive Robotics

Die physi­sche Belas­tung einer Inten­siv­kran­ken­schwes­ter variiert je nach Tätig­keit erheb­lich. Studien haben jedoch grobe Zahlen festge­hal­ten: Beim Trans­fer und Umlagern von Patien­ten müssen Pflege­kräfte durch­schnitt­lich bis zu 50 kg heben.

Zusätz­lich tragen sie täglich etwa 5 bis 20 kg an Ausrüs­tung und Versor­gungs­gü­tern. Das Wechseln von Bettwä­sche und die Pflege der Matrat­zen fallen mit weite­ren 20 kg ins Gewicht.

Angesichts dieser Zahlen ist es nicht überra­schend, dass 5 bis 10 Prozent der arbeits­be­ding­ten Erkran­kun­gen im Gesund­heits­we­sen auf Rücken­lei­den, einschließ­lich Bandschei­ben­vor­fäl­len, zurück­zu­füh­ren sind.

Diese Statis­ti­ken stammen vom Berufs­ge­nos­sen­schaft­li­chen Insti­tut für Arbeits­schutz (BGIA/IFA). (Statis­tik: Arbeits­un­fall­ge­sche­hen 2021)

Obwohl die genauen Zahlen je nach Quelle und Art der Rücken­lei­den variie­ren, ist offen­sicht­lich, dass ergono­mi­sche Maßnah­men, unter­stüt­zende Hilfs­mit­tel und Schulun­gen dringend erfor­der­lich sind, um Rücken­schä­den im Gesund­heits­we­sen zu vermei­den.

Tatsäch­lich gibt es auch norma­tive Anfor­de­run­gen, wie beispiels­weise in der „ISO 11228–1 Ergono­mie – Manuel­les Handha­ben von Lasten – Teil 1 Heben und Tragen 05/2003“, die von einem maximal zuläs­si­gen Lastge­wicht von 23 kg ausgeht.

Doch ist es wirklich so einfach, im Pflege­all­tag rücken­scho­nend zu arbei­ten?

Mit Blick auf den demogra­fi­schen Wandel und dem damit einher­ge­hen­den erhöh­ten Überge­wicht vieler Patien­ten geht die durch­schnitt­li­che Hebebe­las­tung im Pflege­all­tag oft darüber hinaus.

Wie macht man es richtig?

Um diese Frage zu beant­wor­ten, haben wir uns fachmän­ni­schen Rat einge­holt und mit Exper­tIn­nen für Bewegungs­för­de­rung in der Pflege aus dem Clemens­hos­pi­tal und der Rapha­els­kli­nik Münster gespro­chen – Bärbel Overkamp, Katha­rina Lampen und Tanja Kortmann arbei­ten nach dem Viv-Arte© Pflege­kon­zept (VAP).

Von der Pflege zum Bewegungs­för­de­rungs­team

Bärbel war in diesem Bereich eine Vorrei­te­rin für ihr Kranken­haus. Nach ihrer Ausbil­dung zur Gesund­heits- und Kranken­pfle­ge­rin nutzte sie ein Stipen­dium, um sich an der Viv-Arte-Bewegungs­schule der Unikli­nik Ulm zum VAP-Advisor und Teacher für kinäs­the­ti­sche Mobili­sa­tion weiter­zu­bil­den.

Kurz nach der Ausbil­dung hatte sie bereits erkannt, dass präven­tive und rehabi­li­ta­tive Mobili­sa­tion eine echte Heraus­for­de­rung darstellt. Um langfris­tig, gesund und mit Freude in diesem Beruf arbei­ten zu können, sind der Erwerb und die konti­nu­ier­li­che Weiter­ent­wick­lung von Bewegungs­kom­pe­tenz entschei­dend.

Nach den ersten Schulungs­mo­du­len und Praxis­be­glei­tun­gen zeigte sich auch bei den Kolle­gen, dass der Bedarf in der Praxis sehr hoch ist und Organi­sa­tion sowie Koordi­na­tion eine große Rolle spielen. Der Benefit für die Stati­ons­teams ist durch direkte Multi­pli­ka­to­ren am größten, daher schlos­sen sich Bärbel ihre Kolle­gin­nen und Freun­din­nen Katha­rina und Tanja an.

Da alle drei auch Praxis­an­lei­te­rin­nen sind, können sie nicht nur exami­nierte Kolle­gIn­nen, sondern auch Angehö­rige und Auszu­bil­dende bei der Bewegung im Pflege­all­tag unter­stüt­zen.

Warum ist ein Bewegungs­för­de­rungs­team so wichtig?

Alle drei sind sich einig, dass in der Grund­aus­bil­dung viel zu wenig auf die Möglich­kei­ten der Mobili­sa­tion einge­gan­gen wird. Oft fehlt es den Pflegen­den an Bewusst­sein dafür, welche Möglich­kei­ten es für die rücken­scho­nende Frühmo­bi­li­sa­tion von schwerst­kran­ken Patien­ten gibt.

Dafür braucht es am Bett Exper­ten, die sowohl theore­tisch beraten als auch direkt anlei­ten, indem sie Kolle­gen neue Wege aufzei­gen und ihnen prakti­sche Möglich­kei­ten für zukünf­tige Mobili­sa­tio­nen vermit­teln.

Menschen bewegen und Perspek­ti­ven geben ist das Motto des VAP. Das gilt für die Patien­ten, aber eben auch für die Pflege­kräfte. Zudem muss ein Bewusst­sein für die Bedeu­tung einfa­cher, motivie­ren­der Kommu­ni­ka­tion geschaf­fen werden, und all dies ist schnel­ler und besser reali­sier­bar, wenn man im Team zusam­men­ar­bei­tet und von Fachex­per­ten beraten wird.

Ist ein Bewegungs­för­de­rungs­team in Klini­ken gängige Praxis?

Leider nein. Auch Bärbel berich­tet, dass es ein langer Weg war, die Entschei­dungs­trä­ger für die Notwen­dig­keit solcher Fachex­per­ten zu sensi­bi­li­sie­ren.

Dennoch gehen die Ludge­rus­kli­ni­ken in Münster nun als Vorrei­ter voran. Jedoch wächst der Bedarf an Schulun­gen sowie Zeit für Beratung stetig. Deshalb sollten weitere Multi­pli­ka­to­ren geschult und geför­dert werden.

Sind Rücken­pro­bleme in der Praxis trotz fachmän­ni­scher Beglei­tung noch ein Problem?

Die Rückmel­dung ist eindeu­tig: Die Überlas­tung ist nach wie vor zu hoch. Viele Kolle­gen und Kolle­gin­nen geben sowohl Rücken- als auch Gelenk­schmer­zen als Folge zu hoher körper­li­cher Belas­tung an.

Bärbel beschreibt, dass häufig Fehlhal­tun­gen einge­nom­men werden, die nicht nur den Rücken, sondern auch den ganzen Körper belas­ten, obwohl man beispiels­weise schon durch Eigen­be­we­gung anstatt festem Stand punktu­elle Belas­tun­gen reduzie­ren kann.

“Stehen die Füße ständig fest – gibt´s dem Rücken bald den Rest!”, visua­li­siert Katha­rina. Richti­ges Bewegen, das sowohl für Patien­ten als auch für das Gesund­heits­per­so­nal gesund­heits­för­dernd ist, muss einfach in den Arbeits­all­tag integriert werden, ergänzt Tanja.

Gibt es eine Tendenz zur Besse­rung?

Auf jeden Fall, berich­ten die drei. Das Inter­esse ist in den letzten Jahren deutlich gewach­sen. Viele ergrei­fen jedoch zu spät die Eigen­in­itia­tive, nämlich erst dann, wenn sie bereits Beschwer­den und gesund­heit­li­che Einschrän­kun­gen haben.

Gerade deshalb müssten noch mehr Klini­ken ihr eigenes Perso­nal weiter­bil­den, um möglichst viele interne Schulungs­an­ge­bote anbie­ten zu können.

Auffäl­lig ist, dass die Probleme gerade in Berei­chen mit sehr pflege­be­dürf­ti­gen Patien­ten gehäuft auftre­ten, wo es zudem an passen­den Hilfs­mit­teln zur Unter­stüt­zung fehlt.

Wie lassen sich Hebefal­len vermei­den?

Die Tipps der Fachex­per­tin­nen sind klar und einfach: Mehr Bewusst­sein und entspre­chende Schulungs­an­ge­bote schaf­fen. Oft hilft es auch, genauer hinzu­schauen, die Probleme zu definie­ren und diese bereits in der Ausbil­dung anzuspre­chen. Anlei­tung und Beglei­tung direkt am Bett sind essen­ti­ell, um zu zeigen, wie man rücken­scho­nend und gleich­zei­tig patien­ten­för­dernd arbei­ten kann.

Welche Hilfs­mit­tel zur Unter­stüt­zung sind sinnvoll?

Entlas­tungs­sys­teme für das Pflege­per­so­nal und Hilfs­mit­tel, die Bewegungs­ab­läufe ergono­misch unter­stüt­zen, gibt es bereits und diese wären durch­aus sinnvoll. Doch oft liegt es nicht an den fehlen­den Hilfs­mit­teln, berich­ten Bärbel,Tanja und Katha­rina.

Es sind meist die Rahmen­be­din­gun­gen, die vieles erschwe­ren: Zu wenig Platz zum Bewegen, mangelnde Sitzge­le­gen­hei­ten und fehlende Indivi­dua­li­sie­rungs­mög­lich­kei­ten. Diese Aspekte wurden jedoch aufgrund der finan­zi­el­len Lage in vielen Kranken­häu­sern in den letzten Jahren vernach­läs­sigt.

Unser Wunsch / Fazit

„Pflege, die beweg­lich bleibt“, betont Bärbel. “Wir müssen gut auf uns Acht geben, um die Gesund­heit der Pflege­emp­fän­ger und unsere eigene zu fördern.” „Die Haltung – sowohl körper­lich als auch inner­lich – entschei­det darüber, wie wir Menschen wirklich wieder auf die Beine bringen“, ergänzt Katha­rina.

„Man muss dranblei­ben, und auch für seine Bildung einste­hen und diese einfor­dern“, erklärt Tanja. Aber man muss sich auch bewusst sein: Nur wer selbst seine Bewegung und Fitness fördert, kann anderen zur Mobili­tät verhel­fen.